Wabash Resurrection / Get It Off!
Get It Off!
Also, manchmal komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus.
Was wird doch heutzutage musikalisch alles ausgebuddelt!
Es gibt wahrlich kaum noch etwas, was es nicht gibt.
Keine Obskurität, Pretiose oder Kapriole scheint ausgefallen genug zu sein, um sie nicht auf einen Silberling zu bannen.
Ein weiteres Beispiel dieser Wundertüte liefert uns das 'Radioactive' - Label (oh, what a name!), spezialisiert auf Wundertüten aller Art, mit einer Band, die sich tatsächlich Wabash Resurrection nannte, um 1974/1975 herum in Illinois ihr Unwesen trieb und 1975 auf einem winzigen Privatlabel ihren einzigen Longplayer ("Get It Off!", 'Pepperhead' 76294 LP) veröffentlichte. Der Legende nach gab es nur 500 Kopien dieser Scheibe und nach meinen Recherchen dürfen heute für ein gut erhaltenes Originalexemplar mindestens 275 US-Dollar hingeblättert werden.
Wohlan demjenigen, der sich den schnöden Plastiksilberling zulegt, denn dieser bewegt sich doch in erheblich zivileren Bereichen, hat allerdings keinerlei Authenzität. Denn die Musik, die leider nicht aus den Rillen tropft, ist dermaßen ungeeignet fürs digitale Zeitalter, dass ich dringend für einen LP-Reissue plädieren möchte.
Bis es vielleicht mal soweit ist, schiebe ich die Minifrisbeescheibe in meinen Kasperplayer und umgehend befinde ich mich mitten in den Proben einer jungen, stürmischen, enthusiastischen, engagierten, etwas naiv klingenden und leicht dilletantisch rüber kommenden Garagenband im Trioformat, die zur Abwechslung mal in der Scheune spielt und vermutlich sämtliche ältere Generationen auf dem Gehöft mit ihrem Heavy Psych-Blues-Country-Rock 'n' Roll vertrieben hat.
Das Ganze klingt in der heutigen Zeit dermaßen antiquiert, dass es schon wieder eine wahre Pracht ist. Rein musikalisch sind neben den bereits genannten Attributen auch südstaatliche Elemente ausfindig zu machen, vor allem bei den Gitarrenlinien von "Society Woman". Aber auch sonst könnte hier die Parole "Garage-Lynyrd Skynyrd meets Crazy Horse" ausgerufen werden.
Der Opener "Pigsty Blues" kommt da eher als verschärfter Rock 'n' Roll mit Honky Tonk-Piano und Slidegitarre daher, gewürzt durch eine Gitarrenarbeit, die über zwei Spuren läuft, fein säuberlich in linken und rechten Kanal aufgeteilt, wobei die Leadgitarre letzteren beherrscht, während ersterer meistens der Rhythmus- und Slidegitarre vorbehalten bleibt. Diese Vorgehensweise erstreckt sich quasi über das gesamte Album.
Der Höhepunkt der Scheibe erklingt bereits beim zweiten Stück ("A Soldier's Lament"), ein Groover mit lässig melodischem Westcoast-Feeling und einer 'Bohrgitarre', die mich nicht nur hier ganz stark an ein Konglomerat aus Henry Vestine (Canned Heat) und Neil Young denken lässt. Nach einem Break geht dieses Stück plötzlich in einen irren Schweinsgalopp über, alles scheppert, rummst, stolpert und rast nur so durch die Gegend. Ein Blick auf die Coverrückseite verrät auch einiges über die Intention des flotten Dreiers: "Made Loud To Be Played Loud"
Ja, ja, ich hatte ja schon befürchtet, dass die drei Jungs die Scheune und deren Umgebung für sich alleine gehabt haben werden.
Erst recht beim Heavy-Riff-Rocker "Feelin' Good", wo es mächtig zur Sache geht. Das ist wirklich nichts für musikalische Feingeister, sondern eher ein Fest für Grobmotoriker.
Doch plötzlich gibt's eine Erholung mit "Country Heartache", einem soulig angehauchten Country-Rock-Schleicher, der glatt dem ganz jungen Rod Stewart gut zu Gesicht gestanden hätte, wobei Sänger und Gitarrist Bud Bailey freilich nicht annähernd an Roddys Röhre heranreichen kann. Er bringt aber die nötige Portion Dreck in der Stimme mit, um diesen vergleichsweise ungehobelten Pretiosen das benötigte Feeling zu verleihen.
Apropos Dreck, der Opener für die zweite Seite der ehemaligen LP hat beispielsweise solch herrliche Lyrikqualitäten wie "I dig those Rhythm and Blues/Don't try to tell me 'bout no astral projections/I got horse shit on my shoes" zu bieten. In der Tat, mit ausgefeilter Kunst vom Schlage eines Van Morrison und Werken wie "Astral Weeks" haben Wabash Resurrection nichts an ihrem imaginären Stetson.
"In Heat" rockt wie Sau, groovt und macht ob der relativen Schlichtheit einfach Spaß. Dann hören wir ein schmissiges "The Angel Came And Went", welches mich doch tatsächlich unwillkürlich an Dave Edmunds meets Henry Vestine denken lässt, die während einer durchzechten Nacht die Klingen kreuzen.
Nach dem bereits erwähnten "Society Woman", welches übrigens auch als Prototyp für Cowpunk durchgehen könnte, kommen wir schon zum letzten Titel dieser recht witzigen und unterhaltsamen Scheibe, nämlich "You Need Someone", einem Siebenminüter. Hier kommt mir plötzlich eine ungewöhnlich scheinende Synthese aus Lou Reed und den Rolling Stones in den Sinn, schöne, hymnenartige Melodieführung, mit leicht souligem Einschlag und einer gewissen südstaatlich schwermütigen Erdung. Der tapfere Bud Bailey überschlägt sich fast in dem Bemühen, mal zur Abwechslung richtig filigran zu spielen, aber das Vorhaben scheitert kläglich und kommt doch ausgesprochen sympathisch rüber.
Fazit:
Sympathisch ist das Stichwort, die drei Jungs an Klampfe, Bass und Schlagwerk, zuzüglich zwei Gästen an Piano und Mellotron, geben wirklich alles, haben genauso alles selbst geschrieben und sollten mit ihrer ungeschliffenen Musik zumindest den Genrefans große Freude bereiten. Natürlich haben wir es hier nicht mit einem Meilenstein der Rockmusikhistorie zu tun, aber als alternativer Kleinod, frei nach dem Motto "Hey, wenn du meinst schon alles zu kennen, diese Scheibe garantiert nicht", sind Wabash Resurrection allemal zu gebrauchen. Und Spaß machen sie obendrein!


Spielzeit: 37:29, Medium: CD, Radioactive Records, 2005
1:Pigsty Blues (3:42) 2:A Soldier's Lament (4:45) 3:Feelin' Good (5:20) 4:Country Heartache (4:40) 5:In Heat (4:48) 6:The Angel Came And Went (2:55) 7:Society Woman (4:13) 8:You Need Someone (6:55)
Olaf "Olli" Oetken, 06.03.2006