Ein typischer Name für eine Power Metal-Band (trotz der Doppeldeutigkeit durch den deutschen Sprachgebrauch)? Runen auf der CD? Ein nichtssagendes Cover? …Keine Frage, man hat wieder eine der zahllosen kitschigen, gesichtslosen Power Metal-Kappellen gefunden, wie sie zu Hunderten durch die Lande streifen und der Handvoll Bands nacheifern, die Erfolg hatten?
Tja; wenn man das gedacht hat, dann stellt man bald - und hoffentlich mit angenehmer Überraschung - fest, wie sehr man daneben liegt.
…Und, dass man dem Promotext diesmal besser geglaubt hätte, denn die Beschreibung trifft tatsächlich zu: "Power/ Progressive/ Traditional Metal, bestehend aus schweren Riffs, melodischen Leads, einprägsamen Gesangslinien im Wechsel mit akustischen Gitarren, progressiven Tempowechseln und brandheißen Soli".
Dazu sind Winterfell nicht etwa aus Schweden, sondern aus den USA; was die Vermutung nahelegt, wer wohl ihre größten Vorbilder waren: Iced Earth natürlich.
Und tatsächlich - wenn man wirklich eine Band nennen müsste, auf die Winterfell sich berufen, wären es die Mannen um Patriot John Schaffer. Dies rührt zum Teil daher, dass einige Passagen tatsächlich daran erinnern, liegt aber auch daran, dass es stimmt, was die Leute hinter dem großen Teich reden: Sänger Robb Graves klingt tatsächlich wie Ex-Iced Earth-Sänger Matt Barlow.
Wenn auch manche Stellen die Erinnerung an die Landsmänner wecken - die grundlegenden Songstrukturen sind bei Winterfell komplett unkonventionell. Sie sind tatsächlich eine Mischung aus Power- und Progressive Metal; aber nicht im Sinne wie Kamelot, Evergrey, Rhapsody, Blind Guardian, usw. - sie haben ihren ganz eigenen Stil gefunden, so dass einem das schon vergessen geglaubte Gefühl beschleicht, so etwas noch nie gehört zu haben.
Tadelloses technisches Können befähigt sie zu ihren Eigenarten - blitzschnelle Parts im stets überraschenden Wechsel mit ruhigen Klängen und schönen Akustikpassagen; von Anfang bis Ende unvorhersehbare Soli und eine präzise Rhythmus-Sektion, die nicht versucht, sich in den Vordergrund zu spielen und nur dezent und subtil ausbricht. Eine Zeit lang denkt man, sich daran festhalten zu können, da es der einzige Bezug zum Metal ist, den man bisher kannte - aber man wird getäuscht und begreift irgendwann, dass hier alle Teile ineinander greifen.
Wie auch immer, man kann es so sehen. Man könnte aber auch darauf verweisen, dass die Winterfell-Titel nur eine Aneinanderreihung von verschiedenen Passagen sind, die kaum einen Bezug zueinander haben, unlogisch aufgebaut sind und ins Nirgendwo führen.
Das ist im Grunde das Schöne an der Band, die sich übrigens selbst finanziert: Sie polarisiert - nicht etwa nach dem Motto: 'entweder man hasst oder liebt sie', sondern auf einer viel höheren Ebene; denn Winterfell ist eine Band, mit der man sich einfach auseinandersetzen muss.
Egal, welcher Seite man den Vorzug gibt, eines muss klar sein: Es wird auf die Dauer anstrengend. Winterfell ist definitiv keine Band für Anfänger. Nicht-Metaller mögen teilweise sicher in der Lage sein, lupenreinen Prog aufzuknacken, aber das hier ist Musik, die Vorwissen und Bezugspunkte voraussetzt.
Am Ende wird man sich einer Seite anschließen. …Welche es sein wird? Pro oder contra?
…Auch wenn Jeder bei dieser Band seinen eigenen Weg finden muss, zolle ich ihr höchsten Respekt. Eine Semi-Ballade, direkt danach ein Song, dessen Anfang von waschechten Death-Metallern stammen könnte - diese Band weiß, was sie tut.
"Bild' Dir Deine Meinung", kann mein Rat daher nur lauten.
Spielzeit: 54:21 Min, Medium: CD, Eigenvertrieb, 2005
1:Threnody (7:50) 2:Autumn Knight (4:48) 3:The Iris (4:17) 4:Legacy (5:25) 5:Asatru (6:37) 6:Once And Again (6:46) 7:Campaign Of Shadows (5:49) 8:The Beggar King (5:53) 9:Catacombs (7:08)
Christoph Segebard, 05.12.2005
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