Mit der heutigen Musikszene ist es schon eine Crux.
Entweder es wird uns total talentfreies Möchtegernsuperstargesäusel, völlig desinteressierte
Produzentenschablonenmusik (halt, auf die Kohle sind sie natürlich alle scharf), komplett zugekleisterte Multispuren-lass-uns-mal-10-Gitarren-übereinanderlegen-ohne-dass-besonders-viel-davon-zu- hören-ist-Hauptsache-es-klingt-auch-auf-dem-letzten-Mp3-File-wuchtbrummig-ohne-Ende-Musik und
Hurra-ich-erkenne-auch-nach-20-Glühwein-noch-den-Refrain-Ballermann-Aprés-Ski-Gebollere, oder aber breitwandiger Hochglanz-R&B (natürlich mit besonders schönen jungen Frauen mit wenig an und jungen Herren mit der irrsten Phallussymbolik) und ein Hip-Hop-Rap-Gangsta-Ragga-Muffin-was-weiß-ich-Stilmix um die Ohren gehauen. Und das rund um die Uhr, ob im Radio, TV oder sonst wo, immer das Gleiche, wie eine große kollektive Gehirnwäsche!
Und da steht bei meinem Plattendealer um die Ecke (jene Spezies, die wohl auf Grund des vorher beschriebenen bald endgültig ausgestorben sein wird) eine unschuldige CD mit dem Titel "Broken Glass" von einer Band namens Coen Wolters Band.
Nie gehört? Ich auch nicht! Habe ich mir trotzdem zugelegt, denn auf dem Cover schrubbt jemand in einer verwischten Langzeitaufnahme ohne Blitz eine rote Fender (ich glaube Strat) und betreibt gleichzeitig so eine Art Headbanging.
Das erinnert mich doch total an viele, viele Plattencover im weiten Bereich von Bluesrock, speziell an die Abteilung Powertriobluesrock mit Texas-Shuffle-Affinitäten!
Und siehe da, der Blick ins Booklet bestätigt weitgehend meinen Eindruck:
Coen Wolters: Vocals, Guitars, Hammond/Keys
Michel Mulder: Bass
Nico Groen: Drums, Percussion
Huch, was für Namen, sehr unamerikanisch und tatsächlich - hierbei handelt es sich um eine
niederländische Formation, wo Coen Wolters höchstpersönlich gemixt, abgemischt und auf dem Produzentenstuhl gesessen hat.
Das Mastering hat überraschenderweise niemand geringeres als Eroc (Ex- Grobschnitt und Haus und Hof Soundmagier der Reissue-Spezialisten von Repertoire Records) übernommen.
Das alles führt letztlich zu dem Ergebnis, dass die Scheibe zwar keine audiophilen Qualitäten an den Tag legen kann, aber ungemein analog, authentisch und "musikalisch" klingt.
Und die Musik?
Nun, Herr Wolters hat immerhin 10 von 12 Songs selbstgeschrieben (einmal davon mit Co-Schreiber) und konsequenterweise einmal Meister Hendrix gecovert ("Spanish Castle Magic").
Warum konsequenterweise? Ganz einfach, weil diese Scheibe insgesamt den Geruch längst vergangener Endsechziger-Power(blues)rocktrio - Mucke atmet, ohne dabei allerdings auch nur entfernt angestaubt zu klingen!
Das ist meines Erachtens nicht weniger als eine Meisterleistung, denn dieses Genre ist spätestens seit dem Ausschlachten von Stevie Ray Vaughans Erbe reichlich ausgelutscht.
Gleich der Opener reißt ultimativ mit und treibt einem die Tränen der Freude in die Augen. Da röhrt Eingangs eine klassische Hammond mit der Gitarre um die Wette, da groovt es ohne Ende, tolle Hookline, richtig Schmiss und Melodie in dem Stück!
So oder ähnlich würde ich mir heute einen Kenny Wayne Shepherd wünschen.
Es folgt ein an Stevie Ray Vaughan gemahnender Texas-Shuffle und gleich darauf der zweite absolute Höhepunkt dieser Scheibe. "King's Café" ist ein grandioses Instrumental, mit sehr gut eingefügten Bläsersätzen und einem Gitarrenspiel, das jetzt eher an Leute wie Albert oder Freddie King gemahnt und somit in mir den Wunsch aufkeimen lässt, dass doch ein Eric Clapton von heute öfter mal so klingen möge. Hier sind die diversen Gläser wirklich in allergrößter Gefahr, Mr. Wolters lässt die Saiten wahrlich schwingen!
Danach gibt es einen herrlich funkigen Groove zu genießen, woran sich Coen Wolters ultimativer Tribut an Stevie Ray anschließt, ein Slowblues, wie ihn so vermeintlich nur der Meister himself hinzukriegen vermochte.
Nun bin ich eines besseren belehrt!
Und in diesem Stile geht es weiter. Es gibt nicht eine wirkliche Lusche auf dem Album und selbst das Hendrixcover kommt erstaunlich frisch und inspiriert rüber.
Damit lässt Herr Wolters, der in seiner Vergangenheit bereits mit Leuten wie The Hoax, Paul Orta, "Uncle" John Turner, Nuno Mendelis oder der niederländischen Gitarristenlegende Eelco Gelling (Cuby & The Blizzards!) zusammen musizierte, seinem Landsmann und Kollegen Julian Sas kaum eine Chance, wobei aber
fairerweise angemerkt werden muss, dass dieser einen anderen (musikalischen) Schwerpunkt verfolgt, und deutlich Boogie-Rockiger unterwegs ist.
Somit bietet sich die Coen Wolters Band als sehr interessante Alternative an, wenn es darum geht, den Kosmos zwischen Hendrix, den drei berühmten Kings und weißen Gitarristen wie Stevie Ray Vaughan, Eric Clapton (ohne Pop-und Altherrenschunkelschmonz) oder auch Johnny Winter (ohne Boogie) auszuloten!
Auch wenn wir, oder vielleicht gerade deshalb, und da komme ich wieder auf den Anfang dieser Rezension zurück, diese Band tausendprozentig niemals in Funk und Fernsehen zu Ohren bekommen werden! Leider!!!
Spielzeit: 51:22, Medium: CD, Crying Tone Records, 2005
1:Don't Wanna Miss A Thing 2:Time After Time 3:King's Café 4:She Takes My Breath Away 5:Ain't No Way 6:Mail Order Mystics 7:Ride The Katy 8:Spanish Castle Magic
9:Little Things You Do 10:Blues On A Rainy Day 11:Ticket To Ride 12:Suite 1210
Olaf "Olli" Oetken, 19.01.2005
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