Um es gleich mal auf den Punkt zu bringen:
Dies ist keine Platte zum Nebenbeihören, etwa beim Bügeln des ewig verknitterten Hemdes, oder beim Eincremen des ewig verknitterten eigenen Antlitzes, dies ist eine Platte, die geradezu danach fleht, unvoreingenommen, ohne Scheuklappen und konzentriert gehört zu werden!
Liebe Leute, wer hört denn heute schon mit offenen Ohren und dazu noch konzentriert einer originalen Silberscheibe zu, die nicht gebrannt, nicht von irgendwelchen obskuren Quellen gedownloadet und sogar mit einem, wenn auch in diesem Falle nur spärlichen, Booklet ausgestattet ist, welches neben dem Sinnesorgan Ohr auch noch das Sinnesorgan Auge und Intellekt beansprucht, weil es schließlich gerne gelesen werden möchte??!! Ohne von seinen Mitmenschen als hoffnungsloser Fall für die Klappse abgeschrieben zu werden??!!
Somit schränkt sich die potentielle Zielgruppe für das hier zu besprechende Werk doch gehörig ein, zumal nicht nur ich im Vorurteil verfangen bin, dass Instrumentalplatten von begnadeten Gitarristen nur etwas für ebensolche sind, die sich dann ganz aufgeregt den einen oder anderen Lick abhören wollen.
Der nicht ganz so begnadete Rest der Gitarristen ist nach Genuss eines solchen Produkts komplett entnervt und/oder deprimiert und alle Nichtgitarristen tödlich gelangweilt und genervt ob der selbstverliebten Eruptionen des Protagonisten, vermeintlich ohne Sinn und Verstand und schon gar nicht tanzbar!!!
Tja, schlechte Voraussetzungen für den 28 jährigen Jungspund aus L.A., der erst ein Musikstudium absolvierte, um dann in der Band von Steve Vai zu landen, Begründer und Labelchef von 'Favored Nations', dem Label, das nun Dave Weiners (sprich: Wiener!) Debütalbum herausbringt.
Aber wir alle tun dem jungen Mann bitterböses Unrecht, sofern wir uns nicht ein bisschen ernsthaft und tatsächlich konzentriert mit seinem Erstlingswerk auseinandersetzen.
Meine persönliche erste Maßnahme war, dass ich den Silberling aus meinem Schlaf- und Arbeitszimmer ich-mach-Krach-und-brauche-nicht-viel-Platz-Henkelmann geschmissen und in die highendige Wohnzimmeranlage geworfen habe.
Das Ergebnis?
Track 3 auf der Promodisc hat offenkundig einen Fabrikations- oder Pressfehler.
Ha, ha!
Ansonsten eröffnen sich dem Laien (und womöglich nicht nur dem) völlig neue Horizonte.
Kein Wunder, dass Mr. Vai seine Neuentdeckung nicht nur in seine eigene Band geholt hat, sondern ihm auch gleich ermöglichte, eine Soloplatte herauszubringen!
Dave Weiner hat nicht nur Musik studiert, vermutlich vorzugsweise in dem Fach
wie-kann-ich-einer-Gitarre-Töne-entlocken-die-nicht-schon-tausendfach-auf-die-Welt -losgelassen-wurden-und-wenn-doch-dann-spiele-ich-sie-besser, nein, er hat sich auch gleich die gesamte Studiotechnik zu eigen gemacht und fungiert somit konsequenterweise auf seinem Debüt als Interpret, Komponist, Soundingenieur, Soundmixer und Produzent in Personalunion!
Und nicht nur das, neben einer '7(!) String Electric And Acoustic Guitar' bedient er auch noch Bass, Keys und kreiert das Programming.
Und was prasselt jetzt so alles auf die verwöhnten Gehörgänge ein?
Es beginnt mit einem sphärischen Intro und endet mit einem sphärischen Outro!
Und dazwischen?
Sechs Eigenkreationen, aus denen sich bei genauerem Hinhören immer mehr Feinheiten, Finessen, Delikatessen und Überraschungen herauskristallisieren!
So sei als Ermutigung zunächst gesagt, dass der gute Dave sich nicht in egomanischen und beweihräuchernden Selbstdarstellungsorgien verliert, sondern ständig die sinnvolle Komposition in den Vordergrund stellt, einschließlich wundervoller Refrains, die von seinem versierten und melodischen Spiel auf den sieben Saiten bestritten werden.
Dabei baut Weiner sich ständig abwechselnde Soundkaskaden ein, so dass mal ein funky Bass dazwischenknallt, mal ein Groovemonster sein Unwesen treibt, mal Moogsynthesizer fiepen wie in irgendeiner amerikanischen Krimiserie der 70er, mal Eddie Van Halen, Mike Oldfield, The Edgevon U2 oder gar Slash kurz vorbeischauen, als wollten sie demonstrieren: Ätsch, nie gehörte Gitarrenlicks und -sounds gibt's so häufig wie Erdölvorkommen in L.A.!
Wir hören hier die Verquickung von Rock, Jazz und (akustischem) Ambient, gerne mit einer ziemlich typischen Fusionsgitarre Marke Vai, Satriani, Morse oder Lukather gespielt, genauso gerne aber auch von markigen Heavy-Riffs durchbrochen, die schließlich von akustischem Picking der Güteklasse A abgefedert werden.
Das alles kommt zum Teil verdammt verspielt rüber, ich sag nur Mehrspuroverkill, aber Dave Weiner gelingt es tatsächlich, die technischen Möglichkeiten der Gegenwart nicht ihrer selbst Willen einzusetzen, sondern als gewinnendes Beiwerk oder als sinnvolle Erweiterung des üblichen Soundkosmos.
Irgendwo meine ich sogar den guten alten Jeff Beck vernommen zu haben, der solche gewagten Experimente bereits vor mehreren Dekaden unternahm und sich kommerziell wohl, so muss konstatiert werden, damit keinen Gefallen getan hatte.
Es bleibt zu hoffen, dass Dave Weiner dieses Schicksal nicht gleich zu Beginn seiner Karriere ereilt, zumal er sich bei einem Hidden Track am Ende des Albums in Form eines kurzen Live-Ausschnitts, wo er mal eben Angus Young - Licks Richtung Universität schickt, bemüht, etwas Streetcredibility zu bekommen.
Denn hier könnte sich das größte Manko dieser Veröffentlichung, neben der arg kurzen Spielzeit, für den neuen Helden auftun:
Nämlich eine insgesamt zu akademische, zu wenig geerdete Ausstrahlung!
Spielzeit: 32:37, Medium: CD, Favored Nations, 2005
1:Andonova 2:Long Run 3:Monument Shine 4:The Ghost Of Denmark St. 5:Tourmaline 6: Shove The Sun Aside (7.) Hidden Track [live]
Olaf "Olli" Oetken, 20.05.2005
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