Bootleg ist nicht gleich Bootleg
Zwischenruf
Alte Songs, neues Gewand.
Das Wort 'Bootleg' ist fast jedem Musikinteressierten ein Begriff. Meist wird damit der Schmuggel von verbotener Ware, bzw. Produktpiraterie in Verbindung gebracht. Also eine nicht autorisierte Kopie von einem Album oder ein heimlicher Mitschnitt eines Konzertes. Diese Schwarzpressung dient in erster Linie und bei den meisten Leuten nicht dazu der riesigen Musikindustrie zu schaden, sondern eher um eine seltene, unveröffentlichte Aufnahme sein Eigen zu nennen. Dass es auch hier schwarze Schafe gibt, die mehr am Profit als an der Musik interessiert sind und dies nicht sonderlich positiv ist, dürfte jedem soweit klar sein.
Was nicht jedem klar sein sollte: Seit Ende der 90er gibt es auch eine Musikrichtung, die als 'Bootlegs' verbreitet wird. Aufgrund der Begriffunklarheit findet man in diesem Zusammenhang auch die Bezeichnungen 'Bastard Pop' oder 'Mash-Up'. Gehört habe ich diese 'neue Musikrichtung' das erste Mal vor einigen Jahren in einem Underground Club in London - oh, wenn meine Mutter wüsste, wo ich mich rumtreibe.
Mit der Zeit ist sie aber - zu Recht - aus dem Untergrund in die Szene-Läden gekommen und erfreut sich nun immer größerer Beliebtheit.
Und über diese 'Bootlegs' möchte ich ein paar Informationen verbreiten - und wer jetzt an Jungle-Jazz-Hip-Hop-Pseudo-Techno-Musik denkt, liegt vollkommen falsch. Würde ich mir, als junger Bluesman, 60s/70s und Rock-Fan, sonst sicherlich nicht anhören.
Bootlegs sind Musikcollages aus Stücken von zwei oder mehreren Interpreten. In der Regel ist es die Gesangsspur von einem Titel, der über die Instrumentalspur eines anderen Songs gemischt wird. Oftmals werden dabei verschiedene Stile so zusammengemischt, dass ein vollkommen neuer Song entsteht - und ob man es glaubt oder nicht - diese sind sogar hörenswert!
Soundbeispiele gibt es am Ende des Artikels (es lohnt sich).
Natürlich ist das abhängig davon, wer die Sachen gemischt hat. Da diese Musikrichtung immer populärer wird, versuchen sich auch viele Leute daran, denen das Talent fehlt oder die das Hintergrundwissen nicht besitzen. Und - leider - immer öfter wird versucht, Songs so zu mischen, dass es für eine Chartplatzierung reicht. Dementsprechend kommerziell klingen die Songs dann auch. Der Unterschied ist deutlich hörbar - vergleichbar wäre das mit eurem Lieblingsrocksong und einem Rocksong aus den aktuellen Charts.
Dass - wie bei Wikipedia beschrieben - Mark Grunderson der Vater des Bastard Pop ist, ist nach meinen eigenen Erfahrungen falsch. Er war allerdings wohl der erste, der 1995 eine Bootleg-Single auf dem Markt brachte und versuchte, damit Geld zu machen.
In London, Anfang der 90er, wurden im Untergrund verbotene Partys veranstaltet. Verboten, weil die Locations nicht den Richtlinien entsprachen und die Veranstaltungen nicht angemeldet waren. Daher erfuhr man auch nur kurzfristig, ob und wo eine Party veranstaltet wurde. Auch war es möglich, dass sich die Location nochmal 30 Min. vor Beginn änderte - oder nach drei Stunden in eine andere Halle verlegt wurde. Ist heute allerdings immer noch üblich. Die DJs wollten den auserwählten Partygängern etwas anderes bieten, als die bekannten Szeneklubs. Es sollte dennoch für gute Stimmung sorgen. Also fing man an, bekannte Songs mit anderen bekannten Songs so zu mischen, dass diese durchaus tanzbar waren und - obwohl bekannt - man etwas vollkommen Neues hörte. Zum Beispiel ertönte aus den Lautsprechern "Billy Jean" von Michael Jackson und als alle dachten es wäre "Billy Jean", hörten Sie den Gesang von "Penny Lane" der Beatles - perfekt abgemischt. Diese Mix-Songs kamen so gut an, dass die Nachfrage stieg und sich die Musikrichtung weiterentwickelte.
Noch was: Der Gesang wird dabei allerdings nicht geschnitten und gesampelt, sondern im Original (ggf. mit ein paar Effekten, wie Echo etc.) drübergespielt. Die Kunst dabei ist, zwei Songs zu finden, die harmonieren. Dies ist übrigens ein Qualitätshinweis für gute Bootlegs. Pseudo-Bootlegger (auch die, die versuchen in die Charts zu kommen) benutzen der Einfachheit lieber Sample aus dem Refrain und mixen diese mit einem anderem Song.
Der Name Bootleg wurde deshalb verwendet, weil die DJs nach Belieben die Songs wählten - eine Lizenz für einen Remix, oder für die einzelnen Stücke, erwarben sie nicht - und auch wo sie die Gesangsspuren von manchen Songs herhatten blieb 'Firmengeheimnis'.
Da die DJs ja auch von etwas leben mussten, veröffentlichten sie ihre eigenen Mixe. Selbstverständlich ausschließlich auf Vinyl und in geringer Auflage (i. d. R. 500 - 1000 Pressungen). Diese gingen in auserwählten Londoner Plattenläden unter dem Ladentisch an die Anhänger dieser Musik. Ein Cover gab es aus Kostengründen - und um nicht aufzufallen - nicht. Die Papphülle war weiß und auf der Platte stand, wenn überhaupt, DJ-Name und Songtitel.
Mit steigender Popularität und Bekanntheit wurde dann, um Verwechslungen vorzubeugen, der Begriff Bootleg durch Bastard Pop oder Mash-Up ersetzt. Mittlerweile gibt es etliche Bootlegger - auch auf CD und natürlich höchst legal. Aufgrund der Vielzahl ist es schwer geworden, gute Bootlegs zu finden. Wer sich aber damit beschäftigt und ein wenig im Internet sucht, wird mit Sicherheit belohnt werden. Endlich kann man einen alten Song von Hendrix, Led Zeppelin oder den Beatles in neuem Gewand hören.
Sehr gut finde ich einige Sachen der 'Go Home Production'. Die liefern direkt das Komplettpaket. Nicht nur die Songs werden gemischt, sondern auch das Cover (siehe oben) - und auch die Musikvideos. Wo sonst hat man schon mal Freddie Mercury (Queen) mit AC/DC zusammen auf der Bühne gesehen? :-) Das wäre dann auch für mich direkt ein Anspieltipp und die perfekte Vorstellung eines Bootlegs → "Rock In Black": (AC/DC / Queen).
Und ein Video in mov-Format → "Paperback Believer": (Monkees / Beatles).
Go Home Production liefert auf deren Homepage einige freie Downloads - aber natürlich nicht ihre besten Werke.
Die Liste der Mix-Möglichkeiten ist unendlich lang. Dementsprechend gibt es Sachen die gefallen und Sachen die weniger gefallen. Aber wem "Rock In Black" gefallen hat - der sollte mal nach den anderen alten 70er Helden Ausschau halten :-)
Ich finde Bootlegs sehr interessant..... und ganz übel wäre dann die "Geschichte des Bastard Pop"... eine 40 minütige, 70MB große MP3-Datei von DJ-Food, die ich eben im Netz gefunden habe. Dort werden etliche Bootlegs von diversen Künstlern angespielt (auch 'ne schöne Reagge-Version von "We Will Rock You" bei und weitere hörenswerte Dinge).
Am besten hier und hier mal reinhören.


Tom Kaldyka, 14.08.2006