Wenn man es etwas ungenau ausdrücken wollte, könnte man sagen, dass der in Hamburg geborene und im Stadtteil St. Pauli aufgewachsene Achim Reichel ein deutscher Beatle war. Oder, naja, einer von den deutschen Beatles, denn schließlich wollen wir seine Bandkollegen bei den Rattles und andere damalige Abräumer (wie beispielsweise The Lords) nicht vergessen. Ich weiß es noch wie heute, obwohl ich damals, Anfang der siebziger Jahre gerade vier oder fünf Jahre war. In jener Zeit wurden alle und jeder, der die Haare über die Ohrläppchen hatte von meiner seligen Oma als Beatles tituliert. So wuchs ich eine Zeit lang mit dem Irrglauben auf, dass es sich bei den Beatles nicht etwa um ein aus Liverpool stammendes musikalisches Quartett, sondern vielmehr um eine Art die Haare zu tragen und/oder eine Lebenseinstellung handelte. Naja, so ganz falsch war das ja auch nicht, aber hinsichtlich der Fab Four ging mir dann erst ein paar Jahre später ein Licht auf.
Tja, und statt mit einem nüchternen und auf Fakten beruhenden Review zu beginnen, bin ich doch gerade – wie vom Zauberstab geküsst – in eigene Erinnerungen abgetaucht. Was aber auch schon wieder ein guter Übergang ist, denn genau das passiert einem beim Lesen von Achim Reichels Autobiographie "Ich hab das Paradies gesehen…" irgendwie ständig. Nicht durchgehend, denn wenn der Hanseate von Urlauben auf Jamaika, in Italien oder einer Seereise auf einem 'arbeitenden' Schiff erzählt, hat man natürlich nicht immer einen eigenen Bezug dazu. Reichel erzählt von seiner Kindheit und Jugend, wie er im Radio den Rock’n’Roll für sich entdeckte, seiner ersten Gitarre, der ersten Band und dem dann doch ziemlich rasanten Aufstieg der Rattles. Und das alles frei von der Leber weg, sodass all diese Seiten auch für Nicht-Fans der Kindheits-Geschichte in Biografien ganz locker von der Hand … äh, vom Auge gehen.
Durch seine Zeit bei der Bundeswehr mehr oder weniger bei den Rattles ausgestiegen, wird es anschließend Ende der Sechziger mit Gründung der Band Wonderland so richtig spannend. Diese Geschichte sollte jedoch nur ein Album lang halten und unser Protagonist übernahm (mit zwei Partnern) anschließend als letzter Pächter den berühmt-berüchtigten Star Club, was allerings ein ziemlicher Reinfall war. Pleite, insolvent und von der ersten richtigen Schramme im Leben erstmal etwas konsterniert, kamen ihm aber schon bald neue Ideen. Durch einen Zufall (ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen und schon alles verraten) kam es dann zu dem neuen Projekt A.R. & The Machines, das einige Jahre lang sehr gut lief. Nach einem Shanty-Album kamen mehrere Platten mit – wenn man so will – Deutschrock, von denen unser Joe vor gar nicht so langer Zeit die Scheibe Blues in Blond hier in RockTimes vorgestellt hat. Für mich eine große Überraschung, dass diese Phase im Buch praktisch komplett unter den Tisch fällt. Aber gut, wahrscheinlich fanden entweder Achim Reichel oder der Editor andere Themen interessanter.
So erzählt der Hamburger weiter seine Geschichte. Und das von vorne bis hinten sehr unterhaltsam, nie langweilig und mit einigen Hintergrund-Infos aus der Szene gespickt. Immer wieder mal kommt es zu Zeitsprüngen, die aber nie verwirren und denen man jederzeit folgen kann. Sehr wenig hat er zu seinen Ex-Rattles-Kollegen zu sagen, was Raum für die Vermutung lässt, dass da nicht alles im Guten auseinander ging. Aber gut, reine Spekulation. Überhaupt hat es der Author (von dem einen oder anderen angedeuteten Nebensatz abgesehen) vermieden, in irgendeiner Form schmutzige Wäsche zu waschen. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann dass er bezüglich seines eigenen Lebens, seiner Person doch recht spröde mit Informationen geizt und sich auf diesen mehr als vierhundert Seiten in allererster Linie mit seiner musikalischen Laufbahn beschäftigt. Im Endeffekt kommt der Erzähler sehr bodenständig rüber, als jemand der weiß, was in etwa die wichtigsten Dinge im Leben sind, was man mal machen (und auch mal übertreiben) darf und aber auch, wann der Zeitpunkt gekommen ist, sich am Riemen zu reißen und wieder zu konzentrieren.
Ein sehr interessantes und gut lesbares Buch (mit erfreulich gutem Lektorat), das der Rezensent eigentlich jedem Musik-Fan nur empfehlen kann. Und dabei ist es – obwohl eine perfekte Untermalung – letztendlich egal, ob man denn nun die Musik der Rattles, Wonderland, A.R. & The Machines oder auch seinen anschließenden Soloalben bereits kennt, oder nicht. Und wenn man sie kennt, ob man sie mag oder auch nicht. Und das will immer schon was heißen und spricht in großen Buchstaben über und für dieses … ja, Buch. Alle Daumen nach oben!
Verlag: Rowohlt Buchverlag, 3. Edition
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
ISBN-10: 3498001787
ISBN-13: 978-3498001780
Abmessungen: 14.9 x 3.66 x 21.7 cm
Preis: 24,00 Euro
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