Der alte Mann und der Stuhl
»Johnny Winter? Der ist mir vor 30 Jahren schon auf den Nerv gegangen. Da geh' ich nicht mit!«
Die Szene: Eine gute deutsche Eckkneipe mit musikalisch vorbelastetem Eigentümer, italienischem All-You-Can-Eat jeden Mittwoch und einer Gruppe ebenfalls musikalisch vorbelasteter Konzertgänger.
Der Diskussionsgrund: die allgemeine und allwöchentliche Planung weiterer Konzertbesuche und hier speziell der zweite Gig von Johnny Winter im Spirit of 66 innerhalb weniger Monate. Getätigt wurde diese Aussage von einem fachlich durchaus versierten, ehemals selber journalistisch in Sachen Musik unterwegs gewesenen ambitionierten Gitarristen. Die Messlatte hing hoch - den müssen wir mitschleppen!
Ursprünglich war das Konzert im Spirit of 66 in Verviers angesetzt gewesen, aber bereits der Zuspruch im Vorfeld des ersten Gigs erforderte ein schnelles planerisches Umdenken und so wich man auf den Le Kursaal im benachbarten Limbourg aus, der für größere Zuschauermassen schon öfters mal herhalten darf. Die Location ist auch wirklich klasse - ein alter holzbeplankter Saal mit vernünftiger Bühne, Galerie und zwei Bars, irgendwo hinter einer unscheinbaren Einfahrt versteckt. Die große Veranstaltungsreklame über dem Tor mutet an wie ein Billboard der 60er Jahre und lässt keinen Zweifel entstehen, dass man tatsächlich an der richtigen Adresse ist.
So kamen wir - mit dem Kumpel (! s.o.) - pünktlich zum Vorprogramm in den Saal und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Roman hieß der Interpret, der sich alleine mit akustischer Gitarre auf einen Hocker setzte und das Publikum in Stimmung bringen sollte - erfolgreich. Von eigenem Liedgut bis zu einem sehr eingängigen "House Of The Rising Sun" (das ich schon viele Male sehr viel schlechter gehört habe) wurde durchweg überzeugend gespielt und mit kräftiger bluesiger Stimme vorgetragen. Kommunikation mit dem Publikum auf Französisch und Englisch und so locker, wie es einem Lokalmatador gebührt. Kein Name, an dem man so achtlos vorüber gehen sollte und sicherlich auch niemand, der nicht für eine zünftige Unterhaltung - nicht nur im Vorprogramm - sorgen kann. Er ist schon seit einigen Jahren mit wachsendem Zulauf im westlichen Teil Kontinentaleuropas unterwegs und ich bin mir sicher, es wird ihn über kurz oder lang auch mal nach Deutschland schwemmen.
Während dieser ersten Stunde war für Johnny und Konsorten 'der Tisch schon gedeckt', sein Stuhl stand vorne am Bühnenrand, die kopflose Gitarre lag daneben und auch der Rest war arrangiert. So dauerte die Pause dann auch nicht lange, kurzes Stimmen der Instrumente, Licht aus, Spots an und die Band spielte sich erst mal ohne den Maestro für ein kurzes Intro warm. Wie mittlerweile leider schon Usus, wurde Johnny dann auf die Bühne geleitet - schwer gezeichnet von den Exzessen der vergangenen Jahrzehnte, in denen er wahrscheinlich so ziemlich alles geschluckt hat, was gut und teuer war. Auch an Kommunikation kam außer »Thank you« und dem obligatorischen Anzählen »One, two, three, four« so gut wie gar nichts rüber. Ist für meinen persönlichen Geschmack zwar sehr schade, tut aber seiner spielerischen Qualität keinen Abbruch - und der große Redner war er eh nie.
Es war schon ein recht seltsames Bild: Ein alter Mann mit großem Hut auf einem Stuhl vorne am Bühnenrand, der aus seiner spielzeughaft anmutenden Gitarre mehr und schneller Töne raussliden und -zaubern kann, als viele, viele Kollegen, die wie Derwische über die Bühne wirbeln und Qualität mit spektakulären Bewegungen gleichsetzen. Seitlich davon und leicht nach hinten versetzt stehen dann Gitarrist Paul Nelson und Bassist Scott Spray wie große Prätorianer und wachen über den Herrn, noch verstärkt durch das recht beeindruckende und leicht erhöht positionierte Drumkit von Trommler Vito Liuzzi. Ob es dem Meister Spaß macht, vor einigen Hundert ehrlich begeisterten und mitgehenden Bluesrock-Fans in fortgeschrittenem Alter zu spielen, vermag keiner so recht zu sagen. Die Töne aus der Gitarre und die aus den Stimmbändern kommen beeindruckend klar und kräftig, rockig-bluesig rüber, die gute Akustik im Kursaal tut ein Übriges dazu. Mimik ist ein Fremdwort im Gesicht eines der letzten Vertreter aus der großen alten Garde weißer Blueser und der Stimmung tut es keinen Abbruch. Unterstützt von der Band, die passgenau zuarbeitet, liefert Johnny Winter einen soliden Querschnitt aus ganz alten bis hin zu den nicht ganz so alten Produkten und lässt sich sogar zu einer Zugabe 'überreden', wobei es höchstens gefühlte 20 Sekunden gedauert hat, bis er wieder auf der Bühne erschien - mit Gitarrenwechsel von der kopflosen Erlewine Lazer auf eine alte Gibson Firebird! Ich bin mir nicht sicher, an welchen Stellen ihn sein Körper so nach und nach verlässt, sicher ist aber eines, es sind weder die Finger noch die Stimmbänder.
Was mir am besten gefallen hat, welcher Song wirklich ganz oben und welcher ganz 'unten' auf der Liste erscheinen müsste, möchte ich gar nicht sagen. Das Gesamtpaket hat Johnny Winter überzeugend gut rübergebracht und ob jemand auf dem Barhocker sitzt und 'performt', weil es cool ist, oder ob es gesundheitliche Gründe hat, auf einem normalen Saalstuhl zu sitzen, spielt nun wahrlich keine große Rolle - Hauptsache es stimmt! Wichtig war es mir, ihn noch einmal live erleben zu dürfen, diese Show noch einmal mitnehmen zu können, denn im Grunde hatten wir Herrn Winter ja schon vor etlichen Jahren ein schnelles Ende vorhergesagt. Also, in diesem Sinne, ergreift die Chance, solange es noch geht.
Bilder vom Konzert
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