Die Tränen des Schmerzes waren vermutlich mit Hilfe der Einnahme einiger Spezialflüssigkeiten schnell und wundersam über Nacht getrocknet, als Jogi seine strahlenden Helden einen Tag später vor dem Brandenburger Tor aufstellen ließ. Ja, so ein Ball ist eine runde Sache, wenn auch eine durchgehend ansprechende Leistung der deutschen Fußball-Elf bis hin zu europameisterlicher Konsequenz wohl der bekannt unerreichten Quadratur des Kreises gleich kommt. Aber nein, man täte ihnen unrecht, wollte man durch unangemessen harsche Kritik am sportlichen Hand- bzw. Fußwerk die feldübergreifenden, volkswirtschaftlichen Errungenschaften von Poldi, Schweini und Gefährten schmälern.
Eine ganze Kombination von ökonomischen Traumpässen gelang unseren rhetorisch geübten, einkommensstarken Jungstars im Zuge der letzten drei Wochen. Da freuen sich einerseits Philips und Samsung über den ungewohnten Hochschuss der frühsommerlichen Umsatzzahlen bei den LCDs genau wie andererseits die vor einigen Jahren noch unbekannte Branche der Schnellstoffnäher mit ihren international farbenfrohen Mustern im Material. Deren Endprodukte wiederum treten immer zeitgleich mit den Take-offs der extra anlässlich des Ereignisses landesweit eingerichteten Raketenbasisstationen in Aktion, gleich nachdem Ballack & Co. die Startkommandos dazu geben. So freut sich die saisonal äußerst streng limitierte Knall- und Blitz-Industrie als nächste auf den ungeplanten Zusatzgewinn.
Seit längeren Zeiten schon feiere ich meinen Geburtstag stets am 25.6. und kann mich nicht daran erinnern, dass Silvester jemals auf die Tage um die Sommersonnenwende vorverlegt wurde. Feuerwerke sind inzwischen gewöhnlich unterstützendes Begeisterungswerk jeder 'Fußballshow', genau wie beim "Brown Sugar"-Höhepunkt eines manchmal immer noch zünftigen Stones-Konzerts. Vor allem lenkt es ja so schön ab, beispielsweise von den neuesten, vergleichsweise lautlos stattfindenden Preis-Explosionen an den Benzinzapfsäulen hierzulande. Ein einfaches Prinzip - Brot und Spiele... Nicht erst gestern erfunden.
Was hilft's? Pyromania hielt samt Fußballfieber Einzug und meine Party fiel entsprechend einseitig, doch ebenso himmelbunt aus. Man muss als bereits WM-qualifizierter Public Viewer halt zurückstecken können und gefälligst hinter der Mannschaft stehen! Niemand hat schließlich behauptet, dass es leicht werden würde. Und ist das Gemüt im Eifer des Gefechts schon mal erhitzt, so gibt es reichlich verfügbare Sorten bewährten Gerstensaftes, die - mit gekonntem Effee natürlich - in die interne Kühlanlage gespült werden dürfen. »Die Leber wächst« bekanntlich »mit ihren Aufgaben«, ganz wie jener nationaltypische, ohnehin konjunkturschwankungsresistente Wirtschaftszweig zum Wohle Deutschlands auch.
Vize-Europameister sind 'wir' also. Ein mehr oder weniger ordentlicher Durchmarsch bis zum kleinen, unbedeutenden, verwurschtelten Endspielchen gegen Torrero-Torres' Espania. Wen stört's? Klar - früher hatten wir mehr kompromisslosere Titel - heute sind Tore titelwertig und schwindelerregend hoch dotiert. Gespart werden kann dafür beim Entertainment des treu ergebenen, mittlerweile aus allen, sogar beträchtlich weiblichen Bevölkerungsschichten rekrutierten Publikums dank zweifelhafter Emporkömmlinge namens Pocher und ihresgleichen, die Unterhaltung Marke Ikea-Style prägen - praktisch, billig, massentauglich. Früher hatten wir echte Fußballstars - heute grandiose Fanmeilen und schlaue High-Tech-Leinwände, die sich sozusagen stimmungsdienlich verdunkeln können, wenn Ballverluste, Abwehrpannen oder Sturmversuche bei Halbfinalkrimis in möglicherweise allzu schmerzhaft hohe Frequenzen auszuufern drohen.
Nun aber können wir uns endlich wieder dem gehaltvollen Abendprogramm - Pocher ohne Fußball? - widmen, oder doch lieber in Kneipen gehen und hin zu echten Konzertbühnen, um der für viele hier Lesende schönsten Nebensache der Welt zu frönen - guter, echter, vielseitiger, alter und neuer Rockmusik!
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