Willkommen in einer Welt ohne Grenzen – zumindest in der Musik trifft das wenigstens gelegentlich mal zu. Dabei müsste die nachfolgende Besprechung eigentlich unter der Marke JazzTimes laufen, aber selbst das würde den zeitlosen und Genre übergreifenden Kompositionen kaum gerecht.
Dabei beeindruckt mich schon seit langer Zeit, dass ausgerechnet ein derart virtuoser Saitenmagier wie Al di Meola, den man wohl ohne Übertreibung den vielleicht schnellsten Gitarristen unseres Planeten nennen darf, nach seiner wilden Sturm- und Drangphase aus der "Tour De Force"-Zeit mit wilden Exkursen durch die schillernde Welt der Fusion irgendwann die innere Ruhe gefunden hat, sich weitgehend auf den künstlerischen Ausdruck zurückzuziehen. Ohne Effekt orientiertes Tempogebolze, dafür mit ganz viel sanften Attituden und Einfühlungsvermögen in fremde Kulturkreise. So entstand einst das Orchester World Sinfonia, ein paralleles Akustikprojekt von Al neben seiner zu dieser Zeit schon deutlich mehr im Jazz als in der Fusion verankerten Solokarriere. Das war Anfang der neunziger Jahre und diese Musik begleitete mich einst durch die Weiten Tibets. Es verleiht solch weltumspannenden Klängen sicher noch einen weiteren Kick, wenn man des Nachmittags in der Sonne sitzt und bei argentinischen Tangoexkursen und sonstigen musikalischen Bearbeitungen die Windfahne am Mount Everest beobachten kann. Momente für ein ganzes Leben.
Die "Morocco-Fantasia" hingegen entstand sehr viel später, nämlich im Jahr 2009, basiert aber zum großen Teil auf den Tagen der frühen World Sinfonia. Zu jenem Konzert reiste Al di Meola mit seiner Akustikbesetzung bereits zum dritten Mal ins Land vor dem Atlas. Diese mitreißende, aber im Kern immer noch westliche Musik wurde begeistert aufgenommen, kein unbedingtes Selbstverständnis in einem fremden Kulturkreis. Die Aufnahme konnte bereits vor ein paar Jahren auf DVD gebannt erworben werden. Nun liegt endlich ein reiner Tonträger für die Verstärker unseres Vertrauens vor, und der erfreut uns mit reichhaltigen Eindrücken. Dabei kommt in den einzelnen Kompositionen neben den immer wieder atemlos stimmenden Fingerfertigkeiten des Meisters dem Akkordeon von Fausto Beccalossi eine ganz besondere Bedeutung zu, ja, es scheint fast, als würden sich die einzelnen Songs jeweils ganz ausgeprägt in einen Dialog zwischen Al und Fausto entwickeln. Ganz besonders schön in "Double Concerto", wenn das Zwiegespräch in einer Art eskalierendem Flamenco kulminiert, hier mächtig befeuert von der Rhythmusfraktion. Nur, um sogleich in der reflektierenden Meditation über "Michaelangelo’s 7’th Child" (Anm. der Redaktion: Die seltsame Schreibweise des Namens ist tatsächlich dem Cover entnommen und ausdrücklich kein Schreibfehler) in eine gänzlich neue Stimmung einzutauchen, mit einem wunderschönen, gleitenden Ausklang übrigens. Genau das ist es, was dieses Konzert so spannend macht. Immer wieder werden Stimmungsbilder geschaffen, die einen mitnehmen auf die Reise, vielleicht durch das Land der Sahara, vielleicht eben auch hinein in die Erinnerungen an eigene Exkursionen – es muss ja nicht gleich Tibet sein.
Danach kommt die Zeit der Percussion, in "Gumbiero" übernehmen die rhythmischen Verantwortlichen einen gestalterischen Part und wir freuen uns über einen so unbestritten großen Künstler wie Al di Meola, der seinen Mitstreitern jede Menge Luft und Raum gibt, sich ebenfalls nachhaltig in Erinnerung zu rufen. Da köchelt und rumort es teilweise wie beim alten Santana. Szenenapplaus ist der Dank für die Einlage.
Eine perfekte Reminiszenz ans Publikum bietet Al uns in der Zugabe, wenn er gleich drei Künstler aus dem einheimischen Kulturbereich auf die Bühne holt. Da ich spätestens seit der schrägen Einlage in 1979 bei der (fast) vergessenen Krautrockband Effendis Garden, die Markus hier vor ein paar Jahren mal besprach und auf deren Wiederveröffentlichung ich sage und schreibe mehr als dreißig Jahre warten musste, mit arabischer Musik erfreute Bekanntschaft geschlossen hatte, kommt mir so ein stilistischer Ausflug natürlich sehr entgegen. Es unterstreicht die Exotik des Konzerts und eben auch den Respekt vor den Gastgebern, wenn Al di Meolas Weltmusik auch inhaltlich in der nordafrikanischen Wüste andockt. Dabei entstammt "Egyptian Danza" eigentlich einer ganz anderen Phase in Als Schaffen, nämlich vom achtundsiebziger Album "Casino", lang, lang ist’s her. Dafür darf dann auch die elektrische Gitarre endlich einmal einen längeren Part übernehmen und das multilaterale Gespräch dieser virtuos auftrumpfenden Improvisation mit der Oud und dem Akkordeon setzt das Sahnehäubchen auf das Konzert. Am Ende driften sie über eine angedeutete Meditation auf Jimi Hendrix’s "Third Stone From The Sun" ganz gemächlich aus dem Song heraus – Klasse.
Wenn man so will, vermittelt uns dieser letzte Songtitel sogar ein Stück weit einen nachdenklichen, gesellschaftspolitischen Aspekt über weniger erfolgreiche kulturelle Einflüsse – wenn man aus aktuellen Anlässen aus dem Ägyptischen Tanz womöglich das so genannte und hierzulande erst seit kurzer Zeit bekannte Phänomen des Antanzens in Erinnerung rufen möchte. Auf dem Tarirplatz, eben in Ägypten, soll das schon lange praktiziert worden sein. So entwickelt sich – von allen Beteiligten selbstverständlich gänzlich ungewollt, denn mit solchen Auswüchsen hat Als Song nun wirklich überhaupt nichts im Sinn – ein politischer Diskurs und man möchte wieder einmal daran erinnern, dass es gerade die Musiker waren und sind, die kulturübergreifend Verständnis, Freundschaft und Liebe verbreitet haben – etwas, das von den weniger engagierten Vertretern aller beteiligter Volksgruppen oft so unverschämt mit Füßen getreten wird. Wohl gemerkt, auf allen Seiten der Medaille. Musiker sind eben doch die besseren Menschen – hab ich ja schon häufiger behauptet.
Muss man erwähnen, dass der Sound wunderbar transparent und voller organischer Wärme rüberkommt, selbst von einem Silberling? Bei Al di Meola war das eigentlich immer so – und bei inakustik auch. Ich freue mich sehr, durch diese Bemusterung endlich mal wieder mit einem überwältigenden Künstler in Berührung gekommen zu sein, dessen Platten bis Ende der Neunziger eigentlich lückenlos in meine Plattenschränke wanderten. Irgendwie hatte ich ihn in den letzten Jahren aus den Augen verloren, gut dass diese Zeit ein Ende hat.
Line-up Al di Meola:
Al di Meola (guitar)
Fauso Beccalossi (accordion)
Peo Alfonsi ( guitar)
Gumbi Ortiz (percussion)
Peter Kaszas (drums)
Victor Miranda (bass)
Said Chraibi (oud # 7, 8))
Abdellah Meri (violin # 7, 8)
Tarik Ben Ali (percussion # 7, 8)
Tracklist Morocco Fantasia:
- Misterio
- Siberiana
- Double Concerto
- Michaelangelo’s 7th Child
- Gumbiero
- Turquoise
- Encore
- Egyptian Danza
Gesamtspielzeit: 67:14, Erscheinungsjahr: 2017
Neueste Kommentare