Editorial / August 2013



Editorial vom 01.08.2013


Steve Braun
Ein Editoral zu schreiben, wenn einem das erste Viertel des Monats komplett fehlt, ist schon reichlich gewagt. Zumal mir nicht nur in diesem letzten Drittel meines Jahresurlaubes mangels TV und Tageszeitungen jeglicher Kontakt zur Außenwelt völlig unterbunden war. Wenn nun die Bundeshauptstadt von einem Asteroiden atomisiert [damit könnte man leben] oder in Saarlouis eine Lyoner im zu heißen Kochwasser geplatzt [damit nicht!!] wäre - es wäre mir ebenso entgangen wie eine Reunion von Led Zeppelin oder ein brandneues Album von den Beatles, selbstredend in Originalbesetzung.

Ich liebe es... dieses Fokussieren auf das Hier und Jetzt. Jeder Moment, den man gerade erlebt, ist in diesem Augenblick der wichtigste. Sei es ein würziges Stück Pyrenäenkäse, mit einem kräftigen Schluck Côtes du Roussillon Village heruntergespült, oder ein Ehrfurcht gebietender Blick auf ein königliches Hochgebirgspanorama - in der Braun'schen Urlaubswelt hat Musik wenig Platz. Wahrscheinlich kann man diesen hektischen Brummkreisel des Musikbizz nur derart lange ertragen, wenn man sich gelegentlich völlig neu 'bootet'. Und trotzdem brach ich in diesem Urlaub erstmals
- ich schwöre es bei allem, was mir unheilig ist - mit dieser liebgewonnenen Tradition und nahm einen ganzen Packen CDs mit... und habe sie doch tatsächlich alle gehört... ohne, dass mir Blut aus den Ohren gespritzt wäre!! Nein, Dam' un' Herrn, natürlich nichts, was ich nach dem Urlaub zu besprechen gehabt hätte würden sollen müssen!! Und noch mal nein - Musik, die mir wirklich Spaß macht, was ja bekanntlich nicht zwingend mit dem zu tun haben muss, was später unter meinem Branding bei RockTimes zu lesen ist. Bedenklich und natürlich reflektierenswert ist allerdings, wenn sich dieser CD-Stapel aus den persönlichen, noch originalverpackten Einkäufen der vergangenen Monate (!!) vom Mailorder meiner Wahl zusammensetzt. Zumindest ich (in der Hoffnung und Zuversicht, dass dies meinen Kollegen besser gelingt) kann offensichtlich das 'Berufliche' mit dem 'Privatem' nur noch schwer verbinden. Und ebenso bedenklich ist, wie schnell man nach drei Wochen wieder im 'normalen Trott' ist...
Da kann man schon manchmal auf den etwas naiven Gedanken kommen, das Rad zurückzudrehen. In den Anfangstagen von RockTimes war der Spaßfaktor für den Einzelnen sicherlich beträchtlich höher als heute. Aber Enthusiasmus, gepaart mit Fleiß und harter Arbeit, wurde von Lesern wie unseren Promotionpartnern, Plattenfirmen und Künstlern gleichermaßen honoriert, was sich in beständig steigenden Leserzahlen und geradezu sintflutartig einschwappenden Rezensionsanfragen widerspiegelt. Erworbene Reputation ist schließlich sehr viel schneller wieder verspielt als sie erworben wurde. Mehr als ein gelegentlicher, manchmal auch zutiefst wehmütiger Blick zurück ist deshalb wenig angebracht, denn der Weg zurück in die Anfänge wäre purer Anachronismus. Es kann nur nach vorne gehen!!
Natürlich steht man noch unter dem Einfluss der Nominierung zum German Blues Award 2013, wenn man so wenige Tage vor seiner Abreise davon erfährt. Kollegin Andrea stand augenscheinlich bereits beim letzten Editorial unter diesem Eindruck. Alles andere als eine gewisse Portion Stolz über diese Würdigung unserer Arbeit wäre erstmal auch etwas merkwürdig. Gerade weil diese Nominierung die langjährige, kontinuierliche und oftmals anstrengende Wegstrecke von RockTimes im Blick hat.
Nun ist aber leider der Stolz ein sehr schlechter Ratgeber. Kaum eine Lebensweisheit meiner seligen Großmama hat mich für meinen späteren Weg mehr beeindruckt als dieses Zitat unseres Altbundespräsidenten Theodor Heuss: »Dummheit und Stolz wachsen auf dem selben Holz!« Gut, die Wortwahl ist vielleicht etwas drastisch (Papa Heuss schrieb seine Reden sympathischerweise zumeist nach der zweiten Flasche Lemberger), das ändert allerdings nichts am Wahrheitsgehalt dieser Aussage: Stolz verleitet dazu, sich auf dem Erreichten auszuruhen... es sich gemütlich und bequem zu machen... 'man' hat ja offensichtlich alles richtig gemacht - eine nur zu menschliche Regung. Ich denke aber, dass diese Nominierung Ansporn sein sollte, auf unserem eingeschlagenen Weg fortzuschreiten. Das Bessere ist schon immer der Feind des Guten gewesen! Zumal wir - wie hoffentlich nicht nur ich finde - auch in Musiksparten abseits des Blues ziemlich gute Arbeit leisten und dort ebenfalls personell gut aufgestellt sind.
Trotzdem: Egal, ob der Nominierung eine Designation in Form des begehrten Medien-Awards folgt, wir sind uns der Ehre und Anerkennung, die uns Plattenfirmen, Promoter, Veranstalter und natürlich die Freunde des Blues hiermit erweisen, bewusst und nehmen diese 'Streicheleinheiten fürs Gemüt' (und wer braucht die nicht gelegentlich?) dankbar und erwartungsfroh entgegen. Ob dann der German Blues Award 2013/Medien tatsächlich den Weg zu uns finden wird, ist eigentlich zweitrangig. Allein die Nominierung dafür macht uns - wenn auch nur für diesen Moment des Innehaltens - stolz!
Ein 'Pausenclown' sorgte im Juli mal wieder für Schlagzeilen. Bushido fiel erneut aus der Rolle, bzw. genauer: wurde seiner gerecht. Homophobie, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung, übelstes Machogehabe - Bushido zog alle Register seines fragwürdigen Sprachschatzes. Der Sinn und Zweck hinter solchen Äußerungen ist so simpel wie letztlich erfolgreich: Ein handfester Skandal bedient die Zielgruppe, fördert das Ansehen in dieser und die Verkaufszahlen gleichermaßen. Diesmal hatte sich Bushido einen Berliner FDP-Abgeordneten ausgesucht - bekanntlich macht er 'Opfer' nur zu gerne: »Ich will, dass Seran Tören ins Gras beißt« und mit »Du Schwuchtel wirst gefoltert« bekommt auch Berlins Regierender sein Fett weg. Wem ist Grünen-Chefin Claudia Roth nicht schon mal gewaltig auf den Senkel gegangen, aber eine Textzeile wie diese »Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz« ist schon starker Tobak!! Der Bundestagsabgeordnete der Grünen Omid Nouripour trifft zwar den Nagel auf den berühmten Kopf, wenn er völlig richtig anmerkt »Wer als Musiker so wenig Talent hat, muss zu solchen fragwürdigen Mitteln greifen«. Aber so einfach kann man es sich nicht machen. Hinter dem Skandal-Rapper stehen eine Menge von Fans, die sich nur zu gerne von solchem Imponiergehabe beeindrucken lassen. Bushido spielt mit dem Feuer - zündelt am sozialen Frieden, mit voller Absicht, denn intelligent genug scheint er jedenfalls zu sein, um die Folgen seines Handelns abzuwägen. Strafanzeigen, wie die medienwirksam inszenierte des Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit bringen da nicht nur wenig, sondern sind vielleicht sogar kontraproduktiv! Man muss fragwürdigen Gestalten wie Bushido langfristig 'das Wasser abgraben'. Dafür braucht es einen langen Atem. Und man muss viel Geld in die öffentlichen Hände nehmen, um Jugendlichen aus der Perspektivlosigkeit und Selbstaufgabe zu helfen. Geld, das zu anderen Zwecken jederzeit gerne locker sitzt, und somit solchen Populisten in die Hände spielt.
Stattdessen geht die Politik Bushido immer wieder aufs Neue auf den Leim, indem reflexartig rein auf der medialen Ebene reagiert wird, Strafanzeigen angekündigt werden oder die Aberkennung des Bambi für Bushidos 'Integrationsleistungen' (vielleicht der beste Witz des Jahres 2011!!) gefordert wird. Indiziertes Material verkauft sich bekanntlich bestens und der Sturm im Blätterwald wird sich sicherlich schnell gelegt haben. Die nächste Sau wartet schließlich bereits darauf, durchs Dorf gejagt zu werden...
Zum Abschluss noch etwas in eigener Sache: Die Schlapphutaffäre - eine viertklassige Schmierenkomödie rund um die NSA, den BND und das gesamte politische Berlin - hat auch bei der RockTimes-Redaktion für leicht verwirrtes Stirnrunzeln gesorgt. Vielleicht müssen unsere Leser zukünftig auf gewohnt bildreich umschriebene Konzertkommentierungen wie »...es herrschte eine Bombenstimmung...«, »...die Granaten-Songs wurden im Minutentakt abgefeuert...« oder »... es wurden keine Gefangenen gemacht...« verzichten. Auch auf überaus beliebte Charakterisierungen von stimmungsgeladenen Musikstücken wie »...ein Killer-Song...«, »...ein 'ohraler' Amoklauf...« oder »...pures TNT...« stehen nun intern zur Debatte, vielleicht bald auf dem Index...
Das ist natürlich blanker Unsinn, purer Sarkasmus als hilflose Reaktion auf diesen Polit-Irrsinn, an dem - über die Jahre - (fast) alle im Bundestag vertretenen Parteien beteiligt waren. Man weiß gar nicht mehr, wovor man sich mehr ekeln sollte: Vor der schlecht gespielten Ahnungslosigkeit der aktuell herumwurstelnden 'Gurkentruppe' oder der verlogenen Scheinheiligkeit vormals stümpernder 'Schobbemannschaften'.
Da helfen selbst die unbestrittenen Heilkräfte der Rockmusik kaum noch weiter...

Meint jedenfalls Ihne Ihrn,
Steve
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