Es begab sich aber... - nein, nicht zur Weihnachtszeit. Es war eine Sommernacht im Jahr 1991, als es an unserer Tür klingelte und unser Babu (so nenne ich ihn jetzt mal) vor der Tür stand. Ziemlich kleinlaut und geknickt fragte er, ob er bei uns übernachten könne. Der Babu - wie die Jungfrau zum Kind waren wir zu ihm gekommen, bzw. eigentlich er zu uns. Aus sagen wir mal familiären Gründen war er, obwohl nur wenige Jahre jünger als wir, damals so etwas wie unser Ziehsohn geworden. Ausgesucht hatten wir uns das nicht wirklich, ein gerade achtzehnjähriger Hooligan, kurz davor aus der Ausbildung zu fliegen, ein Sixpack als ständigen Begleiter unterm Arm.
Zuerst war er vom gut katholischen Vater (»sonntags geh ich in die Kirche, montags schlag ich meine Frau«) wegen einer protestantischen Freundin zu Hause rausgeschmissen worden. Und jetzt auch noch von ebendieser Freundin vor die Tür gesetzt, wusste er nicht mehr wohin sonst. Also landete er bei uns, meinem damaligen Freund, mittlerweile Ehemann, und mir. Wir waren stadtbekannt, als ganz sicher nicht rechtsorientiert, ganz im Gegenteil.
Aus einer Übernachtung wurden einige - mit nächtelangen Diskussionen mit ihm und einigen seiner Kumpels. Irgendwo in diesen parolenverseuchten Hirnen vermuteten wir einen Rest Intelligenz und wurden auf Dauer nicht enttäuscht.
Zeitsprung ins Jahr 1992 - mittlerweile waren wir in eine andere Wohnung umgezogen und konnten Babu als Nachmieter unsere alte Wohnung überlassen. Er hatte mit seiner Ausbildung die Kurve gekriegt, stand kurz vor einem passablen Abschluss.
Wieder klingelte es an unserer Tür und ein aufgeregter Babu stand davor, in der Hand eine CD: »Die müsst Ihr euch unbedingt anhören! « Ein kurzer Blick darauf »Lass uns mit deiner braunen Sauce in Ruhe, du weißt genau, dass wir sowas nicht hören!«. Ein Wort gab das andere....bis schließlich Babu forderte: »Ihr redet immer von Toleranz, jetzt hört sie euch wenigstens einmal an! «.
Autsch, erwischt....sauber den Spiegel vorgehalten. »Also gut, leg halt auf. « Wir erwarteten stumpfsinniges Oi!-Gegrunze und dumme, faschistoide Sprüche.
Stattdessen empfing uns ein Orgelchoral als Intro. Direkt danach das erste Lied, "Heilige Lieder". Ich muss vorausschicken, dass ich mir Musik ganz stark über die Inhalte erschließe, Text ist mir sehr wichtig. Der Refrain lässt mich stutzig werden, hatte Babu nicht vorhin noch erklärt, die Onkelz seien nicht mehr rechtsradikal?
»Die Erde hat uns wieder,
so wie sie uns kennt,
mit scheinheiligen Liedern
erobern wir die Welt.«
Das lässt sich ja nun in jede Richtung interpretieren, welche Lieder sind denn jetzt die scheinheiligen? Die alten mit den ausländerfeindlichen Parolen? Oder das vorliegende Album? Wollen sie als Wolf im Schafspelz die Charts erobern? Wie ernst ist das zu nehmen, sie hätten sich distanziert von rechtem Gedankengut?
Auch das "Buch der Erinnerung" gibt noch keine echte Entwarnung, auch wenn Sinnsuche...
»Mein Leben war oft wie ein Spiel
Wie ne lange Reise ohne Ziel
Eine Suche nach dem, der ich bin
Die Suche, die Suche nach dem Sinn«
... nun nicht gerade nach dumpfer Parolenbrüllerei klingt. Aber nicht alle Rechtsextremen sind unbedingt primitiv und dumm - es gibt auch intelligente, die sehr gewandt argumentieren können. Steckt das dahinter?
In "Nenn mich wie du willst" wird endgültig deutlich, dass es nicht leicht ist, die Texte der Onkelz eindeutig zu interpretieren.
»Ich habe zwei Gesichter, ich bin nicht doof, doch auch nicht schlau
Ich gehe sonntags in die Kirche - montags schlag ich meine Frau
Ich bade mich in Dummheit, bin ein übler Denunziant
Ich kreuzige mich selbst und ich bin stolz auf unser Land«.
In jedem Text finden sich Stellen, die sich so oder so interpretieren lassen, das Gesamtgefüge jedoch zeigt ein anderes Bild. Die Themen, mit denen sich Stephan Weidner, Bassist, Songwriter und Mastermind der Band, auseinandersetzt, gehen inzwischen weit über Suff, Fußball und Randale hinaus. Aus den Liedern ("Scheißegal", "Gehasst, verdammt, vergöttert", "Wir schreiben Geschichte") brüllt die Wut auf die Gesellschaft, die ihre Wandlung nicht akzeptieren wollte - mit deutlichen Metal-Anklängen auch musikalisch ausgedrückt. Sie nehmen dabei kein Blatt vor den Mund, so prollig und dreckig wie die Texte, ist in diesen Stücken auch die Mucke. Sie spricht den Underdog im Zuhörer an und bewegt ihn zum Mitjaulen.
Wie rechts waren sie nun eigentlich wirklich? Diese Frage ist fast unmöglich zu beantworten. Zu viele Geschichten kursieren darum, schon von den Zeitzeugen gibt es die widersprüchlichsten Aussagen.
Viele Auszüge aus der 1997 erschienenen Bandbiographie "Böhse Onkelz, Danke für nichts" des Musikjournalisten Edmund Hartsch und weitere Informationen sind auf dunklerort.net nachzulesen.
Der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen äußert sich in seiner Broschüre "Skinheads und Rechtsextremismus" (auf Seite 49/50) folgendermaßen:
Zusammenfassung:
»In den aktuellen Liedtexten der Gruppe "Böhse Onkelz" werden keine Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen gesehen.
Ältere Liedtexte der Gruppe sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert.
Die Gruppe hat diese Titel bei den Konzerten in NRW nicht gesungen. Soweit bekannt ist, wurden diese
Titel auch bei den Konzerten der letzten Tournee außerhalb NRW's nicht aufgeführt.
Gerade diese Titel sind allerdings in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene beliebt. Sie werden durch
den rechtsextremistischen Versandhandel weiterhin, teilweise auch als Raubkopien, verbreitet. «
Die Medien haben noch lange, nachdem die Band sich offiziell distanziert hatte, Indizien ausgegraben, dass diese Distanzierung nur Publicity sei. Bereits 1987 hatten die Onkelz sich eindeutig gegen rechtsradikales
Gedankengut ausgesprochen, noch 1993 wurden sie, wegen der Proteste anderer Künstler von der Teilnahme an "Heute die, morgen du - Rock gegen rechts" in Frankfurt ausgeladen.
Und noch immer findet sich auf www.netz-gegen-nazis.de eine ellenlange Diskussion aus dem Jahr 2008 (!) zu diesem Thema. Ich selbst durfte schon 1992 in Kaiserslautern auf dem Konzert erleben, wie einige wenige Besucher meinten, mit Hitlergruß vor der Bühne stehen zu müssen, daraufhin von der Band angedroht wurde, das Konzert abzubrechen und diese Kandidaten sehr schnell aus dem Saal geführt wurden.
Zweifelsohne spielte die negative Medienresonanz den Onkelz auch jede Menge Interessenten und Fans zu und es kann sogar der Eindruck entstehen, dass die Band dies, wenn schon nicht bewusst provozierte, so doch nicht ungeschickt nutzte. Sie kultivierte auch in den weiteren Alben das 'Wir gegen den Rest der Welt' - Lebensgefühl ausgiebig.
Neben diesem Dauerthema finden sich aber auch ganz andere Aspekte, wie beispielsweise die Sinnsuche, die auch im "Schrei nach Freiheit" "aus dem Dunkel ins Licht" führt. Oder aber die Liebe, die in "Noreia" besungen wird. Diese Nummern sind deutlich langsamer und getragener als der Rest, stellenweise fast melancholisch.
Ratlosigkeit ist das Thema in "Ich bin in dir", Schmerz und Verlust werden in "Schließe deine Augen"ausgedrückt.
Außer der obligatorischen Selbstverherrlichung in "Gehasst, verdammt, vergöttert" und "Heilige Lieder", die auch mit Augenzwinkern betrachtet werden kann, gibt es Anzeichen, dass die Onkelz tatsächlich auf dem "langen Weg" sind:
»Wer hat nicht schon von uns gehört, ob er wollte oder nicht?
...den Namen, der so viele stört, doch alle Herzen bricht.
Die Band, der Mythos, die Legende, was immer man erzählt,
der Gestank der Vergangenheit liegt mit auf unser'm Weg.
...auf unser'm Weg, auf unser'm Weg
Refrain 2:
Es war ein langer, langer Weg,
und niemand sagte, es wird leicht.
Wir hatten nichts zu verlier'n und kein Weg war uns zu weit.
Es war ein langer, langer, langer, langer Weg,
und es wird Zeit, dass man ihn geht.«
Wobei 'DIE Onkelz' an dieser Stelle eigentlich nicht ganz richtig ausgedrückt ist. Die Band ging DIESEN Weg keineswegs geschlossen und zeitgleich, sondern jeder in seinem Tempo.
Der musikalische Weg jedoch wurde differenzierter, die Metal-Einflüsse größer und die "Heilige Lieder" das erste einer ganzen Reihe von Alben, die eine ganz neue deutschsprachige Musikrichtung einleitete. Die Onkelz haben den Metal in den Deutschrock getragen und diese Mischung populär gemacht.
Gerade wegen ihrer Vergangenheit gibt es auch in der Redaktion sehr kontroverse Ansichten zu meinem Vorhaben diesen Artikel im Rahmen der diesjährigen Adventsaktion zu schreiben. Was meine Motivation dazu war?
Zum einen fällt mir immer wieder auf, wie sehr die Onkelz stilprägend waren. In vielen Bands, auch aus der wesentlich später entstandenen Richtung 'Neue deutsche Härte' wird ihr musikalischer Einfluss deutlich erkennbar.
Zum anderen durchaus ob der politischen Dimension. Jugendliche, die in (rechts-)radikale Kreise geraten sind leider noch immer ein Thema. Die sozialen Randbedingungen, die zur Anfälligkeit für extremistische Strömungen führen, sind eher verschärft, denn beseitigt.
Wir alle sollten uns genau überlegen, wie wir damit umgehen wollen. Es ist leicht, rechtsextreme Tendenzen zu verurteilen, wenn man selbst nie in diese Richtung tendiert hat. Wie aber verhalten wir uns gegenüber den Babus und den Onkelz, die irgendwann an den Punkt kommen, an dem sie einsehen, dass das 'nix war'. Einmal Nazi - immer Nazi? Oder vielleicht wenigstens mal anhören?
Amen!
Tracklist Heilige Lieder |
CD (1992, 59:28):
01:Intro Oratorium
02:Heilige Lieder
03:Buch der Erinnerung
04:Nenn' mich wie du willst
05:Ich bin in dir
06:Scheissegal
07:Diese Lieder...
08:Gestern war heute noch Morgen
09:Schliesse deine Augen (Und sag mir...)
10:Gehasst, verdammt, vergöttert
11:Ein langer Weg
12:Noreia
13:Der Schrei nach Freiheit
14:Angst ist nur ein Gefühl
15:Wir schreiben Geschichte |
Line-up:
Kevin Russel (Gesang)
Matthias 'Gonzo' Röhr (Gitarre)
Peter 'Pe' Schorowski (Schlagzeug)
Stephan Weidner (Bass)
Achim Schnall (Keyboard - #9 , Piano - #8, Orgel - #13) |
|
Externe Links:
|