"Schlaf erst mal eine Nacht darüber!" "Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Der Kern dieser Aussagen mahnt eine gewisse und letztendlich auch gesunde Gelassenheit an. Viele Empfindungen erweisen sich eben als volatil und das ist auch ganz in Ordnung so.
Diesmal dauerte es zwar etwas länger, aber nun ist das Unverständnis fast gänzlich verflogen. Wenigstens dessen kognitive Dimension, das eigentliche 'Nichtverstehen' im Unverständnis. Der emotionale Aspekt des Unverständnisses erweist sich jedoch als resistenter. Der Grund für diese zugegebenermaßen etwas ausschweifende Einleitung? Eine Pressekonferenz!
Sicherlich erinnert sich noch der eine oder andere Musikfan an dieses Boygroup Phänomen. Vor ein paar Jahren sprangen alle Naselang ein paar neue, marketingtechnisch raffiniert zusammengesuchte Jünglinge durch die Teenie-kompatiblen, privaten TV-Kanäle. Die Achseln rasiert, aufgebrezelt und irgendwie vor-stimmbrüchig säuselten sie meist von der einzig wahren Liebe, die sie auf dem Schulweg getroffen haben. Dazu hüpften sie, ebenfalls marketingtechnisch raffiniert choreographiert, synchron oder asynchron aber auf jeden Fall beneidenswert gelenkig über die Videoclipbühnen. Manchmal trat irgendwann für die meist weiblichen Fanscharen der Super-Gau, die Katastrophe biblischen Ausmaßes ein. Erst keimten Gerüchte über kleine Zwistigkeiten unter den Superfreunden auf. Nach den bekannten Dementis und Relativierungen von Seiten der Plattenindustrie kam es dann irgendwann doch zum Knall. Die Group fiel auseinander. Natürlich wurde auch dieses Ereignis marketingtechnisch raffiniert ausgeschlachtet. Man munkelte sogar von Take That-Sorgentelefonen, Backstreet Boys-Kummerkästen und New Kids on the Block-Kondolenzbüchern.
Die Versenkung kann verdammt tief sein. Das mussten die meisten der Suberboy-Heronen alsbald feststellen. Aber einer spielte Phönix. Er tauchte nach dem Zerfall seiner Boygroup wieder auf und feierte einen Erfolg nach dem anderen. Alle kennen ihn und er wurde zum Superstar. Das Ende seines Höhenflug ist noch nicht abzusehen. Einige behaupten gar, er hat noch nicht einmal den Zenit seiner Karriere erreicht. Sicherlich wird auch die irgendwann zu Ende sein. Es sei ihm zu gönnen, wenn dieses Ende appetitlicher ausfällt, als das des einzigen weißen Schwarzen auf der Welt. Aber auch er ist halt nur ein Mensch und so muss er sich halt vorsehen. Bei Allem, was er so macht oder auch nicht macht. Die Rede ist natürlich von Robbie Williams.
Dieser Robbie Williams hat neulich eine Pressekonferenz gegeben. Anlass war die Veröffentlichung seiner neuen CD. Diese Pressekonferenz wurde im Fernsehen übertragen. Naja, denkt man sich, heutzutage senden die halt jeden Mist, wenn nur die Kasse stimmt. Da wird die Company ordentlich geblecht haben, sollte man vermuten. Da werden dann noch ein paar Werbeblöcke zwischengeschaltet und alle haben Grund zur Freude. So hätte es sein können, aber diesmal hat sich ein Fehler eingeschlichen. Die Pressekonferenz wurde nämlich im öffentlich-rechtlichen TV gezeigt. Und besser noch, sie musste von den Phönix-Zuschauern ertragen werden. Nach dem Skandal über die Schleichwerbung in Eigenproduktionen der GEZ-Schlucker kommen die also unverfroren daher und bieten einem Popstar eine bundesweite Bühne. Er konnte sich präsentieren, er konnte kokettieren und dabei kräftig für seine Produkte agitieren.
Damit kein Missverständnis aufkommt. Wir gönnen Robbie Williams seinen Erfolg von Herzen. Außerdem wäre er total blöd gewesen, wenn er diese Chance nicht ergriffen hätte. Bemerkenswert ist nur die Singularität des Ereignisses. Von einer bei Phönix gesendeten Pressekonferenz mit beispielsweise Bruce Brookshire zur Veröffentlichung des neuen Doc Holliday Albums haben wir bisher jedenfalls nichts gehört. Auch Neal Morse erhält bei Phönix keine Gelegenheit, seinen Schädel in die Kameras zu halten und über seine CD "?" zu fabulieren. Das Ganze erinnert doch an die Thematik einer alten Screwball-Komödie: Ein Typ kriegt 1.000.000 Dollar geschenkt, wenn ihm gelingt, eine weitere Millionen Dollar innerhalb von ein paar Tagen ohne Gegenwert zu verpulvern. Er schafft es kaum, denn eine Erfahrung wird er machen. Wenn jemand viel hat, bekommt er noch mehr für umsonst. Dinge fliegen ihm zu, nur weil er andere Dinge schon besitzt.
Übertragen auf die Musikindustrie heißt das: Die Erfolgreichen, die Megaseller und die Omnipräsenten werden gehypt. Und zwar ohne Ende. Die Anderen bleiben dabei leider auf der Strecke. Sie werden zu reinen Abschreibungsobjekten degradiert und an ihnen spart man, damit die Werbekampagnen für den Megaseller finanziert werden kann. Aber gut, so ist das eben und wir werden es allesamt nicht ändern.
Traurig nur, dass sich jetzt sogar der öffentlich rechtliche Rundfunk und dann noch in Gestalt des sonst eigentlich ganz guten Senders Phönix vor diesen Karren spannen lässt. Einige Fragen an die Intendanten der mächtigen Sendeanstalten müssen erlaubt sein:
Warum wird gerade Robbie Williams so dermaßen gehypt? Ok. Falsche Frage! Sie sollte eigentlich lauten: Warum macht ihr da mit? Wie viel Geld habt ihr für die Übertragung kassiert? Warum werden andere Künstler nicht gleichermaßen in Szene gesetzt?
Dazu kommt noch die Frage, die ein großer Clown einst stellte:
Wozu bezahlen wir eigentlich keine Fernsehgebühren?
Wollen wir mal nicht naiver sein als es unbedingt sein muss. Hype gab es immer und es wird ihn immer geben. Nicht umsonst sprechen wir an dieser Stelle schon mal vom "Wetten, dass..." Rock. Diese Sendung bietet den Megastars seit Jahren eine Werbeplattform in eigener Sache. Trotzdem fällt es schwer, dem wahren Grund für die Bevorzugung einiger Wenige in die kalten Augen zu blicken. Klar, es geht um Geld! Auch der hundertste Joe Cocker-Auftritt lohnt sich sowohl für den Sänger selbst, als auch für den Sender. Aber irgendwann kann man es halt nicht mehr ertragen. Irgendwann bringt irgendwas das Fass zum überlaufen. Zum Beispiel die oben erörterte Pressekonferenz auf Phönix. Eines der letzten Refugien des halbwegs interessierten Zuschauers droht nun auch vor die Hunde zu gehen. Und zwar ohne Not. Halten wir es also künftig lieber frei nach Peter Lustig: "Abschalten!". Oder noch besser, nach der Vorgehensweise eines unserer RockTimes Menschen: "Gar nicht erst einschalten."
Vielleicht war diese Pressekonferenz erst der Beginn. Schade nur, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten so spät so richtig auf den Trichter gekommen sind. Wie gerne wären wir Zeuge geworden - am besten noch im monochromen Schwarz/Weiß - von
Heintjes erstem Zungenkuss,
Helmut Zacharias bester Geigeninsuffizienz,
Nana Mouskouries Shopping Exzesse beim Optiker.
Diese Leute waren noch originell und authentisch - in gewisser Weise wenigstens.
Olli "Wahn" Wirtz, 20.11.2005
|