Das hört sich ja nun gar nicht nach dem an, was man gemeinhin von Wilco kennt: programmierter, elektronisch vordergründiger Sound, dann ein kurzer Einschub von Streichern. Und gerade der erste Song ist schon gleich ein Fordernder, zumal er zum Schluss noch von verzerrten und sägenden Gitarrensounds bestimmt wird - mitunter ein wahrer Klangrausch. Ach ja, da ist ja auch, wie ich entdeckt habe, ein Fusion-Jazzer mit von der Partie, Nels Cline - ein Musiker, der schon immer für recht 'unbequeme' Sounds stand und mit zahlreichen Größen der Jazzgeschichte zusammenspielte. Er zeichnet sich für die Musik dieser Platte, "The Whole Love" betitelt, relativ stark soundbestimmend verantwortlich - spätestens immer dann, wenn es darum geht, dem Hauch von Pop einen klaren Dämpfer hin zu eckigen und kantigen Elementen zu verpassen.
Die Orgel klingt auf "I Might" stark nach den The Doors und über dem leicht hektisch klopfenden Schlagzeug 'schmurgelt' erneut die verzerrte Gitarre und gibt dem Song einen weiteren Aspekt der Vielfalt.
Wenn ich die Band aus den Anfangszeiten, als man Uncle Tupelo Lebewohl sagte, mit dem hier vergleiche, muss ich feststellen, dass sich eine Menge getan hat. Ein Wechselbad von Stimmungen tut sich auf: Trocken Rockiges steht neben verspieltem Pop, wüste Gitarrenorgien neben kirmesartigen Orgelklängen, bimmelndes Glockenspiel, exzellente Popmusik mit dem gewissen Etwas, das auch Gefühle zwischen Melancholie, Euphorie und Kraftprotzerei widerspiegelt, nicht ohne ab und zu auch noch einen gewissen Witz dazu zu geben.
Ganz stark klingen dann noch die Beatles und ganz besonders John Lennon durch, wenn der Song "Sunloathe" mit Retrosound auffällig wird.
Recht still und so richtig schön hört sich "Dawned On Me" an: Angedeutete Vibes im Hintergrund, sich windende Streicherarrangements, dezent gehauchter Gesang und eine Pedal Steel sind zu vernehmen. Ein wenig erinnert mich das atmosphärisch an die Musik von Crowded House , ein sehr schöner Titel! Tweedy erweist sich erneut als sehr guter Songwriter, der seine offensichtlich sprudelnden Ideen geschickt umzusetzen versteht. Dabei ist eine wachsende Reife zu entdecken, die den Weg vom Roots Rock zu dieser komplex arrangierten Musik klar und deutlich nachzeichnet.
Songs wie auch "Capital City" sind es, die einen deutlichen Brückenschlag in die Spät-Sechziger vollziehen und ich komme, da ich gerade von John Lennon sprach, nicht umhin, hier auch noch George Harrison mit ins Boot zu holen. Erst mit "Standing O" rockt es wieder kräftig, aber ebenfalls nicht mehr in einfachen Arrangements - diese scheinen endgültig ad acta gelegt worden zu sein. Hier sind es Individuen einer Band, die mit ihren Beiträgen die Ideen des Leaders umsetzen und zu einem großen Ganzen vereinen.
Eine großartige moderne Pop-Platte, die wohl nie in den heutigen, niveaulosen Charts landen wird. Schade, irgendwie schienen diese Zeiten einmal besser.
Ein gewaltiger Schlusspunkt wird mit einem gut zwölfminütigem Song, "One Sunday Morning", gesetzt, der ganz leicht und luftig mit einem sanften Folkanstrich startet. Das Glockenspiel lässt eine verspielte Atmosphäre aufkommen... diese Musik gab es so oder so ähnlich in den Siebzigern schon einmal: unangestrengt, einfach dahin fließend, sorgenfrei und einfach schön, wie ein barfüßiger Lauf über eine Schmetterlingswiese unter blauem Himmel, das Leben einfach einmal unbeschwert genießen, ein schöner Abschluss für eine ansonsten nicht ganz so einfach arrangierte Platte. Jedenfalls ist dieses ein betörend einfacher Song, der angenehm und irgendwie packend vor sich hin plätschert. Ich erinnere mich an ähnlich luftige Titel von Magna Carta.
Line-up:
Jeff Tweedy (guitars, vocals)
John Stirr (bass, vocals)
Glenn Kotche (drums, percussion)
Nels Cline (guitars)
Patrick Sansone (guitars, keyboards, vocals)
Mikael Jorgensen (keyboards)
Tracklist |
01:Art Of Almost
02:I Might
03:Sunloathe
04:Dawned On Me
05:Black Moon
06:Born Alive
07:Open Mind
08:Capitol City
09:Standing O
10:Rising Red Lung
11:Whole Love
12:One Sunday Evening
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