Widespread Panic hab ich erst recht spät kennen gelernt (da gab's die Band schon eine Zeitlang) - und zwar, wie könnte es anders sein, mit einer Liveplatte. Fast wie selbstverständlich war das eine der zahlreichen legalen 'bootlegs', die da kursier(t)en, nämlich die 3 CDs des Silvesterkonzerts 1998 aus dem Fox Theatre in Atlanta. Und es hat sofort gezündet! Was für ein herrlicher Groove, welche umwerfende Musikalität da drin steckte!
Diese Band, nach der Auflösung von Grateful Dead von vielen als das neue Aushängeschild des Jamrock gepriesen, hat seit ihrem Bestehen 1992 eine Menge Studioplatten vorgelegt (die fast alle hervorragend waren) und ihre Songs dann als Blaupausen für ausgiebige Jams genutzt, was bei mir in den kommenden Jahren den Stapel an 'Taper'-Mitschnitten natürlich erhöht hat, aber die Band hat auch irgendwann damit begonnen, ihre Bühnenpräsenz professionell produziert selbst zu vermarkten, so etwa mit der Doppel-CD "Light Fuse Get Away", "Another Joyous Occasion", "Live In The Classic City" oder auch mit der akustischen "Über Cobra".
Nach dem viel zu frühen Tod (oh Gott, was für eine Plattitüde) des Gitarristen Mike Houser, der 2002 im Alter von nur 40 Jahren einem Krebsleiden erlag, bestand die Band natürlich weiter, und das auf ausdrücklichen Wunsch Houser's. Der neue Mann an den sechs Saiten George McConnell wurde dann mit dem CD/DVD-Package "Live In The Backyard In Austin, Texas" vorgestellt. Und der passt hervorragend zur Band, ohne Mike Houser ersetzen zu können oder zu wollen. Sein Spiel ist eben anders, aber ebenso hochwertig.
Und, man ahnt es schon, nun gibt es eine weitere Liveplatte (als Doppel-CD), und wie "Über Cobra" auch wieder in Myrtle Beach, South Carolina, aufgenommen. Diesmal allerdings ein rein 'elektrisches' Set. Das startet mit einem meiner Lieblingssongs ("Ain't Life Grand"), gefolgt von dem fast 10-minütigen "Conrad The Caterpillar", das dann schon mehr die Richtung des Abends andeutet: Sattes Fundament, satte Gitarren, groovende Rhythmen.
Athens, Georgia (eben "The Classic City" - sie ist der Sitz der Universität von Georgia und ist wirklich ansprechend mit ihrem alten Antebellum-Feeling und voll relaxter Studentenatmosphäre - ich war selbst schon dort) ist die Heimatstadt der Band und auch der Producer-Legende John Keane. Neben Widespread Panic zeigt dessen 'Client-List' fast 160 Künstler (u.a. R.E.M., The Bottle Rockets, Taj Mahal und Vic Chestnutt).
Als Besagter Keane dann auf die Bühne kommt, fängt das Feuer an, so richtig bedrohlich aufzulodern (hier scheint wieder mal ein Gast äußerst inspirierend zu sein). Eine irrsinnig gute Version von "Don't Wanna Lose You", nichts weniger als eine Gitarren-Jam-Tour de Force. Man hat sich noch kaum erholt von diesen himmlischen Klängen, geht's nach über 17 Minuten übergangslos (logo...) weiter zu "Dirty Business" (im Original von The New Riders Of The Purple Sage). Für meine Ohren: Wieder Bingo, obwohl hier doch ein paar psychedelische Gesprenkel zu vernehmen sind. Das folgende "Stop Breaking Down Blues" von Robert Johnson kommt dann trotz mancher schöner Slide-Einlage schon ernüchternder, oder besser gesagt 'routinierter' daher.
CD 2 startet mit dem fast 24-minütigen "Papa's Home", das ich auch in einigen anderen Live-Versionen vorliegen habe. An diesem Abend im 'House of Blues' dient der Song dazu, den ausgeprägten Soli von Bass (Dave Schools) und Percussion bzw. Schlagzeug (Domingo Ortiz und Todd Nance) einen Rahmen zu geben. Das hat alles sicherlich Feuer und Spielwitz, ist für meinen Geschmack aber eher für das Live-Erlebnis als für die Konserve geeignet. Das soll jedoch kein Dogma sein, andere werden begrüßen, diese technisch versierten Selbstdarstellungen auch im Wohnzimmer genießen zu können.
Bei den Songs, die dann folgen, wird mir immer mehr bewußt, dass Widespread Panic mit dem Wechsel des Gitarristen auch eine leichte Kursänderung in den Arrangements vorgenommen haben, den Keyboards werden nun prominentere Anteile am Klanggeschehen eingeräumt. So finde ich, dass beispielsweise das allseits bekannte "Chilly Water" dadurch etwas zähflüssiger rüberkommt.
Insgesamt aber eine gute Platte, und eine gute Ergänzung vor allem zum Doppelpack "Light Fuse Get Away", das innerhalb des (offiziellen) Live-Katalogs von Widespread Panic auch weiterhin führend bleibt. Will sagen: wer noch gar keine Liveplatten der Band hat, macht mit letzterer sicherlich alles richtig. "Live At Myrtle Beach" hingegen scheint mir ein bisschen auf akademisches Schaulaufen 'getrimmt' zu sein. Den Dead ähnlich, gibt's ein paar Längen, vor allem in den psychedelisch geprägten Parts der Jams, aber echte 'Spreadheads' brauchen natürlich auch solche Klänge der Mannen aus Georgia.
Klanglich und produktionstechnisch ist das für eine Liveplatte auf einem Niveau, wie man es von einer richtigen 'Live-Band' erwarten darf.
Spielzeit: 115:28, Medium: Doppel-CD, Widespread Records/Sanctuary, 2005
Disc 1:
1: Ain't Life Grant (5:31) 2: Conrad The Caterpillar (9:24) 3: Don't Wanna Lose You (17:10)
4: Dirty Business (12:38) 5: Stop Breakin' Down Blues (7:37)
Disc 2:
1: Papa's Home (23:55) 2: Henry Parson's Died (6:45) 3: Action Man (4:41) 4: Postcard (4:23)
5: Bowlegged Woman (13:24) 6: Chilly Water (9:42)
Manni Hüther, 21.4.2005
|