Zenit/ The Chandrasekhar Limit
The Chandrasekhar Limit Spielzeit: 69:49
Medium: CD
Label: Galileo Records/Gonzo Media Group, 2013
Stil: Retro Prog, Neo Prog

Review vom 07.06.2013


Ingolf Schmock
Kaum zu glauben, dass ein kleiner Alpenstaat, in dem pikanterweise Geld nicht zum Himmel stinkt, und ein Dagobert Duck an prallgefüllten Goldspeichern seine helle Freude hätte, musikalisch nicht nur Käse, sondern durchaus auch so manches bildungsbürgerliches Liedgut hervorzubringen vermag. Am Genfer See werden seit Jahrzehnten musikalisch-stilistische Brücken und konzertante Monumente in Legenden-geweihten Boden geschlagen. Generationsprägende Einheitshymnen wie Smoke On The Water wären ohne gewisse schweizerische Zutaten womöglich nie geboren, und hätten so Rock'n'Roll-Fieber-infizierten Alm-Öhis den Griff zur Stromgitarre wesentlich erschwert.
Ob Yellos international etablierter Kunst-Pop, DJ Bobos großkotzig bizarre Tanzzeremonien oder Griffbretttechnik-kopierende Adepten altbekannter Känguru-Rocker, selbst unter einem altkonservativen Völkchen von Luxusuhrenträgern und Steuersünden-Hütern, erblickt der eine oder andere kreative Spross das Licht der Welt.
Ausgerechnet in jenem Schweizer Zipfel, wo südländisch verstrahlte Gemüter und Hesses aufrüttelnde Wortschöpfungen allgegenwärtig erscheinen, bewog es anfangs der Neunziger eine Handvoll Jungs, einigen musikalischen Vorschöpfern tatkräftig nachzueifern und ihre Kunstrock-motivierten Eigenkreationen professionell umzusetzen. Clepsydras musikalisch an Marillions Steilvorlagen orientierte Konzeptionen gewannen trotz instrumentaler Cleverness nie richtig internationalen Boden unter ihren Füssen. Ihre hochemotionalen und Italo-akzentuierten Neckigkeiten versprachen einst Heilung für einen pathologisch an sich selbst kränkelnden Prog Rock, scheiterten jedoch am Ende an den lustlosen Kopulationen mit weichgespülten Instrumentierungen, und verhängnisvollen Mängeln an Originalität.
Nach jahrelanger, von durchschnittlicher Anerkennung geprägter Durststrecke und vier ambitionierten, allenfalls für die staubigen Regale allessammelnder Genre-Nerds produzierten Tonträgern, warf Basser Andy Thommen das Handtuch, um 1998 mit mehreren interessenkompatiblen Tessinern, einen ehrgeizigen und trotzigen Feldversuch zu wagen. Geleitet vom historischen roten Faden progtechnischer Patenthüter und deren untrennbarem Erbe, vereintenZenit geraume Zeit später sowohl ihre instrumentale Befähigung als auch stilistische Zitierwut auf einem eigenproduziertem Studiodebüt.
Mittlerweile scheinen sich die Fünf, mit ihrem Hang zu Jazz-und Weltmusik beeinflusster Rhythmik, komplexen wie berückenden Harmoniegesängen sowie quicklebendigen Reigen von Retro Prog-geneigten Melodiebögen, der kompositorisch orientierungslosen Rotation entwunden zu haben. Immerhin haben sich die Herren ganze sieben Jahre Zeit genommen, um ihren, aus Schicksalen verglühender Sterne geborenen Inspirationen, ein musikalisch engagiertes und überaus nuancenreiches Antlitz zu geben. Zweifelsohne handwerklich dafür diplomiert, hausieren die Akteure völlig basteltrunken, einerseits mit reichlich wehmuts-implizierten Signen innovationsüberschäumender Rock-Häppchen, kokettieren andererseits mit der eigenen Virtuosität, sowie mit reinstem, in seifigen Wohlklang getauchten Kunsthandwerk. Was dem einen sein unbändiger Nagelpilz, ist für die Truppe des ex-Clepsydra-Bassisten und deren Drittling die geradezu inflationäre Verwurstung genrefreundlicher Stilelemente, ohne der homoöpatisch nachwirkenden Sanftheit der Kompositionen wirklich zu schaden. Natürlich verfügt "The Chandrasekhar Limit" über reichlich Zutaten und instrumentale Geschmacksverstärker, welche in jedem romantisierenden Prog-Duseleien verhafteten Konsumenten einen Serotoninspiegel-Anstieg provozieren und im Verbund mit dem sicher wohlgemeinten Überschwall an Kunstfrömmigkeiten für Gleichschaltung der Sinneszentren sorgen mögen.
Zugegebenermaßen bohren sich die schon obligatorischen Gilmour-Saitendiktate, samt der instinktiven Tasten-Götterspeise, und die mit poppigem Wohlgefallen gepaarten Esoterik-Süßlichkeiten eines sonnenbesoffenen Troubadours, in die Gehörgänge, multiplizieren sich dank fremdländischer, sowie jazzverschmolzener Fingerfertigkeiten, jedoch zu einem vielschichtigen und stimmigen Sound-Puzzle. Unbekümmert dekorieren hier kühle Musikstrategen, ihre nach popkulturellem Mehrwert lechzenden Lindwürmer mit naturbelassenen Zutaten gesättigter Prog Rock-Derivate, so wirbeln beispielsweise in "Matrimandir" mitreisende Ethno- und Fusions-Versatzstücke, nebst alt-indischem Sanges-Tamtam und den sich ewig verneigenden Schlaumeiereien angelsächsischer Kunstfrickler, gehörig durcheinander. Die übermächtige und ebenso ausgedehnte "The Daydream Suite" hingegen, versöhnt die schmierige Geschmeidigkeit von Melodramen verstrahlter Progopern und unangreifbar scheinende GötzenverehrungFloyd'scher Nachlässe, wenngleich eine mutierte Ladung Endlos-Moritaten bzw. aufgekratzter Sangeseitelkeiten die eindrücklich atmosphärischen Berg und Talfahrten gehörig ausbremsen. Mit zunehmender Spielzeit jedoch mag man sich des schleichenden Verdachts nicht erwehren, die Gefolgschaft eines rational denkenden und der bedingungslosen Knechtschaft musikalisch-prätentiöser Kunststücke unterworfenen Studio-Einsteins, opferte dabei minutiös ihren Altersdrang nach herem Anspruch und klinisch gereinigten Retrobekentnissen auf dem Altar der Eitelkeiten.
Letztendlich vermag man esThommens-Mittätern nicht verübeln, ihrem musikalisch selbst oktroyierten Bildungsmandat in Sachen verkünstelter Mätzchen kräftig Zucker zu geben, und ein immer bewährtes Füllhorn an üppigen Klangteppichen, reichlich Tempowechsel, Stilverquickungen und mediterranen Bänkelgesängen auf adretten Melodiebögen auszuschütten. Beim uneingeschränkten Genuss dieses wohlgemeinten, gleichwohl mit einer Überdosis an musikalischem Stimmungshack und ambitiösem Glutamat angereicherten Klopses, dürfte sich bei einigen Genrekost-Liebhabern ein leichter Anflug von Völlegefühl, bestenfalls der Drang nach nimmermüder Hörkasteiung ankündigen. Nichdestotrotz hält das Schweizer Machwerk in seinem Lauf »weder Ochs noch Esel auf« und so wird auch diese leider etwas dünnhäutig produzierte Silberscheiblette ein schattiges Plätzchen auf berstgefährdeten Ablagen des einen oder anderen sammelwütigen Prog-Archivars einnehmen.
Line-up:
Lorenzo Sonognini (vocals, acoustic guitars)
Luigi Biamino (guitars, backing vocals)
Ivo Bernasconi (keyboards)
Andy Thommen (bass guitar, bass pedals, backing vocals)
Gabriele Schira (drums, percussion)

Guests:
Stefano Zaccagni (saxophone -#3,5)
Gigio Pedruzzi (additional drums)
Diana Bernasconi, Asia Thommen, Ilaria Widmer, Maria Scandella (additional backing - #6)
Matt Goodluck (final words - #6)
Tracklist
01:Awaken
02:Club Lady
03:PiGreco
04:Matrimandir
05:Pulsar
06:The Daydream Suite
Externe Links: