Sechs Jahre sind vergangen, seit Aenemica aus Iserlohn am Rande des beschaulichen Sauerlands erstmals Einzug hielten bei RockTimes. Empty Inside hieß damals die EP und beeindruckte unseren Redakteur Steve. Geht man zurück zu diesen Ursprüngen und all das, was damals schon geschrieben wurde, wird man erfreut feststellen, dass die Jungs ihr Versprechen gehalten haben, nämlich ihrer eigenen musikalischen Ausdrucksform zwischen Prog und Alternative Rock treu zu folgen – und selbst der Albumtitel der EP, die 'innere Leere' findet sozusagen in "Hollow" und "Secret Lines" ihre Fortsetzung.
Diese eher schwermütige Melancholie, die allein schon von solchen Überschriften geprägt wird, ist beabsichtigt und gewollt und passt perfekt in das stimmliche Volumen von Sänger Daniel Stendera. Er ist der Dirigent über einem düster strömenden, energetischen Fluss, der mal schwarz und tief wie die Abgründe der Seele dahinfließt, sich dann wieder aufbäumt in wilden Kaskaden aus fetten metallenen Riffs, immer wieder auch begleitet von eleganten Keyboard-Wänden. Wer die Tasten bedient hat erfahren wir leider nicht im Booklet der CD. Es tut der Musik aber gut und trägt zu der stimmigen Gesamtkomposition bei.
Thematisch sind die sechs in sich abgeschlossenen Songs miteinander verknüpft, man könnte sagen, den roten Faden gewinnt man aus den Zustandsbeschreibungen einer geschundenen Seele im Laufe einer unglücklich beendeten Beziehung, in die sich der ganze Weltschmerz zu ergießen scheint. Die Dämonen und Monster im Kopf sind ein wiederkehrendes und Bände sprechendes Bildnis im Verlauf des Albums.
Ganz sanft und leise startet das Album mit dem Opener "Distant Light". Es folgt ein langsames Crescendo mit sehr geilen Hooklines, die vor allem vom mitreißenden Gesang getragen werden. Für Abwechslung sorgen nicht nur die mal aufbrausenden, dann wieder zurückgenommenen Harmonien, sondern auch ein sehr facettenreiches Drumming. Das macht nicht nur den Song sehr kurzweilig, sondern das gesamte Album.
Ein absolutes Highlight bietet dann "Back To Life" mit seinem geradezu hymnischen Refrain, wunderschön kompakt getragen durch die Instrumentaltruppe und wenn sich zu den, mitunter ein wenig postrockigen Riffs, wieder ein paar Tastenklänge gesellen, dann türmen sich Wände auf wie die des Labyrinths, wie ich sie erst vor ein paar Tagen in dem Sci-Fi-Blockbuster "The Maze Runner" gesehen habe. Überhaupt fällt mir auf, dass der düstere Duktus der Musik von Aenemica ein wenig vom Geist solcher Endzeitszenarien und Visionen in sich trägt. Das passt.
Ein wenig Gänsehaut hält das Intro zu "Just A View Lines" bereit. Die sanfte Gitarre nimmt hier Daniel sehr sensibel auf, dann steigert sich der Song bis hin zur dramatischen Rezitation dieses 'Abschiedsbriefs', der ebenfalls sehr einfühlsam musikalisch unterlegt wird. Man leidet mit – mit den Menschen, die nicht miteinander reden konnten und die nun getrennte Wege gehen müssen. Millionen mal geschehen.
Diese traurige Grundstimmung leitet über ins Finale Furioso, das großartige "Reverie", wo sich unser Protagonist letztendlich nur noch in Träumerei retten kann, weil er die Wirklichkeit nicht managen konnte. Die Nummer lebt von den hoch emotionalen Breaks und der ungeheuren Intensität, hier zieht man sämtliche Register zwischen schmerzvoller Stille und wilden Metal-Riffs. Geil. Und so klingt am Ende ganz sanft und im Hintergrund noch einmal der schöne Refrain aus dem Opener an und vermittelt wehmütige Flashbacks: »Will I ever find my inner silence, will I ever find my inner peace? Will there ever be another mission? Will I ever be free?«
Das Album endet genauso sanft und ruhig, wie es begonnen hat. Wow, das berührt.
Was soll ich noch sagen, die Jungs haben ihre Hausaufgaben gemacht. Ein stimmiges Konzept, musikalisch klasse umgesetzt. Sechs kompakte Tracks, in denen Soloeskapaden gänzlich untergehen zugunsten der Komposition. Der rote Faden wird spielerisch gehalten, doch man muss wissen, dass man sich durchaus ein bisschen mit den dunkleren Wesen unseres Seins befassen muss, um dem Album auch inhaltlich zu folgen. Um so schöner ist dann die Erfahrung, wie emotional die Band diese Themen umsetzt. Alternativer Progressive Rock, der sich gern mit Anleihen aus dem Metal verstärkt, das ergibt eine sehr authentische, aber erstaunlich überzeugende musikalische Einheit.
Nach NinetyFour X schon wieder eine tolle Band hier aus der Gegend, die mich absolut überzeugt hat.
So klingt halt der Westen.
Line-up Aenemica:
Daniel Stendera (vocals)
David Vemmer (guitar)
Dima Friesen (bass)
John Sternberg (drums)
Tracklist "Secret Lines":
- Distant Light
- Hollow
- Back To Life
- Stay
- Just A Few Lines
- Reverie
Gesamtspielzeit: 33:15, Erscheinungsjahr: 2020
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