Es leben die Toten ...
Zwischenruf ...warum lässt man sie nicht in Ruhe?



Zwischenruf vom 28.06.2012


Jürgen Hauß
Jetzt hat es auch Joe Bonamassa getan: Auf seiner letzten CD Driving Towards The Daylight singt er zusammen mit einem Toten! Akribisch genau beschrieben stimmt das zwar nicht, denn der Komponist von "Who's Been Talking?" Howlin' Wolf singt den Song nicht gemeinsam mit Joe Bonamassa, vielmehr - so schreibt Boris Theobald in seinem Review - »gibt Howlin' Wolf die Richtung vor«, indem er einleitende Worte spricht und damit vorgibt, wie das Stück seiner Meinung nach zu interpretieren ist. Und Joe Bonamassa befolgt gehorsam diese Anweisungen für die genau 50 Jahre alte Nummer.
Sei's drum! Wieder einmal nutzt ein Musiker heutiger Zeit die technischen Möglichkeiten - ich wiederhole mich - heutiger Zeit, um durch die Kollaboration mit alten Helden ein wenig von deren Ruhm zu profitieren.
Vor genau 20 Jahren beschrieb bereits Der Spiegel unter der Überschrift »Tote tanzen« und dem Untertiel »Die Plattenbranche schwelgt in Nekrophilie - verstorbene Musiker singen und spielen, von der Technik auferweckt, zusammen mit den Lebenden« dieses Phänomen. Aktuelles Beispiel war seinerzeit die Sängerin Natalie Cole, die kurz zuvor einen Grammy erhalten hatte für ein Duett mit ihrem damals bereits 27 Jahre zuvor verstorbenen Vater Nat King Cole, das unvergessliche "Unforgettable"!
Und ebenfalls aus dieser Zeit stammte das weitere in dem Artikel genannte Beispiel von
Carlos Santana, der auf seinem Album "Milagro" gleich mit drei Leichen zusammen gearbeitet habe: Neben den beiden bereits toten Musikern John Coltrane und Miles Davis spricht der im Jahr zuvor ebenfalls verstorbene amerikanische Konzertimpresario Bill Graham (Fillmore East, Fillmore West) einleitende Worte.
Die Liste lässt sich fortsetzen: Im Jahr 1995 erschien das Queen-Album "Made In Heaven", das Songs des bereits vier Jahre zuvor verstorbenen Freddie Mercury enthält, die erst nach seinem Tod von seinen Ex-Kollegen - zumindest - fertiggestellt wurden. Und im selben Jahr veröffentlichten die drei damals noch lebenden Beatles-Mitglieder mit "Free As A Bird" einen Song, den John Lennon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts für sich selbst aufgenommen hatte und den sie nach Übergabe der Kassette durch Yoko Ono vervollständigt hatten.
Dass diese Art von Nekrophilie nicht ein ausschließlich männliches Phänomen ist, beweist z. B. Celine Dion , die im Jahr 1999 das Duett "All The Way" mit Frank Sinatra nicht nur auf CD aufnahm, sondern auch in Live-Shows präsentierte; die Video-Technik machte auch dieses möglich! Mögen es auch sehr persönliche Gründe gewesen sein, die die Sängerin veranlassten, den Song überhaupt aufzunehmen (die Credits zum Album lassen diese Motivation vermuten), dürfte die Einbindung von The Voice doch profanere Gründe gehabt haben (zumal der Song als Titelsong auf einer gleichnamigen "Best Of"-Scheibe veröffentlicht wurde, die - zusätzlich verkaufsfördernd - weitere »brand new songs « enthielt).
Ähnlich ausgefeilt war die Produktion von Katie Melua, die im Jahr 2007 mit "What A Wonderful World" einen 'gemeinsamen' Song mit Eva Cassidy aufnahm; einer Sängerin, die erst viele Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1996 einem breiteren Publikum überhaupt bekannt geworden war! Mit der für das Britische Rote Kreuz produzierten Benefiz-Single erreichte Melua ihren bislang einzigen Nr.-1-Hit. Bereits ein Jahr zuvor hatte sie in der BBC-Sendung "Duet Impossible", die sich dem vorliegend beschriebenen Phänomen angenommen hatte, ebenfalls 'gemeinsam' mit Eva Cassidy "Somewhere Over The Rainbow" performt.
Was ist dieses Phänomen denn nun wirklich? Nekrophilie, wie der Spiegel schrieb? Oder Heldenverehrung, wie Boris in Bezug auf Joe Bonamassa formuliert? Oder ganz einfach wohlkalkuliertes Profit-Denken, dem Umstand zu verdanken, dass man scheinbar Unmögliches möglich gemacht hat? Die Gründe für derartige Produktionen mögen in der Tat verschieden sein und - je nach Einstellung zum Künstler - unterschiedlich bewertet werden. Allen musikalischen Ergebnissen ist jedenfalls gemein, dass sie ein klein wenig Gänsehaut verursachen ob des scheinbar Undenkbaren - jedenfalls dann, wenn man aus Naivität bislang gedacht hat, dass Musik 'zusammen' eingespielt wird. Das dies nicht so ist, hat ja insbesondere Joe Bonamassa bereits anschaulich vorgemacht: Auf "Black Rock" präsentiert er im Duett mit dem - nach wie vor - noch lebenden B.B.King den Song "Night Life". Die Aufnahmen der beiden Musiker entstanden jedoch fernab voneinander, indem Bonamassa dem 'Blues Boy' die fertigen Aufnahmebänder in die USA schickte, damit dieser seinen Part dort draufsetzte. Auch dieses sicherlich ausschließlich zum Zwecke der 'Heldenverehrung'!

Honi soît qui mal y pense!