Alan Simon macht groß. Auf "Big Bang" geht es mal eben um die Entstehung des Universums. Passt – denn 'klein' kann der Schöpfer der Keltenrock-Saga "Excalibur" (erst jüngst gab es Teil IV) und weiterer prog-lastiger Rockopern schon lange nicht mehr. Das betrifft schon länger auch die Zahl an Gastmusikern – eine stattliche Auswahl aus bekannten Rock-Größen und auch eher etwas ausgesuchterem Publikum bekannte 'Spezialisten' aus dem Bereich Celtic Rock, die immer wieder bei seinen Aufnahmen dabei sind. Ein bisschen weniger sind es dieses Mal bei der Vokalfraktion, weil viele Nummern ohne Lead-Gesang auskommen. Michael Sadler (Saga), Roberto Tiranti (Labyrinth) und Celtic-Harp-Fachkraft Alan Stivell sind die wenigen, die mit ihren Stimmen im Vordergrund agieren. Dafür gibt es aber noch einen Kinderchor (bei "Fools", s. u.) und einen Erwachsenenchor, der dem Hörer gleich im Opener auf Latein erklärt, dass das Universum aus Chaos entstanden ist.
Das ist ein prachtvoller Einstieg für Alan Simons 'großes' Thema, standesgemäß eingebettet in filmmusiktaugliche Arrangements des tschechischen Orchesters, das Monsieur Simon zur Verfügung stand – 'wie gewohnt', möchte man schon sagen … aber Gewohntes ist in diesem Fall eben auch Gutes. Und wie immer ist der Einsatz der Philharmoniker gut abgestimmt auf die Gesamtanmutung. Man bespielt ein Spannungsfeld zwischen mysteriös, spannend, dramatisch, aber auch mal wehmütig und kontemplativ ("The Soul Of The Stars"); und es wird nicht overplayed. Hinzu kommen viele prägende Saxofon-Soli John Helliwells (Supertramp), womit der Charakter typischer Alan-Simon-Werke unverkennbar ist – man kann eigentlich nur alles, was er macht, mögen, oder auch "Big Bang" uninteressant finden.
Letzteres ist für den Rezensenten jedoch nur schwer vorstellbar, denn auch hier schaffen es Simon und seine Mitstreiter, ins klassisch Instrumentierte E-Gitarren-Einsprengsel, Flöten, Mundharmonika und andere – gerade in der Kombination – spannende Instrumente derart ausgeklügelt einfließen zu lassen, dass etwas 'Neues' entsteht. Einfach gestrickte, aber eben auch einfach brillant gute Melodien werden mit viel Varianz durchexerziert . "Starlight" ist so ein Beispiel für ein simples, knackiges Thema (in diesem Fall vom Klavier vorgetragen), das schnell süchtig macht und im tighten Drive der Rockband und 'vergrößert' durch das Orchester den Fuß zum Mitwippen, den Kopf zum 'ja' Sagen und den Bauch zum alles gut Finden bringt.
Nicht alle Nummern können allerdings das Niveau halten: Außer solchen wie "Chaos" und "Alpha Centauri", wo immer wieder diese unterschwellige Spannung eingebaut wird, gibt es mit "Moon" einen Track, der zu unauffällig daherplätschert und mit "Andromeda" ein bisschen Kitsch-Alarm mit zu viel hohem Piano und Streichern mit Flöte. "Space Time" ist wiederum ein Beispiel dafür, wie es gelingt, im soften Bereich Eindruck zu schinden – eine Nummer mit extra viel Jazz-Touch, bei der Drums, Bass, Saxofon und Piano jeweils zu eigenen Extra-Hördurchläufen mit 'Solo-Studie' einladen und in ihrer Kombination den gelungenen Akustikteppich zum gedanklichen Weltraumwandern ausrollen. ("Space Time" verstehe ich ganz nebenbei auch gern als Wortspiel – als recht abgedrehte Taktansage des Drummers.) Quasi Ausreißer sind die wenigen Stücke mit Gesang.
Alan Stivell macht das Stück "Solarius" mit einer Mischung aus gesprochenem Wort und kunstvoll artikuliertem Gesang zu einer Art glitzernd-opulent inszeniertem Musik-Hörspiel – das ist durchaus speziell, passt aber mit seinem besonderen Charme in die Dramaturgie des Albums. Bei "Seven Moons In The Sky" performt Metal-Stimme Roberto Tiranti mit reichlich Effekt und nicht mehr Text als »The earth is far away / I will never be back / Seven moons in the sky« eine Art Kanon mit sich selbst. Eingebettet ist das Ganze in floydig-spacige Psychedelic-Atmosphären aus kristallklaren Clean-Gitarren und einem hypnotisch fesselnden Drive aus galaktisch weit hallender Percussion, Mundharmonika und Saxofon. Irgendwie genial; das muss man gehört haben! Tirantis zweiter Auftritt bei "The Journey" is dagegen irgendwie ein bisschen lustig … gar nicht mal abwertend gemeint – es ist einfach unterhaltsam: Wir bekommen eine Art Retro-Disco-Drive und erneut nur einige wenige Worte in Wiederholung mit Kopfstimmen-Gesang, irgendwo zwischen Electric Light Orchestra, kitschigen Styx und Earth Wind & Fire.
Den größten Wortanteil hat Saga-Sänger Michael Sadler bei "Fools". Und was ist das für ein Mörder-Song; was für ein 'Urknall' kurz vor Schluss! In beinahe beschwörend bremsendem Mid-Tempo und genial minimalistisch bauen Klavier und Streicher bei unwiderstehliche Spannungen auf (Wäre ein idealer Kandidat für einen James-Bond-Song! Übertrieben? Reinhören!). Sadler spielt dazu granz großes Kino und singt nicht nur, sondern inszeniert seinen Text, der mit einem Kinderchor noch ein cooles Stück bedeutungsschwangerer wird. Das passt wie der Ring um den Saturn – denn das Album "Big Bang" soll nicht nur ein Soundtracks fürs Universum sein und übrigens 2019 auch im Weltraum-Themenpark "Cité de l’espace" in Toulouse zu einer großen Aufführung kommen.
Alan Simon will uns damit auch zu einem bessern Umgang mit unserem Planeten ermahnen, damit nicht alles aus ist, bevor wir erst richtig damit anfangen können, das Universum zu erforschen und zu verstehen. Als besonderen Bonus ist das Album mit Klängen des NASA-Schallarchivs gespickt, was nach offiziellen Angaben dazu geführt, hat, dass pro Track durchschnittlich 200 Spuren angelegt werden mussten. So klingt das Universum stets mit, wenn auch so unterschwellig, dass man diesen besonderen Aspekt schon ganz aktiv auf den Sensoren haben muss. Mancher Effekt stammt wohl doch nicht aus dem Computer, sondern von irgendwo da draußen.
Line-up Alan Simon:
John Helliwell (saxophones, clarinet)
Marco Canepa (keyboards, programming)
Robert Tiranti (lead vocals)
Michael Sadler (lead vocals)
Alan Stivell (lead vocals, celtic harp)
Guido Carli (drums)
Massimo Palermo (bass)
Marco Fadda (percussion)
Paolo Ballardini (electric guitar)
Alan Simon (flute, harmonicas, percussion, glasses, guimbarde, acoustic guitar)
Choir: Chiara Cisamolo, Carola Marasco, Augusta Patronne, Roberto Tiranti, Alan Simon, Guido Ripoli
Kids choir – #13: Andrea Daddi, Alba Origano, Samuele Porzio, Ester Spatari, Roberto Uccelli, Rocco Uccelli, Giada Viali
Conductor: Patrizia Merciari
Tracklist "Big Bang":
- Prologue Of The First Day (3:38)
- Chaos (5:51)
- Alpha Centauri (3:28)
- Seven Moons In The Sky (4:49)
- Interstellar (3:09)
- Solarius (4:49)
- The Soul Of The Stars (5:19)
- Starlight (3:00)
- Moon (3:48)
- Andromeda (3:08)
- Space Time (3:52)
- The Journey (5:01)
- Fools (4:25)
- The Waltz Of The Universe (3:22)
Gesamtspielzeit: 57:40, Erscheinungsjahr: 2018
Neueste Kommentare