Der Rock'n'Roll stirbt niemals…
…bewies mit gewaltiger Furore ein mittlerweile dreiundsechzigjähriger
Kanadier und immer noch unbeugsamer Rock'n'Roll-Rebell, ein Pop-historisches Phänomen, bei seinem Konzertauftritt in der Sachsenmetropole Leipzig am vergangenen Dienstag. Zwar nicht mehr im zerschlissenen T-Shirt und abgewetzten Jeans dafür im schlichten, mit Farbschlieren bedeckten, elfenbeinfarbigen Sommeranzug.
Neil Young hüpft hinter seinem Mikrofonständer auf und ab, als würden ihn und seine Gitarre Stromstösse durchfahren, und lässt das Publikum seine alles verzehrende Liebe zur Rockmusik mit durchleben.
Mit vierzig Jahren Musikerfahrung vermag es der introvertierte Liedermacher und Rocker mit seiner klagenden Fistelstimme und seinen Instrumenten auch heute noch, generationsübergreifend den Raum und die Herzen seiner treuen Anhänger auszufüllen. Seine Songs kann man in schwer verruchten Clubkellern ebenso begegnen, wie auch auf so mancher Trucker-Fete, oder sogar als Hintergrundsberieselung im Kaufhaus.
Sein Land, die USA, in denen er seit den Sechzigern lebt, befindet sich im Krieg. Die Kritik daran, besonders an der verhassten Bush-Regierung, lässt seine Texte politischer bzw. zynischer erklingen, und seine neuentdeckten Kompositionen wieder aggressiver und lautstarker proklamieren.
Er, welcher nie daran interessiert war, die Stimme einer Generation zu sein, ließ sich schon seit dem Woodstock-Auftritt mit seinen Kollegen Crosby, Stills & Nash, weder in eine künstlerische Zwangsjacke, noch vor den Karren des Establishments spannen. Unbekümmert erlaubte er sich musikalische Angriffe auf eine fette und designierte Generation des so genannten 'American Way Of Life', lieferte in seiner bildhaft-schlichten Sprache den Abgesang auf die absterbende Folkbewegung oder nahm schon recht früh den Punk und Grunge vorweg.
Mit seinem 1979 veröffentlichten "Rust Never Sleeps"-Album (Anm.d.V. Meiner Meinung nach das Young'sche Referenzwerk), verbreitete er auf einer akustischen und einer elektrischen Plattenseite sowohl Lagerfeuerromantik, als auch konsequente Zivilisationskritik - inklusive dem vielzitierten Song "My My, Hey Hey".
So bereitete es eine echte Überraschung, dass der inoffizielle 'Godfather Of Grunge' mit eben dieser energiegeladenen Hymne den zweiten Einstiegsbrocken, als gewaltige Saiteneruption, über die begeisterten Leipziger Arenabesucher entlud.
»My My Hey Hey, Rock And Roll Is Here To Stay, It's Better To Burn Out, Than To Fade Away…« singen einige der gut Neuntausend im proppenvollen Oratorium lauthals mit und lassen die Bühnenhandwerker schon zum Anfang hochleben.
Neil Young ist kein Mann der großen Worte: Außer einem verstohlenem »Thank You, Folks«, ist die Musik sein Sprachrohr, bringt er sein Instrumentarium im wiegenden Takt zum Sprechen. Es bereitet einfach Freude die Protagonisten auf der recht übersichtlichen Stage zu beobachten, wie sie wachsen, mehr Präsenz beweisen, als so manche jüngere Rock'n'Roll-Kollegen bei ihren computergestützten Auftritten.
Statt auf Nebelschwaden und Laserkanonen vertrauen Mister Young und seine fleißigen Gesellen - nicht zu vergessen seine Frau Pegi an verschiedenen Instrumenten, bzw. als Chorsängerin - auf wenige, dramaturgisch gezielte Scheinwerfer und explizite Bühnen-Accessoires.
So erstrahlt ein grellrotes Telefon neben dem Schlagzeug, starrt eine indianische Totemfigur mit hässlicher Fratze auf selbiges, als wolle es seinen Präsidenten verfluchen, oder eben nur die bösen Geister von den empathisch agierenden Musikern fernhalten.
Das Interieur mit dem überdimensionalen Ventilator vor einem schäbigen Gerüst mit blinkenden Buchstaben, entblößt den Charme eines Hinterhofs. Der Meister jagt mit wehendem Haar durch das Programm, lässt seine sechs Stahlsaiten verzerrt aufheulen wie ein Prärieschakal, als auch singen wie ein sich paarender Walfisch, erschafft schier endlos wirkende Krachcollagen, welche aber immer noch wohltuend für Ohren und Hirn wirken mögen.
Überhaupt leisteten die Tontechniker eine glanzvolle Arbeit, um in dieser eher nüchternen, neonbeleuchteten Sporthalle für ein ausgewogenes Dezibel/Raum-Verhältnis zu sorgen. Aber auch die Liebhaber seiner nostalgischen Countryvisionen kamen nicht zu kurz, seine mit Indianermythen angereicherten und von Wehmut durchzogenen Cowboypoesien, ließen im sehnsuchtvollen Wimmern der Pedal-Steelgitarre und Mundharmonika dutzende Augen verwässern.
Er singt von seiner Ranch in Colorado, über das Glück als junger Mann in einer Rock'n'Roll-Band zu spielen, über seine Kinder und die Unantastbarkeit wilder Natur. Er, welcher erst vor Kurzem dem Teufel entkommen ist und tiefe Trauer für seinen Vater in sich trug, bringt das verkrustete Herz eines noch so harten Rockers mit musikalischem Romantizismus zum Erweichen.
Er verteilt die Songs in den regulären zwei Stunden, wie die Farbkleckse auf der Leinwand, die ein Maler in Echtzeit während der Performance in kleine Kunstwerke verwandelte bzw. auf einer Staffelei präsentierte.
Von der Ehrfurcht, die man einst noch zu Zeiten von "Harvest" zu berichten wusste, ist bei den Leuten heute nichts mehr zu spüren. Angesichts der kräftigen Ticketpreise will sich das Publikum für sein sauerverdientes Geld verlustigen, diesen ultimativen Konzertabend
mit rhythmischem Klatschen und Johlen abfeiern.
Ein sich zäh dahinwälzendes Lärmmonster ergießt sich wie ein Wirbelsturm über die Bühnenbretter, schildkrötenartig die Köpfe zusammengesteckt, über ihre Saiteninstrumente gebeugt, arbeitet die Maschinerie, lässt ihre aneinandergereihten Soli stetig aufbäumen und zu einem elektrisierenden Getöse erwachsen.
Ab und zu löst sich Young samt seiner Gitarre, um vor einem gleißend gelben Scheinwerfer in typischer Rockpose, im wahrsten Sinne des Worte die Saiten zu zerreißen.
Nach gut zwanzig Minuten Youngschem Klang-Gewitter vom aktuellen "Chrome Dreams II"-Album ist das Werk vollbracht, eine tonale Apokalypse gerade noch rechtzeitig zum Halt bewegt.
Ein erfülltes Hallenrund forderte wie selbstverständlich eine Zugabe, und bekam sie an diesem Abend zum zweiten Mal in Form einer musikalischen Verbeugung an Denkmäler der Beatgeneration. Mit seiner Reminiszenz an die fabelhaften Vier und ihren "Sgt.Pepper", versetzte die Band die Konzertbesucher in den ersten Reihen mit einem orgastisch intonierten, phonestarken Ausflug in Hörgefilde jenseits von Gut und Böse, bringen den orchestralen LSD-Trip fast zum Überschäumen, bereiten dann aber ihrem dionysischen Musikfest ein rohes und unmittelbares Ende.
Die von den Feedback -Orkanen verzerrte, bzw. getötete Schönheit des Augenblicks, bleibt verdattert zurück, lässt die Menge erst langsam wieder in die Realität eintauchen. Die meisten von ihnen begreifen erst später, Zeugen einer musikalischen Seelenerkundung, einer lärmenden Meditation gewesen zu sein. Sie alle erlebten einen großartigen Abend mit einem einzigartigen Musiker samt Gefolgschaft, welcher sie mit der Erkenntnis zurückließ, dass der Rock'n'Roll wohl niemals sterben wird, wie auch nicht die Liebe zu dieser Musik.
»My My Hey Hey, Rock And Roll Is Here To Stay« kann man noch am 13.08. in Hamburg, am 19.08. in Berlin und am 23.08. in Coburg livehaftig nacherleben.
Da passt es doch ganz gut, dass just in diesen Tagen eine sowohl musikalische, als auch politische Konzertdokumentation mit den Titel "Déjà Vu" in die Programmkinos kommt, die während einer Tournee 2006 mit seinen früheren Musikerkollegen Crosby, Stills & Nash konserviert wurde.
RockTimes bedankt sich für die freundliche Unterstützung bei Irina Pötschke,
Känguruh Production Konzertagentur GmbH, und dem Personal der Arena Leipzig.
Bilder vom Konzert
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