Kaum einem anderen Musiker fühle ich mich enger verbunden als dem Münchner Liedermacher Konstantin Wecker und das nicht nur wegen seines libertären Freigeistes und seiner bedingungslosen Hingabe zu Lukull. Mit seinen Liedern von "Genug ist nicht genug" (1977) und "Eine ganze Menge Leben" (1978) drückte er seinerzeit all das aus, was einem rebellischen Heranwachsenden auf der aufrührerischen Seele brannte. Es waren stets seine Schwächen, die Konstantin Wecker stark gemacht haben. Auch seine Irr- und Abwege strömten stets dem persönlichen Meer entgegen, das nun im reiferen, gesetzten Alter alles Erlebte vereint. Dem Liederzyklus seines aktuellen Albums Wut und Zärtlichkeit merkt man an, dass der 65-Jährige bei sich angekommen ist, aber immer noch neugierig auf das Unbekannte ist. 'Wut' und 'Zärtlichkeit' sind eben die zwei Seiten einer Medaille - Weckers Medaille. Und weil seine zärtliche Seite die berechtigte Wut ausgleicht, deshalb zeigt er dem Hörer nie eine hassverzerrte Fratze. Wenn Wecker sich heute dem Buddhismus zuwendet, möchte man ihm »Mei, wenn's hoit schee mocht...« zurufen, aber so isser halt: immer im Fluss - immer in Bewegung - aber immer ganz nah bei sich!
So schön des Barden Studioalben sind und immer waren, eines ist noch heute so sonnenklar wie vor bald vierzig Jahren: Live ist der Mann noch um Klassen besser. Eine unglaubliche Präsenz - ein bayrisches Urviech - schlichtweg eine Wucht. Deshalb ist es folgerichtig, wenn nun - nach Ende der ersten Hälfte der "Wut und Zärtlichkeit live"- Monstertour und kurz nach dem Start der 'zweiten Halbzeit' - ein Livealbum herauskommt, das vorwiegend in der Frankfurter Alten Oper und der Essener Philharmonie aufgezeichnet wurde.
Konstantin Wecker präsentiert sich hier mal wieder in Höchstform und ist die Fleisch gewordene Versinnbildlichung des (zugegebenermaßen blöden) Spruches »je oller, desto doller!« Mal poetisch - mal kämpferisch, mal lyrisch - mal unbändig, mal feingeistig - mal sarkastisch... Wecker zieht alle Register des Portfolios seiner gesammelten Lebenserfahrungen. Wenn er dann mal den Brüderle macht, indem er ins Dekolleté unserer Kanzlerin versinkt, löst er garantiert keine neue Sexismusdebatte aus, denn fast hat man den verschmitzten Eindruck »was sich liebt, das neckt sich«.... aber eben nur fast!! Ganz bärenstark ist die Vertonung des Gedichtes Erich Kästners "Ansprache an Millionäre" - ein Text von 1930, der heute noch so aktuell wie damals ist. Diese schonungslose Demaskierung der Gier zieht sich quasi durch das ganze Programm, von "Absurdistan" über den "Virus" und "Damen von der Kö" bis zu "Empört euch". Der letztgenannte Titel war das Paradestück des Studioalbums, kann aber in seinem geradezu orchestralen Arrangement, im Stil des TSO interpretiert, hier mit 'kleiner Besetzung' nicht 1:1 umgesetzt werden, was natürlich nicht erwartet werden konnte.
Nostalgische Reminiszenzen an die Spätsiebziger werden mit "Frieden im Land" und "Wenn unsere Brüder kommen" geweckt. Natürlich ist es naiv, seine Feinde umarmen zu wollen, aber Wecker hat es sich nie verwehrt, zu träumen, Utopien zu frönen. Und so zitiert er in diesem Zusammenhang auch den trefflichen Satz von Oscar Wilde: »Eine Landkarte, auf der Utopia nicht verzeichnet ist, ist keines Blickes wert!« Angesichts des Irrsinns rund um die Nazibande des sogenannten NSU hätte man sich allerdings auch die Reaktivierung des "Willy" gewünscht.
Rein musikalisch betrachtet, hat sich Weckers Spektrum enorm verbreitert. Gut... den rabenschwarzen Blues hatte er schon immer im Blut und wenn er heute beispielsweise mit einem blitzsauberen Boogie Woogie seinen Bösendorf Flügel zerlegt, dann weckt das ebenso wohlige Erinnerungen, wie die eingestreuten klassisch angehauchten Klänge. Auch Ausflüge in jazzrockige und folkige Gefilde genehmigt man sich diesmal und die federnden Reggae- und Rap-Einlagen zeigen, dass Wecker mit offenen Ohren Neues in sich aufsaugen kann. Auffällig ist die enorme Spielfreude seiner musikalischen Begleiter, allesamt virtuose Multiinstrumentalisten, mit der diese zu Werke sind. Da fühlt man sich an die legendäre Band aus den Siebzigern, um Raimund Huber und Marcus Sing formiert, erinnert. Sie zeichnen maßgeblich für die musikalische Vielfalt dieses Albums verantwortlich - kein Song klingt wie der andere.
"Wut und Zärtlichkeit live" ist eine sehr schöne Ergänzung (auch hinsichtlich der Ausstattung des DigiPaks) der Studio-Scheibe, allerdings keine Entschuldigung, Konstantin Wecker 'livehaftig' zu verpassen, wenn dieser im Rahmen seiner noch bis August laufenden Tour in der Nähe gastieren sollte!! Die Auftrittsorte findet ihr in unseren Tourterminen.
Line-up:
Konstantin Wecker (Gesang, Bösendorf Flügel)
Jo Barnickel (Keyboards, Piano, Akkordeon, Bass, Gesang)
Nils Tuxen (Gitarren, Bass, Gesang)
Jens Fischer-Rodian (Gitarren, Bass, Schlagzeug, Perkussion, Gesang)
Tim Neuhaus (Schlagzeug, Perkussion, Gesang)
Tracklist |
CD 1:
01:Wut und Zärtlichkeit
02:Absurdistan
03:Begrüßung
04:Die Kanzlerin
05:Fliegen mit dir
06:Ansage
07:Oh die unerhörten Möglichkeiten
08:Ansage
09:Bleib nicht liegen
10:Frieden im Land
11:Wenn unsere Brüder kommen
12:Es gibt nichts Gutes
14:Präposthum
15:Sage Nein!
|
CD 2:
01:Vom Schwimmen in Seen und Flüssen
02:Damen von der Kö
03:Ansprache an Millionäre
04:Schwanengesang
05:Weil ich dich liebe
06:St. Adelheim
07:Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
08:Weltenbrand
09:Der Virus
10:Empört euch
11:Was keiner wagt
12:Die Weiße Rose
13:Buonanotte Fiorellino
|
|
Externe Links:
|