Routine ist mein größter Feind auf Tour
Flyer Ray plauderte über das Tourleben mit Genesis, über Coverversionen und Techno-Remixe - alles getreu seinem Motto »You have to keep it fresh«

Fotos: © Dieter Pschibil, Christoph Heitzer
und Udo Gröbbels


Interview vom 31.01.2009


Udo Gröbbels
Ray Wilson hat mit seinen 40 Jahren schon so einiges erlebt und auch zu erzählen (was er im Interview gerne und ausgiebig gemacht hat).
Bekannt wurde der Schotte vor knapp 15 Jahren, als er mit der Band Stiltskin und der Single "Inside" einen weltweiten Hit hatte. Die etwas grungige Nummer traf den damaligen Zeitgeist perfekt und die Verwendung in einem Werbespot für eine Jeans-Marke tat ihr übriges. Einige Jahre später dann kam der ganz große Coup, denn die restlichen verbliebenen Genesis-Mitglieder holten sich Ray als Nachfolger von Phil Collins in die Band. Leider kam das Album "Calling All Stations" beim Publikum nicht so gut an und man legte die Band Genesis erst mal auf Eis. Seitdem (das war vor knapp 10 Jahren) ist Ray Wilson wieder in Clubs und auf Festivals unterwegs. Er macht aber einen sehr zufriedenen Eindruck und trauert der Zeit des Stadionrocks nicht mehr hinterher. Als ich ihn an diesem Freitagabend vor dem ersten Konzert der Tour traf, saß mir ein bestens aufgelegter Musiker gegenüber, der munter erzählte. Meine Bedenken im Vorfeld über eventuelle Verständigungsprobleme (wer schon einmal in Schottland war weiß nur zu gut, dass diese Sprache teilweise nur noch sehr wage mit Englisch zu tun hat) erwiesen sich zum Glück als haltlos.
Ray Wilson RockTimes: Hallo Ray, willkommen in Viersen zum Auftakt deiner Tour 2009. Bist du eigentlich immer noch nervös vor einer neuen Tour oder ist das 'business as usual'?
Ray: Nervös würde ich nicht sagen. Heute bin ich etwas aufgeregt da ich einige neue Songs im Programm habe und auch diese Musikerkonstellation auf der Bühne ebenfalls Premiere hat. Aber die Nervosität geht mit den Jahren verloren. Vielmehr ist es die Neugier auf die Reaktion des Publikums. Das dauert dann vier bis fünf Konzerte, bis wir uns zu 100 % eingespielt haben und alles sitzt - und dann wird es schon wieder langweilig (lacht). Kleiner Scherz, aber man muss auf Tour immer etwas ändern. »You have to keep it fresh« - Routine ist mein größter Feind auf Tour.
RockTimes: Als ich mich auf das Interview vorbereitet habe fand ich es etwas irritierend, dass du immer unter anderen Namen auftrittst. Mal ist es Stiltskin, dann wieder Ray Wilson & Stiltskin oder auch Ray Wilson solo. Glaubst du nicht, dass du die Leute mit den vielen Namen verwirrst?
Ray: Das hoffe ich doch sehr (lacht). Das hat schon seinen Grund. Unter Ray Wilson & Stiltskin mache ich einmal im Jahr, meistens im Herbst, eine Tour, wo es nur Rocksongs gibt. Heute Abend dagegen fungieren wir unter Ray Wilson-Acoustic Genesis. Hier gibt es neben eigenen Songs viel alte Genesis-Klassiker, die ich unplugged umarrangiert habe. Heute haben wir wieder einige neue Arrangements dabei.
RockTimes: Ich habe eben "Jesus He Knows Me" im Soundcheck gehört und fand es klasse.
Ray: Echt (freut sich)? Danke. Das haben wir jetzt ganz neu drauf. Man kann im stillen Kämmerlein ja alles proben, aber die Feuertaufe ist immer erst vor Publikum und man weiß nicht vorher, was funktioniert und was gar nicht ankommt.
RockTimes: Das passt genau zu meiner nächsten Frage. Ich habe vor knapp drei Jahren
Midge Ure getroffen und er war der Meinung, dass, wenn ein Songs auch akustisch im minimalen Gewand funktioniert, dies ein Beweis sei, dass der Song auch wirklich gut ist. Als Beweis hörte ich dann später eine Unplugged-Version des Ultravox-Klassikers "Vienna", die nur mit Stimme und Gitarre auch hervorragend klang.
Ray: Nun, das würde ich so generell nicht sagen. Nimm dir einen Song wie Bohemian Rhapsody. Ein wirklich geniales Lied, aber unplugged einfach nicht machbar. Aber ich verstehe was Midge meinte. Man kann auch in einer minimalen Unplugged-Version noch die Essenz eines Songs raushören und das klappt schon. Ich habe für das aktuelle Programm einige Genesis-Lieder ausprobiert. Wir werden sehen, was die Zuhörer sagen.
Ray Wilson RockTimes: Bist du manchmal traurig über die Tatsache, dass manche Leute Stiltskin immer noch als dieses One-Hit-Wonder aus den 90s ansehen und euch nur auf euren Hit "Inside" reduzieren?
Ray: Nein, aber wenn, ist das der Lauf der Dinge. Du hast Fans, dann hören sie deine Musik nicht mehr, neue Fans kommen dazu und kaufen die alten Platten usw. Das ist einfach ein Prozess, der niemals aufhört. Daher bin ich nicht darüber traurig.
RockTimes: Da du heute unter Genesis Acoustic auftrittst muss ich dich auch auf Genesis ansprechen, obwohl du dich sicher schon oft genug dazu geäußert hast. Trotzdem würde ich gerne wissen, wie die du deine Genesis-Karriere mit einem Abstand von über 10 Jahre heute siehst? Bist du im Endeffekt enttäuscht worden oder hast du auch positive Erfahrungen sammeln können?
Ray: Sowohl als auch. Das Schlimmste war die Zeit, nachdem sich Genesis dann aufgelöst haben bis zur ersten Platte von mir nach Genesis. Das war wirklich eine harte Zeit nach der Trennung. Andererseits habe ich natürlich das Glück gehabt, in einer der bekanntesten Bands der Welt zu spielen, was sicherlich nicht jedem vergönnt ist. Die Zeit und die Arbeit mit ihnen war klasse und ich habe das wirklich sehr genossen. Außerdem bin ich aktuell das einzige ehemalige Genesis-Mitglied, das noch Genesis Songs spielt - (überlegt)... - eventuell noch Steve Hackett, aber das weiß ich nicht.
RockTimes: Das bedeutet, dass du Genesis in die Gegenwart rettest?
Ray: Ja, kann man so sehen. Zwar gibt es im Moment auch einige hervorragende Cover- oder Tributbands, aber so gesehen, bin ich von den Ex-Mitgliedern der einzige, der die Fahne von Genesis hoch hält. Der Unterschied ist aber auch, dass ich die Songs umarrangiere, wobei die Tributbands sowohl die Show als auch die Songs 1:1 kopieren, was ich aber auch klasse finde.
RockTimes: Ein Kumpel von mir hat auf einem deiner Konzerte "Follow You, Follow Me" gehört. Er fand den Song klasse und wusste gar nicht, dass es sich dabei um ein altes Genesis-Lied handelt, weil die Version auch gar nicht nach einem typischen Genesis-Song klang.
Ray: Dann habe ich ja alles richtig gemacht (lacht). Genesis verbindet man eben einfach mit opulenten Keyboard-Arrangements und meine Version ist da schon anders, wobei man den Song noch erkennt. Welcher 18jährige zum Beispiel kennt denn auch heute noch Genesis-Alben, die 20 Jahre alt sind ? Niemand und das ist auch ganz normal. Viele junge Leute hören heute Coverversionen von Künstlern und wissen gar nicht, dass es sich dabei um ein Cover handelt.
Ray Wilson RockTimes: Stimmt. Sag mal einem jungen Limp Bizkit-Fan, dass "Behind Blue Eyes" von einer Band ist, die The Who heißt.
Ray: Genau, aber das ist auch nicht tragisch. Wichtig ist, dass die guten Songs überleben und das auch junge Leute gute Lieder zu schätzen wissen. Das war auch damals bei "Knocking On Heaven's Door" von Guns N' Roses nicht anders.
RockTimes: Nochmals zu deiner Genesis-Zeit. Wie war das Tourleben mit den Jungs von Genesis? Gab es damals auch diese berüchtigte 'Rock'n'Roll-Lifestyle' auf Tour?
Ray: (lacht herzlich) Wir reden hier über Genesis- das ist dir schon klar? Was glaubst du denn?
RockTimes: Ich denke eher kein Rock'n'Roll-Leben auf Tournee.
Ray: Und das ist genau richtig. Da ist kein Rock'n'Roll in Genesis. Alles lief absolut diszipliniert ab. Von Exzessen absolut keine Spur. Auf der Bühne gaben die Jungs - für ihre Verhältnisse gesehen - Gas, aber ansonsten war alles ruhig. Aber was willst du erwarten? Das waren Männer in den 50ern. Das wäre ja auch etwas lächerlich gewesen.
Das war aber auch nicht schlimm. Was mich auf Tour aber gestört hat, war die Routine. Von wegen »You have to keep it fresh«! Als die Tour anfing, wurde bei den ersten Konzerten noch am Setlist bzw. am Ablauf gefeilt, aber als man dann ein Set hatte, das gut ankam, wurde dieses stoisch bis zum Ende der Tour durchgezogen. Jeden, aber auch jeden Abend der selbe Ablauf und die gleichen Songs. Wie du mittlerweile gemerkt hast, widerstrebt mir das sehr.
RockTimes: Dein neues Album "Propaganda Man" wird aktuell nur über deine Homepage oder hier auf Tour verkauft. Warum bringst du es nicht auf einem normalem Label raus?
Ray: Ich habe das beim letzten Album auch so gemacht und es kommt auch später über ein Label raus. Mein Vermarktungskonzept sieht so das, dass ich ein Album zunächst nur so wie du bereits beschrieben hast, vertreibe. Nach einem halben Jahr habe ich dann meist genug Platten verkauft, um mir dann die entsprechende Werbung (Anzeigen in Magazinen usw.) leisten zu können. Ohne Werbung brauchst du keine Platte über ein Label zu vertreiben. Daher verkaufe ich also vorher nur so, damit ich auch ein entsprechendes Budget im Rücken habe. Wie es aber jetzt schon aussieht, werde ich "Propaganda Man" im Frühjahr auch regulär veröffentlichen.
RockTimes: Somit siehst du also das Internet nicht, wie viele deiner Kollegen oder auch die Plattenfirmen, als 'bösen Dämon' der die Musikindustrie kaputt macht, an?
Ray: (zögert etwas) Ja und nein. Natürlich hilft mir in diesem Fall das Internet beim Vermarkten schon, aber sicherlich bringt es auch viele Nachteile für den Künstler. Alleine die ganzen Downloads tun mir wirklich weh.
Ray Wilson RockTimes: Andererseits aber bietest du auch zwei Songs vom neuen Album auf deiner Homepage als kostenlosen Download an, was ja dann auch potentielle Käufer neugierig machen soll.
Ray: Glaub mir, wenn ich könnte würde ich MP3s abschaffen. Eher heute als morgen. Aber das ist nun mal der Lauf der Zeit und das kann man nicht mehr stoppen. Umso wichtiger ist das Touren für mich (Ray wird auf einmal sehr ernst). Glaub mir, ich will ja nicht rumjammern, aber die Entwicklung ist schon sehr bedrohlich. Die jungen Leute laden sich die Songs runter und wissen gar nicht mehr, was dahinter steckt.
RockTimes: Ich kann das gut verstehen und finde z.B. auch die Tendenz traurig, dass es kaum noch Plattenläden gibt, wo ein Freak hinter der Theke steht, mit dem man über Platten philosophieren kann, wie z.B. als Extrembeispiel im Film "High Fidelity".
Ray: (wieder entspannter und mit kämpferischer Stimme) Genau! Wir brauchen wieder Vinyl-Platten und keine MP3s.
RockTimes: Ich könnte noch stundenlang über das Thema mit dir reden, aber ich habe noch ein paar andere Fragen. Du bist Schotte, lebst in Polen und trittst sehr oft in Deutschland auf. Siehst du dich als einen modernen Europäer?
Ray: Ja, absolut. Europa ist eine tolle Sache. Ich genieße es, immer wieder in anderen Ländern aufzutreten und vor völlig anderen Kulturkreisen zu spielen. In Polen (Ray ist vor einiger Zeit zu seiner Freundin nach Polen gezogen - Anm. d. Verf.) spiele ich vor einem Publikum, das 18 - 20 Jahre alt ist, während hier in Deutschland die Leute zumeist 30 oder älter sind. Das ist immer wieder spannend. Ich habe Freunde in verschiedenen Ländern und mag es einfach, wenn sich alles mischt. Mein Lieblingsort ist definitiv Berlin und da besonders der ehemalige Ostteil, wo alle irgendwie ein bisschen freaky sind. Das finde ich herrlich.
RockTimes: Berührungsangst ist dir eh ein Fremdwort. Du hast sogar mal einen Song von dir für einen Techno-Remix freigegeben. Wie kam es dazu?
Ray: Armin van Buuren (einer der bekanntesten und erfolgreichen Techno-DJs, Plattenlabelchef und Produzent - Anm. d. Verf.) hatte einen Auftritt im polnischen Posen, wo ich wohne. Er spielte dort einen Riesenauftritt vor knapp 7.000 Leuten und wir sind dann ins Gespräch gekommen. Er hat dann meinen Song "Another Day" als Trance-Techno-Version geremixt und ich fand, dass er hervorragende Arbeit geleistet hat. Ich bin zwar kein großer Trance-Fan, aber es war eine interessante Erfahrung.
RockTimes: Vielen Dank für das ausführliche Interview und alles Gute für die anstehende Tour.
Ray: War mir auch ein Vergnügen. Viel Spaß beim Konzert!
Ray Wilson Beim anschließenden Konzert vor ausverkauftem Haus bot man dann, wie von Ray versprochen, genug musikalische Abwechslung.
In der Besetzung Schlagzeug, Bass sowie zwei Gitarren gab es das, was man auf deutsch einen 'Bunten Abend' nennen könnte. Neben Solo- und Stiltskin-Songs wurde aber auch jede Menge aus dem Genesis-Repertoire gespielt. Uralte Nummern wie "The Carpet Crawlers" mischten sich wunderbar mit Stücken wie "Follow You, Follow Me", "That's All" oder neueren Liedern wie "Jesus He Knows Me " oder "I Can't Dance".
Und aus dem Genesis-Umfeld war zum Beispiel "Solsbury Hill" von Peter Gabriel (Stimmungsgarant) zu hören sowie auch eine Gänsehaut-Version von "In The Air Tonight", die Ray als Zugabe alleine mit Akustikgitarre spielte. Andererseits waren "Another Day In Paradies" oder gar "Another Cup Of Coffee" von Mike & The Mechanics sehr überflüssig, was man auch an den Reaktionen des Publikums merkte. Witzig war wiederum seine Eigenkomposition - "The Airport Song".
Ray Wilson Das wirklich einzigartige am Konzert war aber die Tatsache, dass Ray und Band es schaffen, selbst einen so oft gecoverten Song wie "Wish You Were Here" von Pink Floyd immer noch etwas besonderes zu verleihen und das Publikum goutierte dies auch mit lautem Mitsingen. Nach zwei Sets von je einer Stunde plus einer kleinen Pause dazwischen ging dann nach einer tollen Version von "Land Of Confusion" gegen 23.30 Uhr das Licht wieder an und somit eine wunderbarer Konzertabend zu Ende. Gute Stimmung und einen Hammersound trugen ihr Übriges zum Gelingen mit bei.
An dieser Stelle noch ein eine großes d-a-n-k-e an Jane von Sounds Promotion für die Akkreditierung und das Interview. Besonderer Dank geht an das Team vom 'Saal Birgit' in Viersen, die uns ganz toll vor Ort betreut haben. Es ist wirklich eine Freude wenn man sieht, mit wie viel Herzblut dieser Saal betrieben wird. Einen Besuch vor Ort im 'Saal Birgit' kann ich wirklich empfehlen. Danke Jungs!!
Ray Wilson
Ray Wilson    Ray Wilson    Ray Wilson
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