USA - (K)ein Einkaufsparadies?
Bericht eines ernüchterten Musikfreaks
Wieder mal im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Diesmal in San Antonio, Texas - eine Stadt mit knapp 1,4 Mio. Einwohnern. In der drittgrössten Stadt des Lone Star State sollten doch auch eine Menge (Rock-)Musikfreunde sein. Sollte man wenigstens meinen, wenn man zum ersten Mal das Radio im Mietwagen anmacht und ein Sender nach dem anderen geile Musik runterspult.
Während auf dem einen Sender Great White grade ausklingt, auf einem anderen Led Zeppelin auf einer Stairway Richtung Heaven unterwegs ist hämmert auf KSAB 104 Ted Nugent sein Stranglehold runter. Tolles Gefühl, mit dieser alten (altbackenen?) Musik durch das unendliche Lichtermeer dieser grossen Stadt zu kurven.
Auf dem Inner Loop (Interstate 410), der - nomen est omen - die Stadt vollständig umfasst, gibt es natürlich eine fast wahnwitzig anmutende Anzahl von Einkaufzentren, Malls, Wal- und KMarts und und und...you name it, it's all there!
Ich kann meine Vorfreude kaum verhehlen, hab ich doch extra einige Zeit damit verbracht, meinen persönlichen Einkaufszettel zusammenzustellen mit CDs, die man zu Hause nicht oder fast nicht bekommen kann. Inmitten dieser dekadenten Fülle von Angeboten sollte doch alles zu bekommen sein, wenigstens aber die Mehrzahl. Sind doch viele der Interpreten und Bands sogenannte "Local Acts" - aus der Hauptstadt Austin, die ja nur ca. 120 km entfernt liegt.
Nachdem wir einen 18-Pack (!) Bier eingeladen haben (Sixpacks gibt's hier gar nicht mehr...nach dem Motto: "everything is bigger in Texas") halten wir mal in einem "Best Buy", sowas ähnliches wie ein amerikanischer Mediamarkt. Neben PCs, Kameras, Fernseher und DVD-Playern, Stereo- und Surroundanlagen findet man jede Menge Verkaufsfläche für CDs und DVDs. Ich stürze mich guten Mutes auf die CDs, gehe meine Liste durch und finde - absolut nix! Klar, die Interpreten meiner Begierde sind keine grossen Stars und haben deshalb kein eigenes Fach, also such ich nach CDs mit "M - others". Sowas gibt's nicht.
Die superfreundlichen Verkäufer fragen, ob ich alles finde, was ich suche. Sorry, Mister, not quite. Ich suche z.B. eine CD von Gurf Morlix. Where can I find that? "Oh, just check all Artists beginning with M, if it's not there we don't carry it" Na dann, thanks, Buddy, das hab ich mir auch schon gedacht...auch die DVDs für einen Bekannten finde ich nicht. Der hätte sich besser Madonna und Avril nochwas (the last name slips my mind) gewünscht - hunderte davon hätte ich kaufen können. Auch wer Led Zeppelin sucht findet sein Glück - ungelogen hatten die ca. 100 CDs von den Urvätern des Heavy Rock, aber Gott bewahre! - keine aussergewöhnlichen. LZ II scheint hier immer noch ein Renner zu sein, 40 mal steht das weit über 30 Jahre alte Teil im Regal...
Auch im "Music Outlet" geht's so, freundlich sind sie ja, die Amis. Aber sie haben neben regelrechten Tonnen von Classic Rock und abgefahrenen, aktuellen Chartsgedudel keinerlei Auswahl. Der Teenager, der mir behilflich sein will, zwinkert mich unsicher an, als ich nach Gurf Morlix oder Dave Zollo frage. Die denkt wahrscheinlich, ich hätte zuviel schlechtes Gras geraucht. Aber die zahnspannenbewehrte Kathy (die tragen alle Namensschilder) hat einen todsicheren Tip für mich: "Try Sam Goody's in Ingram Park Mall - they have a lot of variety" Thanks Kathy, das werd ich machen.
Die Mall mit seiner Unmenge von teilweise exklusivsten Shops ist wie alle Malls in Amerika sehr sauber und gepflegt. Dauert eine Weile, bis ich in diesem dreistöckigen Konsumtempel dann endlich Sam Goody's finde. Nachdem ich mich an lebensgrossen Portraits dieser Avril nochwas (die von oben) vorbeigekämpft habe kommt auch schon sofort Jeff auf mich zu. Was für eine Überraschung, Jeff fragt erst gar nicht, welche Musik ich suche, er fragt ob ich ein neues Handy mit einem unschlagbar günstigen Vertrag für T-Mobile möchte? T-Mobile - die Telekom? Ja, genau die!
No Jeff, thanks. But where can I find Gurf Morlix?
"Gurf who? Try our great Rap selection".
Jetzt bin ich dran und denke, dass Jeff zuviel schlechtes Gras geraucht hat ;-)
Aber Jeff ist ja ein Fachverkäufer (?), also mach ich mal einen Realitätscheck und frage nach der neuen Tom Petty.
Bingo! Jeff weiss tatsächlich, von was ich spreche und hat die natürlich auch "on sale this week". Aber bitte, on sale für $ 16.99? Die hat Walmart nicht im Sonderangebot der Woche und kostet dort trotzdem nur läppische $ 13.88. "You know. Jeff, I really wanted Gurf Morlix instead, thanks for the offer, see ya"
Die unglaublich schöne Innenstadt von "San Antone" mit dem architektonisch genialen Bars/Restaurants/Shops-Flair am Riverwalk, hat irgendwo in der Nähe des für die USA historisch äusserst bedeutenden Alamo einen CD-Shop, der laut seiner Website die von mir gesuchten Schätzchen führt. Jetzt komm ich mir vor wie der Depp, der ich wohl bin, denn ich hab mir die Adresse nicht aufgeschrieben und keiner weiss, wovon ich rede. Kein Wunder, sind das doch auch alle Touristen, allerdings nicht auf der Suche nach Musik, das steht fest. Wir laufen kreuz und quer im weiteren Umfeld des Alamo rum, finden aber nichts. Oh, doch, im Riverwalk-Center ist ja wieder ein Sam Goody's, wieder mit der scheinbar unvermeidlichen Avril nochwas im Schaufenster. Scheiss drauf, let's rather have a few Margaritas im Hard Rock Café.
Am ersten Wochenende wollen wir der Grosstadt entfliehen und fahren in's Texas Hill Country, genaugenommen in's 100 km entfernte Fredericksburg, einer "deutschen" Gemeinde. Altes Texas mit dem typischen Aussehen der Kleinstädte, "Bratwurst and Kraut" mit der deutschen Flagge vor den Restaurants...die sind alle stolz auf ihre deutsche Abstammung, einer sagt mir, er sei 100% Deutsch, versteht aber die Sprache nicht. Wenigstens heisst er Thomas...
In der Hauptstrasse dieses Städtchens (auf dem Schild steht beides: Main Street und darunter Hauptstrasse) befindet sich ein Musikgeschäft, das hauptsächlich Gitarren verkauft und - mir stockt fast der Atem: Die Gurf Morlix CD im Schaufenster! Der kleine Laden ist aber sonntags nicht geöffnet. Ich hätte mich besser für einen .44 Revolver interessiert, das Waffengeschäft war offen...
Ein paar Tage später waren wir im historischen Gruene mit seiner berühmten Gruene Hall (älteste Dancehall in Texas, seit 1875). Es gab sogar ein paar gute CDs von z.B. Robert Earl Keen im alten "General Store" (passenderweise hatten die eine handgeschriebene Liste mit den ca. 50 CDs, die sie im Angebot hatten) - aber die kann man auch hier zu Hause überall kaufen.
In San Antonio waren wir noch in einigen anderen Plattengeschäften mit dem Ergebnis wie oben. Manchmal hatten die Superstores von Walmart oder KMart mehr (!) Auswahl - eine alte Legs Diamond stand da im Regal - insgesamt aber genauso vereinsamt wie hierzulande.
Fazit: Die Musik, die hier oft angepriesen wird und all zu oft von amerikanischen Interpreten stammt, kann man genauso oft gar nicht mehr in einem Laden kaufen, auch nicht dort, wo sie herkommt. Oft findet man sie in Deutschland bei den kleinen, feinen Labels wie Blue Rose Records, Taxim, UlfTone Records oder auch den speziellen Mailorders wie etwa Glitterhouse. Ein Tip ist sicher auch Miles of Music in California.
PS: Wer wie meine Frau keine CDs sucht, wird mit allem anderen in den USA sicher fündig. Wir mussten dort extra einen weiteren Koffer kaufen, um alles zurückzuschleppen, was Lia so gefunden und diebisch lächelnd mit ihrer Kreditkarte bezahlt hat...in manchen Shops hab ich mich gewundert, wie lange man sich aufhalten kann, weil es zuviel gibt...nur war das halt nicht rund mit 12 cm Durchmesser...
Manni Hüther, 9.10.2004