Band-Reunions / Alte Namen in neuem Gewand
Zwischenruf

Abzocke oder Weiterentwicklung?
Ich weiß auch nicht genau, warum ich mir zu dem Thema in letzter Zeit immer häufiger Gedanken mache und diese jetzt hier mal niederschreiben möchte. Den Ausschlag zu dieser Entscheidung gab wohl die Tatsache des bevorstehenden Konzertes der Kultband Taste, die sich nach sechsunddreißig Jahren wieder reformiert hat und auf diversen Bühnen live zu sehen sein wird.
Es steht vollkommen außer Frage, dass in grob gerechnet vierzig Jahren Rockmusik jede Menge Personalwechsel innerhalb der einzelnen Bands vonstatten gingen. Das sind für so einen langen Zeitraum ganz natürliche Vorgänge, denn gesundheitliche Probleme oder musikalische bzw. private Streitigkeiten lassen sich nun mal nicht voraussehen. So ist es also kaum verwunderlich, dass es fast keine Band auf dieser Erde gibt, bei der noch die Originalbesetzung am Werken ist. So ganz spontan fallen mir da eigentlich nur die holländischen Rocker von Golden Earring ein, die in ihrer Vierer-Besetzung von Anfang an zusammen spielten und sich nur ab und zu mal mit einigen zusätzlichen Leuten verstärkten.
War es in den fünfziger bzw. sechziger Jahren noch relativ einfach, einzelne Gruppenmitglieder auszutauschen (besonders häufig bei den diversen Vocalbands, die bei Motown und ähnlichen Labels unter Vertrag standen), da zu dieser Zeit, in der die Single-Schallplatten den Ton angaben, bei den Fans oft nur die reinen Bandnamen bekannt waren, so hatten spätestens seit den Anfängen der Beatles und Rolling Stones alle Musiker ihre eigenen Anhänger. Jedes einzelne Mitglied stand nun im Rampenlicht des allgemeinen Interesses.
So war es nicht verwunderlich, dass die Folgeprojekte der Rockmusiker nach einem Split immer unter besonderer Beobachtung standen. Viele Künstler schafften es auch mit ihren Nachfolgebands wieder an die Spitze der Szene. Nehmen wir als Beispiel mal Leute wie Steve Marriott (Small Faces / Humble Pie), Paul Rodgers (Free / Bad Company), David Coverdale (Deep Purple / Whitesnake), Eric Burdon (Animals / War), Miller Anderson (Keef Hartley Band, Savoy Brown, Spencer Davis Group) und Carmine Appice (Vanilla Fudge / Cactus / Beck, Bogert, Appice / Travers & Appice) und wie sie alle heißen. Auch in deutschen Landen gab es solche "Mehrzweckwaffen" mit Inga Rumpf (Frumpy / Atlantis), Alex Conti (Atlantis / Curly Curve / Hamburg Blues Band / Lake), Michael Schenker (Scorpions / UFO / MSG) und Horst Stachelhaus (Message / Birth Control, Alex Oriental Experience).
Andere Musiker versuchten aus dem Namen ihrer ehemaligen Arbeitgeber Kapital zu schlagen, obwohl sie bei den jeweiligen Bands nur eine untergeordnete Rolle spielten. So war es absolut lächerlich, wenn ein Rod Evans, seines Zeichens Sänger der MK I-Besetzung von Deep Purple, unter eben diesem Namen auf Tour ging, oder Alan Lancaster (Bass) nach seinem Rauswurf bei Status Quo den Bandnamen für sich beanspruchte. Ich persönlich finde es auch peinlich, wenn sich ein Mann wie Glenn Hughes als 'The Voice Of Deep Purple' bezeichnen lässt.
Als drittes, und das trifft für die meisten Musiker zu, gibt es die Leute, die in neugegründeten Bands und Projekten nicht annähernd den Erfolg hatten, wie in ihren Stammbands. So müssen Männer wie Mick Taylor (ex Rolling Stones), Mick Abrahams (ex-Jethro Tull), Harvey Mandel (ex-Canned Heat), Peter Green (ex-Fleetwood Mac) und Ken Hensley (ex-Uriah Heep) deutlich kleinere Brötchen backen als in früheren glorreichen Zeiten, obwohl sie immer noch sehr gute Musik machen.
Was also ist zu tun, um die Sprossen der Erfolgsleiter wieder zu erklimmen? Natürlich, der alte Name der Band muss reaktiviert werden. Doch das ist in manchen Fällen gar nicht so einfach, denn manche persönliche Animositäten können oft nicht überwunden werden. So gibt es etliche Beispiele dafür, dass auf einmal zwei Bands unter dem (fast) gleichen Namen auf Achse sind. Man denke im Glam Rock Bereich nur an Sweet, die in Versionen mit Andy Scott bzw. Brian Connolly unterwegs waren. Erst durch Connollys Tod erledigte sich diese Farce. Auch in der Pop Musik und im Krautrock gibt bzw. gab es solche Beispiele mit Doppelausgaben von Middle Of The Road und Jane (unter Leitung von Klaus Hess und Peter Panka).
Doch nicht alle wiederbelebten Bands haben so einen negativen Touch. Nehmen wir uns im Deutschrock doch mal Birth Control vor, die inzwischen ja schon dreizehn Jahre zusammen spielen und dabei in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue Alben auf den Markt bringen und somit eine recht große Kreativität an den Tag legen. Ein Comeback, dass sich bisher für jeden ausgezahlt hat.
Eine weitere deutsche Rockband ist auf dem gleichen Trip: Epitaph tourt seit 2001 durch die Lande, hat (fast) seine alte Stammbesetzung an Bord und werkelt beständig an neuen Songs, die auch laufend auf der Bühne getestet werden. Zwar sind sie nicht ganz so kreativ wie Bernd Noske mit seinen Mannen, aber die neue CD ist noch für das Jahr 2006 geplant. Man kann also ohne Weiteres ein positives Fazit ziehen.
Etwas anders verhält es sich mit Lake, ebenfalls aus deutschen Landen. Aber zum Unterschied zu BC und Epitaph ist überhaupt kein Originalmitglied mehr dabei (lediglich Alex Conti gab schon mal ein kurzes Gastspiel in der Band). Trotzdem ist diese Reunion noch als gelungen anzusehen, denn auch hier gibt es ein neues Album, also gleichfalls eine musikalische Weiterentwicklung.
Und noch ein positives Beispiel gefällig? Die amerikanische Rocklegende Vanilla Fudge ist wieder aktiv. Zuerst mit zwei Urmitgliedern, jetzt aber wieder in Originalbesetzung. Auch sie touren, was das Zeug hält, die Studioarbeit trägt erste Früchte und brachte schon etliche neue Aufnahmen zustande.
Vor kurzer Zeit gab es weitere Reunions von der deutschen Band Karthago und der 60iger Legende Spooky Tooth, die jedoch keinerlei Aufschlüsse über deren Zukunft brachten. Immerhin produzierten die Engländer mit "Cross Purpose" eine neue Studio-CD, auf der Gary Wright nicht mit dabei war, und Karthago schnitten ihr Konzert in Berlin für eine DVD mit und traten außerdem bei der 1. Krautrocknacht des WDR Rockpalastes auf. Zu weiteren Zukunftsplänen ist aber bisher nichts bekannt. Somit können wir keine Bewertung über diese Wiedervereinigungen vornehmen.
Mit sehr gemischten Gefühlen, d. h. sehr skeptisch, beobachtete ich das Comeback von Ten Years After. Konnte der neue bis dato völlig unbekannte Joe Gooch einen Mann wie Alvin Lee ersetzen, der jahrelang als Lead-Gitarrist und Sänger das Gesicht der Band war? Kurz gesagt: Er konnte! Und wie! Ohne Alvin zu kopieren drückte er den alten Klassikern seinen eigenen Stempel auf und übernahm auch beim Songwriting eine gewichtige Rolle. Das Ergebnis bisher: zwei tolle Live Doppel-CDs und mit "Now" eine Studioproduktion, die sich vor keiner anderen Scheibe von Ten Years After verstecken muss. Dazu kommen noch hervorragende Konzerte, wovon ich mich auch schon selbst überzeugen konnte. Also auch hier kann man nur von einer gelungenen Reunion sprechen.
Ein weiteres Comeback steht jetzt an, kann jedoch noch nicht objektiv bewertet werden. Ich spreche von Cactus, einer weiteren Band der beiden Hall Of Fame Musiker Carmine Appice und Tim Bogert. Neben der bereits oben erwähnten Reunion von Vanilla Fudge, gehen sie mit Cactus ebenfalls konzentriert an die neue Herausforderung heran. Vorbereitet mit einer Veröffentlichung von Live-Aufnahmen der Band aus den siebziger Jahren, ließen sie mit "V" auch gleich eine neue Studio-CD folgen. Nun sollen zahlreiche Tourneen durch Amerika und Europa daran anschließen. Mal sehen wie dieses Projekt weitergeht. Das sieht alles nach einer produktiven Zusammenarbeit der Musiker aus, die noch viel erwarten lässt.
Zu den größten Überraschungen gehörte sicherlich das Zusammenkommen von Cream im Jahr 2005. Jedoch habe ich den Eindruck, dass der Kommerz ganz klar im Vordergrund steht, denn vier Auftritte in der Londoner Royal Albert Hall und vier Gigs in New York zu horrenden Eintrittspreisen, sowie Livemitschnitte auf CD und DVD lassen gar keinen anderen Schluss zu, zumal neue Songs oder weitere Tourdates im Moment nicht geplant sind.
Ganz wichtig bei Neuauflagen von alten, großartigen Bands ist natürlich, wer noch mit von der Partie ist. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Obwohl ich eben den Konzerten von Ginger Baker, Jack Bruce und Eric Clapton etwas skeptisch gegenüber gestanden habe, muss man eins ja wirklich anerkennen, dass da tatsächlich Cream aus den sechziger Jahren auf der Bühne standen und diese Gastspiele gaben, und zwar zu 100 %!
Lässt sich die Reunion von Thin Lizzy auch ohne Mastermind Phil Lynott in meinen Augen gerade noch akzeptieren, obwohl sich die Truppe ausschließlich auf das Touren beschränkt und keine neuen Songs in Arbeit hat, so ist in anderen Fällen sogar für mich die Grenze des Machbaren erreicht. Es kann einfach nicht sein, dass die Doors fünfunddreißig Jahre nach dem Tod von Jim Morrison unter diesem Namen weitermachen (okay, sie nennen sich jetzt Doors of The 21st Century). Genau so verhält es sich mit der Creedence Clearwater Revisited. Auch hier reicht eine geringfügige Namensänderung, um das Fehlen von John Fogerty zu rechtfertigen und seine Songs zu spielen.
Big Brother And The Holding Company waren kürzlich in Deutschland zu erleben. Das ist ja schon fast Frevel! Da könnte man auch gleich die Jimi Hendrix Experience ohne Jimi und Noel reaktivieren.
Und jetzt auch noch Taste. Nachdem Rory Gallagher die Band verlassen hatte, benannten sich John Wilson und Richard McCracken in Stud um, und planten unter diesem Namen ihren Neuanfang. Jetzt, elf Jahre nach Rorys Tod, gibt es die Reunion dieser Kultband ohne ihren kreativen Kopf. Wenn das man gut geht! Ich werde mir Taste in dieser Form ansehen und mir anschließend ein Urteil bilden, ob auch in diesem Fall etwas Positives dabei heraus kommt und dieser Bandname hier wirklich angebracht ist? Alles Geschmackssache!
Das es ganz anders geht, beweisen uns zum Beispiel Gerry McAvoy und Brendan O'Neill (ebenfalls jahrelange Begleiter von Rory Gallagher), die jetzt noch sehr erfolgreich unterwegs sind, allerdings unter dem Namen Nine Below Zero.
Es gehört schon ein ganz schön dickes Fell dazu, in dieser Konstellation den alten Bandnamen zu verwenden, und man sieht mal wieder ganz deutlich, dass das ganze Business der Rockmusik wirklich nur noch reine Geschäftemacherei ist. Lediglich die Kohle zählt noch. Ethik und Moral treten komplett in den Hintergrund. Das ist wirklich traurig, aber wohl nicht zu ändern.
Wie diese Beispiele zeigen, ist das Thema Band-Reunions sicherlich ein ganz heißes Eisen, zudem es 'zig verschiedene Meinungen gibt. Gerade so alte 'Rock-Säcke' wie ich, die viele dieser besprochenen Acts noch im Original erlebt haben, stecken heute in einer richtigen Zwickmühle. Einerseits fehlen uns die alten Helden, andererseits ist es natürlich sehr schön, die Klassiker aus den siebziger Jahren noch mal live auf der Bühne zu hören, und das nicht gespielt von einer Cover-Band.
Gar nicht so einfach, sich hier auf eine Meinung festzulegen!


Jürgen Bauerochse, 21.08.2006