Der Ärger mit der Rechtschreibung
Zwischenruf
Was ist richtig oder falsch?
Nun, es gibt viele Themen, über die es sich lohnt zu diskutieren. So z.B. über den Sinn oder Unsinn von Hartz IV, welcher abgewrackte Star sich als nächster erblöden wird, bei irgend einer noch blöderen Soap aufzufallen, und man kann sich natürlich auch trefflich über solche Grundsatzfragen streiten, ob eine Band nun aus Rumänien statt Bulgarien kommt, wobei es sich am Ende dann rausstellt, dass die Truppe ursprünglich in der Republik Moldau gegründet wurde (Es geht um O-Zone). Und da sie mit Rock genau so viel zu tun hat, wie eine original Thüringer Bratwurst mit einem Pfälzer Saumagen, interessiert uns diese Feststellung natürlich brennend.
Ebenso wie diese Themen, bewegt ein weiteres, weitaus wichtigeres Problem die schreibende Zunft der Nation, nämlich die neue deutsche Rechtschreibung. Von vielen schmählich auch als Falschschreibung bezeichnet, hat sie schon die seltsamsten Koalitionen hervorgebracht, z.B. die aus der Springer-Presse und dem Spiegel-Verlag.
Ich sah dieser Tage schon meine Mutter mit einem Brief von mir in der Hand kopfschüttelnd im Lehnstuhl sitzen und folgende Zeilen lesen: "Liebe Mama, ich danke dir ganz lieb für deinen Hinweis, dass ich an Stelle von Majonäse für die Salat-Soße meines Schikoree-Salates auch Jogurt mit einem kleinen Schuss Ketschup verfeinert, verwenden kann. Als Dankeschön bekommst du von mir demnächst eine selbstgemachte Nugat-Torte".
Meine Ältern (kommt doch von Alter - oder etwa doch nicht?) haben sich bestimmt gefragt, ob ihre Tochter zu tief ins Rotweinglas geschaut hat.
Klar, dass (früher schrieb man an dieser Stelle mal "daß") das Thema "Neue Deutsche Rechtschreibung" auch die Gemüter der RockTimes-Redaktion bewegt. Sicherlich lässt sich über Sinn und Unsinn dieser Reform redlich streiten. Wenn ich z.B. Schifffahrt mit drei "f" geschrieben sehe, bekomme ich regelrechte Alpträume, oh, sorry, Albträume.
Letztens diskutierten wir, ob nun Joe Peña mit einer einzigartigen, whiskygetränkten, rauen, zum Teil krächzenden Stimme ausgestattet ist, oder aber mit einer rauhen Stimme. Nun, mein Rechtschreib-Korrektur-Programm hat natürlich sofort gemeckert, die Stimme ist tatsächlich nur noch rau.
Noch verrückter ist die Regelung mit den Anredepronomen. Wusste man früher, dass Anredepronomen grundsätzlich groß geschrieben werden, unterscheidet man jetzt lt. neuem "Duden" folgendermaßen: die Pronomen "du", "ihr" und alle zugehörigen Formen werden auch in Briefen nicht mehr großgeschrieben.
Dagegen werden "Sie" (2. Person) mit allen zugehörigen Formen wie Ihre, Ihnen usw. auch weiterhin großgeschrieben (da dies vermutlich die Höflichkeit gebietet). Klar - Sie Esel feuert eine ungleich stärkere Breitseite als du Esel.
Alles klar bis hierher?
Ich kann mich noch an einige knallharte Regeln der Silbentrennung entsinnen, die wir in der Schule lernten. Dafür gab es sogar eine nette Eselsbrücke: "trenne nie "st", denn es tut ihm weh".
Nun Leute - vergesst es - wir können die Worte zerhacken, wie es uns beliebt. Statt "Aku-stik" trennen wir ab sofort "A-kus-tik" (ach ja, ein Buchstabe darf nämlich jetzt alleine auf einer Zeile stehen) - sieht richtig schick aus, wenn man die Zeitung liest und nicht weiß, was dieses einsame "A", das da traurig und mutterseelenallein auf der oberen Zeile nach seinem auf der nächsten zu findendem Rest Ausschau hält, eigentlich bedeutet.
Oder nehmen wir "E-
mu": sieht doch lustig aus, oder?
Ich denke, eine Zerlegung des Vogels auf meinem Mittagsteller mit der Geflügelschere tut dem Tierchen vermutlich weit weniger weh.
Sicherlich, manches hat Sinn. So auch die substantivischen Wortgruppen in festen Verbindungen, wenn sie keine Eigennamen sind. Als Beispiele nenne ich mal das neue Jahr, oder der italienische Salat (lecker), das olympische Feuer usw..
Nachdem ich mich durch über 90 Seiten goldener Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung gewühlt habe, schwirrt mir der Kopf.
"Ich weiß nicht was soll es bedeuten..." [Heinrich Heine]
Die Reform soll also manches vereinfachen. Zwischenzeitlich hab ich aber eher das Gefühl, dass das Chaos (oh - nein, das ist geblieben und wird nicht Kaos geschrieben) statt dessen noch größer geworden ist.
Für Schulanfänger, die von Anfang an mit der Reform aufwachsen, ist das sicherlich kein Problem, obwohl - die Pisa-Studie spricht eigentlich eine deutlich andere Sprache - aber das ist ein ganz anderes Thema.
Für uns älteren Jahrgänge ist das alles ein undurchdringliches Wirrwarr und schmerzt manchmal sogar das lesende Auge. Früher glaubte ich mal, in der Rechtschreibung relativ sattelfest zu sein - das hat sich nun gründlich geändert. Der Griff zum Duden gehört mittlerweile zum Alltag.
Übrigens, wenn jetzt jemand Rechtschreibfehler gefunden hat, darf er sie behalten. Vielleicht sind es aber gar keine.
Ilka Czernohorsky, 28.12.2004