Vom Leser zum Gastschreiber. Vor vielen Jahren hatte Wilhelm Eric Berwanger mit einem Kumpel das gedruckte Underground-Magazin "United Forces" am Laufen und schrieb u. a. Konzertberichte.
Diese Artikel sollten, so meint Wilhelm zu Recht, nicht auf dem langsam vergilbenden Papier versauern, sondern in neuer Optik als Zeitreisen an längst gespielte Konzerte erinnern. Sicher waren einige unserer Leser auch auf der einen oder anderen Show und können so ihre Erinnerungen auffrischen.
[Die RockTimes-Redaktion]
An einem schönen Novembertag im Jahr 1980 war ich unterwegs zu meinem zweiten großen Konzert. Man muss schon mit Superlativen um sich werfen, wenn ein Event wie dieses zur Sprache kommt. Doch erst einmal ein Vergleich. Ca. 20 Jahre später habe ich für das AC/DC Konzert in der Kölnarena 78,- DM für ein Ticket bezahlt. Dafür gab es eine völlig unbekannte Vorgruppe, die so unbekannt und langweilig war, dass ich den Namen sofort wieder vergessen habe. Außerdem hatten sie mit "Stiff Upper Lip" ein eher mittelmäßiges Album im Tourgepäck. Gut, an der gigantischen Show und am mörderischen Sound gab es nichts zu kritisieren und Angus hat sich mit seiner Truppe wieder mal den Arsch abgespielt. Bemerkenswert auch, das nach 20 Jahren die gleiche Besetzung wie am 25. November 1980 auf der Bühne stand.
Aber, vergleicht man die beiden Konzerte, fällt folgendes auf: 19,- DM ( kein Scherz) hat das Ticket für die Sporthalle gekostet und es war noch ein richtiges Ticket und kein CTS Computerausdruck. Mit "Ready And Willing" bei Whitesnake und "Back In Black" bei AC/DC lagen Meilensteine der Rockgeschichte vor. Ja ich möchte bei "Back In Black" sogar noch weitergehen und sagen, es ist das beste Album in der Geschichte des Hard Rock. Brian Johnson hatte als neuer Sänger eingeschlagen wie eine Bombe und bei Whitesnake standen mit Jon Lord, lan Paice und David Coverdale drei Musiker auf der Bühne, die mit Deep Purple den Heavy Metal erfunden haben. Alle, die für mickrige 19,- DM ein Ticket ergattert hatten, waren Lottogewinnern gleich zu setzen und werden wohl noch im Altersheim über diesen historischen Tag berichten. Ich könnte noch seitenlang darüber schreiben, welch ein Glück diese 8000 Leute an jenem Abend hatten und welches Erbgut des Rock dort auf der Bühne stand.
Aber kommen wir endlich zur Sache.
Um 19 Uhr und 2 Minuten ging das Licht in der Halle aus und im Halbdunkel sah ich, wie Jon Lord und lan Paice von den Roadies mit Taschenlampen zu ihren Arbeitsplätzen gebracht wurden. Wahrhaftig, sie waren es und sahen genauso aus wie auf dem Cover von Made In Japan. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich fühlte mich, als hätte ich gerade das entscheidende Tor im Endspiel der Fußball Weltmeisterschaft geschossen. Es knackte noch zwei oder dreimal in den gigantischen Boxenwänden, bevor dann endlich die Scheinwerfer zum Intro von "Come On" aufflammten.
Da kam dann auch der nächste Hero des Rock, David Coverdale, auf die Bühne und sang los wie ein junger Gott. Bernie Marsden und Micky Moody prügelten auf ihre Gitarren ein und mit Neil Murray am Bass war ein weiterer prominenter Musiker on stage in der jetzt überkochenden Sporthalle. Nach dem zweiten Song, "Sweet Talker", sagte Coverdale "Walking In The Shadow Of The Blues" an und es gab niemanden im Saal' der auch nur im Traum daran dachte, sich von seinem Platz zu bewegen. Mit "Fool For Your Loving" und "Aint Gonna Cry No More" sowie dem Titelsong "Ready And Willing" wurde das neue Album vorgestellt und meine Augen konnten einfach nicht von diesem gottbegnadeten Sänger lassen.
Immer wieder gaben auch Lord, Paice oder Mickey Moody mit kleinen Soloeinlagen eine Probe ihrer überirdischen Kunst ab. Dies hielt sich aber immer im Rahmen und wurde nicht übertrieben, ja die Fans wollten eher mehr davon. Nach ca. 40 Minuten kündigte Coverdale mit "Aint No Love In The Heart Of The City" den letzten Song an. Dieser wurde zu einer zehn Minuten langen Orgie, bei der alle Musiker sich noch einmal so richtig austoben konnten. Und über allem schwebte die beste Bluesrock-Stimme des gottverdammten Planeten. Schade, dass sie nicht noch "Smoke On The Water" gespielt haben aber dann hätte wohl niemand mehr AC/DC gebraucht. Als dann kurz vor acht Uhr das Licht in der Halle wieder eingeschaltet wurde, schwebten die Meisten noch irgendwo zwischen Gegenwart und Rockgeschichte. Die Roadies fingen an abzuräumen und ich wunderte mich, wie rücksichtslos sie mit den Instrumenten von Gottes Gnaden um-gingen.
Eine Gruppe von acht Leuten kletterte an Strickleitern in die Scheinwerfer, um die riesigen Verfolgerspots zu bedienen und ich erinnerte mich, dass ich zwei Monate vorher an gleicher Stelle Iron Maiden und Kiss gesehen hatte. Dort wurde schon eine riesige Lightshow aufgeboten, aber die Lichtbatterien von AC/DC waren tatsächlich noch größer. Auch die Beschallung hatte noch ein paar Boxen mehr zu bieten und nachdem die Whitesnake-Anlage weggeräumt war, sah man erst die gigantischen Ausmaße der Bühne. Man spürte, dass an diesem Abend noch ein weiteres Kapitel ins große Geschichtsbuch des harten Rock geschrieben werden sollte.
Endlich ging das Licht aus und ohrenbetäubender Jubel brach los. Die Verfolgerspots wurden eingeschaltet und ein Derwisch in Schuluniform sprang auf die Bühne. Ein brachiales Gitarrensolo, so laut wie ein Düsenjet beim Start ließ unsere Ohren erzittern und Sekunden später war die ganze Bühne in gleißendes Licht getaucht. Endlich, sie waren wieder auferstanden, nach dem schrecklichen Tod von Bon Scott. Spätestens bei "Shot Down In Flames" wussten alle, dass sein Nachfolger Brian Johnson es auch live brachte. "Shoot To Thrill" und "Back In Black" knallten messerscharf in die Trommelfelle der Auserwählten und Johnson war kein Mann vieler Worte. Kurze Ansagen ließen der Rhythmusabteilung keine langen Ruhezeiten. aber die wollten Malcolm Young, Phil Rudd und Cliff Williams auch gar nicht haben.
Sie rockten was das Zeug hielt und immer wieder tobte Angus über die Bühne. Zwischendurch hatte er sich von Teilen seiner Uniform getrennt und spielte mit freiem Oberkörper. Bei "High Voltage" und "Whole Lotta Rosie" brachte Brian Johnson auch die letzten Zweifler auf seine Seite und als "The Jack" an der Reihe war, durchzog ein leichter Blues-Touch seine Reibeisenstimme. Der "Back In Black"-Abräumer des Abends war ohne Zweifel "You Shook Me All Night Long", das seinerzeit neben "Hells Bells" auf allen Rockkanälen rauf und runter gespielt wurde. If You Want Blood (You’ve Got It), yeah, man konnte aus den Vollen schöpfen und bei "Girls Got Rhythm" winselten die ersten Fans schon um Gnade. Wohl keine Kondition, was Jungs?
Doch es sollte noch besser kommen, ja sich sogar ins Unermessliche steigern. Endlich kam sie an schweren Ketten nach unten gefahren: 'Die Glocke'. Angestrahlt vom grellen Scheinwerferlicht, hing das Teil jetzt ca. einen Meter über dem Boden. Brian Johnson kam mit einem Vorschlaghammer in den Händen aus dem Dunkeln und schlug gnadenlos zu. Angus begleitete die Schläge mit seiner Gibson und "Hells Bells" brach los. Brutaler Hard Rock mit den Werkzeugen des Teufels gespielt, ließ die Halle bis in die Grundmauern erzittern. Köln hatte den zweiten Weltkrieg überstanden, aber das hier? Als am Ende des Songs die Glocke wieder nach oben gezogen wurde, läutete "Let There Be Rock" das Finale der Show ein.
In der Mitte des Songs war plötzlich nur noch die Rhythmusabteilung auf der Bühne. Man hatte sich so geschickt hin und her bewegt, dass kaum jemand die beiden Hauptdarsteller vermisst hatte. Plötzlich wurden alle beweglichen Scheinwerfer auf den Innenraum der Halle gerichtet und tatsächlich, da waren sie. Mitten durch die Fans marschierte Brian Johnson und auf seinen Schultern spielte ein völlig durchgeknallter Angus Young seine pfeilschnellen Gitarrensoli. Es wurde ein Triumphzug und wer Glück hatte, konnte die beiden anfassen, oder einen Tropfen Schweiß vom wildesten Rockgitarristen der Welt auf seiner Kutte verewigen.
Und das alles für 19,- DM!
Als Brian und Angus wieder auf der Bühne waren, wurden zum Finale Furioso noch einmal alle Register der Lichtbatterien gezogen und eine Rockshow ohne Gleichen fand ihr Ende. Logisch, dass die 8000 wie im Rausch nach Zugabe brüllten. Die gab es dann mit "TNT", wobei auch Malcolm Young und Cliff Williams mal nach vorne ans Mikrofon kamen. Mit "Highway To Hell" wurde das Geschichtsbuch des Hard’n’Heavy Rock dann endgültig zugeklappt und beim Verlassen der Halle sah ich ein Transparent: »Angus for President«.
4 Kommentare
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Heinrich
2. Dezember 2021 um 8:37 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ja, ich war auch hauptsächlich Whitesnake wegens da. Und was haben die Gas gegeben! Deinen Zwiespalt gegenüber dem Auftritt der Australier plus Geordie kann ich nachvollziehen.
Torsten Kempka
2. November 2021 um 21:44 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
1980…mhhh da haben AC/DC bestimmt auch in Köln it Hells Bells angefangen ???!!!
Mario
24. Oktober 2021 um 13:20 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo,
nochmals ein Konzert, das wir beide besucht haben, nur in verschiedenen Städten – und mit unterschiedlichen und sicherlich sehr subjektiven Eindrücken. Ich war am Vorabend in Kiel dabei und es war für mich auch ein unvergeßliches Erlebnis – wegen Whitesnake! In der damals noch so benannten Ostseehalle saß ich bei denen noch auf einem Sitz gegenüber der Bühne, da ich nicht wegen der Vorgruppe gekommen war und keine hohen Erwartungen hatte, es also auch nicht für nötig hielt, sie mir aus der Nähe anzusehen. Das wäre damals ohne Probleme möglich gewesen, der Einheitspreis berechtigte jeden dazu, sich einen beliebigen Platz innerhalb der Halle zu suchen. Deep Purple hatte ich an gleicher Stelle etwas mehr als 10 Jahre zuvor gesehen, bis heute hat mich keine Rockgruppe nochmals so beeindruckt wie diese Gruppe damals etwa eine Woche, bevor die LP In Rock erschien. Im Laufe der Jahre wurden sie dann für mich immer weniger interessant und Whitesnake erschienen mir als etwas müder Abklatsch. Weit gefehlt, sie legten los und waren umwerfend, das beste Deep-Purple-Konzert, das nicht von Purple gespielt wurde. Es waren andere Stücke, aber es war der Stil von Purple mit einem tollen Sänger und zwei hervorragenden Gitarristen. Besonders in Erinnerung ist mir ein Solo von Micky Moody auf der Slide-Gitarre geblieben, nach meiner Erinnerung ganz allein ohne jede Begleitung, es war klasse. Schade war nur, dass sie nur das Vorprogramm bestritten und wie in Köln auch kürzer spielten als die Hauptgruppe. Von mir aus hätte es gern umgekehrt sein können.
AC/DC fand ich von Anfang an gut, sobald sie in Europa zu hören waren. Gesehen hatte ich sie bereits fast genau zwei Jahre vorher im Audimax in Hamburg, einem Uni-Hörsaal mit einem Fassungsvermögen von – geschätzt – 1000 bis 1500 Menschen. Es war nur eins – laut, viel zu laut. 1980 kamen sie mit einem neuen Sänger, der mir von der Gruppe Geordie durchaus bekannt war. In Kiel stand ich dann am Rand der Bühne und sah sie auf dieselbe kommen, haften geblieben sind kleine Männer mit großen Gitarren. Vom Auftritt ist nichts haften geblieben außer der riesigen Glocke, an der Musik selbst kann es nicht gelegen haben, ihre Platten aus der Zeit höre ich immer noch gern. Irgend etwas fehlte ihnen, es war wohl für mich das besondere Etwas, das Whitesnake an dem Abend hatten, AC/DC nicht. Aber es war nicht das Ende der Geschichte, im Jahr 1996 waren sie nochmals in Kiel in derselben Halle, nur die Bühne stand an anderer Stelle. Da waren sie gut, richtig gut – es war ein rundum gelungenes Konzert, laut, aber nicht so, dass der Lärm alles erschlug. Und in diesen 16 Jahren hatte sich der Eintrittspreis auf 60 DM verdreifacht, also umgerechnet etwa 30 Euro. Heute läge dieser etwa 100 Euro darüber und ich frage mich seit langem, ob das eigentlich so sein muß und der gesamte vom Konzertbesucher zu bezahlende Aufwand notwendig ist, die Konzerte sind dadurch nicht unbedingt besser geworden. Wie sieht dies die Leserschaft, zu der vielleicht auch Musiker und Veranstalter gehören?
Wilhelm Eric Berwanger
21. Oktober 2021 um 20:01 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Am Wochenende habe ich auf dem Flohmarkt für 2,- Euronen eine DVD gekauft. 50 Jahre Rock, eine ZDF-Show mit Thomas Gottschalk von 2004. Die Erinnerung hat mich dann wieder zu der Whitesnake Show in Köln gebracht. John Lord hat bei 50 Jahre Rock neben Eric Burdon, Gary Brooker, John Kay, Peter Frampton, Chris Thompson, Bobby Kimball und Ian Anderson als Man Doki Soulmates Allstars-Band die größten Rock Hits aller Zeiten präsentiert. Einen wie John Lord wird es wohl nie wieder geben und wer die Chance hatte diesen "Hero des Rock" live zu sehen, der wird es wohl nie wieder vergessen. RIP John.