Das Stil-Wirrwarr
Schubladen - und keiner blickt mehr durch
Im Musikunterricht und den Klischees der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts war es ganz einfach. Die Jugend hörte Rock-Musik. Als Beispiele dazu diente alles von Led Zeppelin über Rainbow und ELO bis Kiss. Gut, gestritten wurde vielleicht darüber, ob Smokie irgend welche Berührungspunkt mit dem Rock-Genre hatte, oder doch eher die Hausfrauenband war.
Doch diese Gleichschaltung stimmte schon damals nicht mehr. Die Rock-Musik war längst filetiert und differenziert worden. Der Hard-Rock hatte ebenso seinen Platz, wie der Punk-Rock, der Kraut-Rock und der Soft-Rock. Warum sollte es der Rock-Musik anders ergehen, als dem Jazz, der ja auch mit den unterschiedlichsten Spielarten aufwartete? Swing, Ragtime, Freejazz und Mainstream sind nur einige Untereinheiten davon.
Gerade, als wir begriffen hatten, dass wir offenbar Hard-Rocker waren, verkündete jemand, dass wir eigentlich Heavy Metal hörten. Aber nicht für lange, denn auch der differenzierte sich wie der Stammbaum der Wirbeltiere.
Die übelsten Holzer machten in den 80ern plötzlich Thrash-Metal, Black Sabbath zelebrierten schon Black-Metal, als es den noch gar nicht gab, daneben prügelten einige Irre Speed-Metal aus ihren Äxten und Doom-Metal quoll unheilvoll aus den Boxen. Sogar Poser-Metal und Hair-Metal gab es.
Als einige der Künstler dann ein paar Jahre später noch ihre Radiohör-Erlebnisse ins Songwriting einfließen ließen, wurde es ganz kompliziert. Da hatten wir dann Crossover, Nu-Metal und "Hasse nich' gesehen-Metal" als Platzhalter für jene Nischen, die hier nicht genannt werden können. Oha, den Grunge hätte ich fast vergessen, jene lebensfrohe Botschaft aus dem immer sonnigen Seattle...
Wohlgemerkt ist die obige Kaskade ganz alleine aus der beengten Perspektive des gemeinen und harmlosen Metallers geschrieben.
Witzig ist nebenbei, dass einige Leutchen immer noch der "Wahnvorstellung" erliegen, sie würden auf Südstaaten-Rock stehen. Ein Blick in die Fachjournalie klärt gnadenlos darüber auf, dass viele der Bands, die alphabetisch und in schöner Eintracht in der (bisherigen) Südstaatenecke des Plattenregals stehen, selbstverständlich schon immer Americana gemacht haben, oder Roots-Rock, oder Stoner-Rock oder Country-Rock.
Nischentitulierungen werden plötzlich Sammelbegriffe.
Wo das mal enden wird, kann noch niemand absehen. Offensichtlich kommt der Mensch ohne eine Ordnung in den Dingen nicht aus. Vielleicht haben die Fans einfach nur unbändigen Spaß daran, sich über die Einteilung dieser oder jenen Band zu streiten und zu zanken. (Ist ja richtig, macht ja auch Spaß.)
Wann, bitte schön, ist eine Einteilung wirklich absolut? Müssen sich die Musiker an Grenzen halten, die Musik-Sachverständige gezogen haben?
Das Schöne an Musik ist doch die unglaubliche Kreativität, die in ihr steckt. Gerade Rock-Musik sollte einer ganzen Generation dabei helfen, die Grenzen zu überwinden, die von Anderen gezogen wurden. Viel der Anderen übrigens verteufelten (und verteufeln heute noch) Rock-Musik damals mit einer Demagogie und Polemik, die geradezu atemberaubend war.
Jedenfalls wird von der Szene jede Platte genau kartographiert. Meines Erachtens sind wir genau jetzt dabei, den Bogen zu überspannen. Der Blick in die Review-Abteilung eines sehr geschätzten Musik-Magazins offenbarte folgende Klassifizierungen:
Noise Pop, Kammerorchester Rock, Jazz Fusion, Polka Rock, Noise Rock, Melancholy Pop, Dänischer Gitarren Pop, Dark Metal, Scottish Blues Artrock, Derbe Industrial,Lasziver Bar Jazz'n'Roll, Abgefahreren Stilmix, Noise Avantgarde Psych, Minimal Pop, Atmo rock, Extrem Ambient.
Könnt ihr noch? Dann tief durchatmen und weiter:
Post Rock, Guitar Work, Melancholic Pop, Experimental Pop, Street Rock / Kölsch goes Nickelback, New Artrock, Komplexer Progressiv Rock, Eastern Folk Psych, Stoner Rock, Trash Metal, Classic Jazz, Dream Pop, Progressiv Hippie Metal, Drones, Hyper Spacerrock, Desert Rock, Cult Noiserock, Jazz Progrock, Ambient Psych, Art'n'Soul Pop, Psych Space Rock /Modernica, British Air Chill out Electronic, Elektro Akustik.
Da komme ich bei Weitem nicht mehr mit. Unter einigen der Begriffe kann ich mir schon nichts mehr vorstellen. Da könnte es genauso gut um modernes Theater gehen, oder um Rhythmische Sport-Gymnastik, anstatt über das wunderbare Hobby, das uns allen gemein ist.
Seid Ihr sicher, dass Ihr jetzt noch wisst, was Ihr hört?
Also, ich höre ab jetzt beides: Rock and Roll; daneben noch Hard und Heavy.
Nicht zu vergessen: Country und Western
Jawoll!
Olli "Wahn" Wirtz, 23.10.2004