Editorial / November 2014



Editorial vom 01.11.2014


Wolfgang Giese
Gute Musik, schlechte Musik

MOIN!
Wie oft habe ich das Folgende im Laufe der Jahre meiner Musikleidenschaft gehört und mich selbst dazu geäußert - die stets subjektiv geprägte Unterscheidung zwischen guter und schlechter Musik. Zwischen dem dreizehnten und fünfzehnten Lebensjahr etwa war ich eifriger Sammler von Singles.
Klar, das war die beste Musik, die es für mich gab. Bis dann etwas anderes kam, die Charts waren passé, LPs waren angesagt, die Palette wurde größer und bunter.
Aber eines blieb für mich. Die Musik der soeben verschiedenen Vergangenheit. Diese Musik der Singles blieb gut. Es kam nur neue 'gute' Musik dazu. Und so ging es mir von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt, immer neue, größere und interessantere Türen öffneten sich.
Und nebenbei gab es auch für mich noch jeweils immer die subjektiv betrachtete 'schlechte' Musik, also eigentlich alles, das ich eigentlich gar nicht mochte. (vielleicht aber auch nur, weil ich es nicht richtig kannte?)
Bis ich irgendwann einmal durch einen inzwischen leider verstorbenen Freund die 'Leviten' gelesen bekam. Sicher, er war kein Musikwissenschaftler, nur konnte er mir die Ohren und die Sinne für Tatsachen und Dinge öffnen, wie ich sie vielleicht noch nie vorher betrachtet hatte.
So war auch ich einer der sturen Puristen, die zur Zeit bestimmter Phasen andersartige Musik nicht betrachteten. In der Mitte der Siebziger gab es für mich zum Beispiel fast nur Jazz Rock und alles andere wurde schlichtweg vernachlässigt. Und das war ein Fehler, wie ich dann später erfahren sollte.
Angestachelt durch den damaligen Freund lernte ich, Musik anders zu hören und auf Feinheiten zu achten. So erfuhr ich, dass Swing nicht allein etwas mit dem Swing zu tun hat, den man gemeinhin aus dem Bereich Jazz kennt, sondern ein Gefühl ist, das Musik, das Musiker auslösen können. So wurde ich z. B. darauf aufmerksam gemacht, dass der erste Drummer von AC/DC swingte, dass es so etwas gibt wie Groove, elastische Verbindungen innerhalb der Musik - im Gegenteil zu statisch wirkenden Ergüssen vieler Künstler. Ich lernte zu unterscheiden, dass bekannte bleichgesichtige Blueskünstler gar keinen Blues spielten, sondern Blues Rock, und dass das genau die Unterscheidung ausmachte, nicht zwischen Authentizität und dem Gegenteil davon und auch nicht, ob die Musik Feeling hatte oder nicht. Nein, es war die Unterscheidung, ob Musik swingt oder nicht, ob sie lebt oder starr und relativ kalt wirkt.
Gut und schlecht, das wurde für mich nicht Gegenstand akademischer Betrachtungen, sondern eine Sache von Gefühl, eine Angelegenheit des Einlassens und Öffnens und nicht puristischen oder sturen Ablehnens. Und so war es dann auch, als ich eines Tages mit Haut und Haaren dem Jazz verfallen war, vornehmlich jenem der Fünfziger und Sechziger. Und so konnte ich gelassener an die Beurteilung von 'gut' und 'schlecht' gehen. Daraus resultierte dann auch die Erkenntnis, dass man nicht gedankenlos jedes Album eines Lieblingskünstlers kaufen sollte, denn auch jener konnte einmal schlechte Ergebnisse unter Berücksichtigung obiger Betrachtungsweise abliefern.
Und so bin ich niemand mehr, der bei belächelten Schlagerkünstlern verächtlich die Nase rümpft und sich lächerlich macht über deren Anhänger/innen, denn auch dort so wie in der klassischen Musik oder im Country-, Singer/Songwriter-, Folk-, Blues- oder Rock-Bereich, sehe ich Licht und Schatten.
Vielseitigkeit ist wesentlich interessanter als stures und bockiges Festhalten an einer Musikrichtung, selbst wenn man damit manchmal auf Unverständnis stoßen kann. Aber Engstirnigkeit ist ein weitverbreitetes Phänomen, so natürlich auch in der Betrachtung von Musik, und das bedauere ich immer wieder sehr. Denn es gibt nur wenige, die sich einmal die Mühe machen, entdecken zu versuchen, was ihnen vielleicht entgangen ist.
Und so passt dieses auch zu einem ganz wichtigen Thema, nämlich, dass RockTimes zehn Jahre alt geworden ist, und zwar ganz genau am 23.10.2014 um 24 Uhr - Geburtstunde war also der 24.10.2004. Dieses sollte ja anlässlich des letzten Redaktionstreffens gefeiert werden, dazu
hier mehr. Und was hat das nun mit meinen obigen Ausführungen zu tun?
Nun ja, für mich scheint es eindeutig. RockTimes existiert zehn Jahre und wie der Name eindeutig belegt, ging es vermutlich um Rock, als das Magazin aus der Taufe gehoben wurde.
So ganz genau weiß ich es nicht, aber seit nunmehr acht Jahren dürfte ich nun dabei sein, angefangen als Gastschreiber.
Und so hatte ich seinerzeit die Chance erhalten, dem Rock noch ein wenig Jazz hinzuzufügen.
Und mittlerweile tummeln sich unter dem Namen des Rock weitere musikalische Spielarten. So ist es Joachim, der sich stets als leidenschaftlicher Verfechter des Blues aller Schattierungen einsetzt, so ist es Steve, der mehr als einmal Strömungen des Southern Rock unter die Lupe nimmt und so hat wohl fast jede/r Rezensent/in mal den Blick über den Tellerrand gewagt und sich auch einmal Artfremdem gewidmet und dieses fachlich versiert vorgestellt, so dass zum Beispiel Veröffentlichungen von Singer/Songwritern schon von unterschiedlichen Mitstreitern besprochen wurden.
Auf diese Weise erweiterte sich die Palette des Magazins in einer für mich angenehmen und lobenswerten Ausprägung. Im Künstlerindex tummeln sich mittlerweile sehr unterschiedliche Bands und Künstler wie beispielsweise Abba, Abstürzende Brieftauben, AC/DC, Laurindo Almeida, Beach Boys , John Coltrane, Klaus Hoffmann, Cowboy Prostitutes, Dwight Yoakam, Sharrie Williams, The Band Of Heathens, Agalloch, John Lee Hooker, Sascha Gutzeit, Donovan, The Funky Knights oder Frank Zander. Ja, das ist doch einmal wert, erwähnt zu werden. Und all diese Künstler mit ihren Veröffentlichungen werden nicht nur kurz angerissen, nein, die Platten werden in der Regel schon ganz genau und ausführlich unter die kritische Lupe genommen.
Das ist schon ein Grund für alle Beteiligten, ein wenig stolz zu sein. Und dabei standen Ilka und Ulli stets voll dahinter und engagierten sich dabei über alle Maßen, ohne Einzelnen Beschneidungen jeglicher Art angedeihen zu lassen.
Schließlich ist es ihr Magazin, ihr Kind, und so ist es doch von hohem erzieherischen Wert, dass sie dieses Kind nicht autoritär, sondern mit vielen zugestandenen Freiheiten erzogen haben und trotz des jungen Alters von Zehn bereits in das Erwachsenendasein geführt haben!
Und es wird weiter gehen!
So, in diesem Sinne wünsche ich angenehme Tage und einen goldenen Herbst!

Wolfgang