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Alberto Rigoni / Songs For Souls – CD-Review

Alberto Rigoni / Songs For Souls

Gewöhnlich schreibe ich über Bands und Musiker, die in der Szene weniger bekannt sind und dem entsprechend in den sozialen Medien noch nicht allzu sehr präsent sind. Ersteres trifft auf den Bassmann und Komponisten Alberto Rigoni zumindest auf mich zu, ich kannte ihn bislang nicht. Die sechsstellige Zahl an Likes auf seiner FB-Seite ließ mich aber aufhorchen. Und wer wie in seinem Fall mit dem Dream Theater-Keyboarder Jordan Rudess oder der Gitarristin Jennifer Batten zusammenarbeitet, die viele Jahre mit Michael Jackson auf der Bühne stand und später in der Band von Jeff Beck mitwirkte, agiert in prominenter Umgebung und muss selbst eine Menge zu bieten haben. Mein Interesse ist jedenfalls geweckt.

Alberto hat seit 2008 mit dieser Neuerscheinung "Songs For Souls" insgesamt elf Solo-Alben herausgebracht und war beziehungsweise ist an einigen Band-Projekten maßgeblich beteiligt. Und doch lag der Schatten der Pandemie derart stark auf seinen Schultern, dass es im Grunde eines für Alberto noch schmerzlicheren Erlebnisses bedurfte, um seine Zukunft neu zu überdenken:»In Anbetracht der schweren Zeiten wollte ich die Musik aufgeben, aber plötzlich starb mein Vater am 15. Oktober 2021 … Also beschloss ich, ein Album in seinem Gedenken zu machen.« Ich wünschte, ich hätte meinen Eltern ein ähnliches Epitaph hinterlassen können.

Die Musik von Alberto Rigoni wandelt zwischen den Welten progressiver Rockmusik, der Fusion und dem ambienten, experimentellen Rock. Es gibt meditative Momente wie in dem Sinn gebenden "Silence" genauso wie kurze Anleihen beim Prog Metal in "Keep On Fighting", bezeichnenderweise auf dem Album direkt nebeneinander platziert. Im Vordergrund steht aber durchaus das pointierte und stark akzentuierte Bassspiel des Protagonisten, der in allen musikalischen Spielarten souverän zu überzeugen weiß. Wenn man die Songtitel der zehn instrumentalen Nummern betrachtet, ergibt sich durchaus ein inhaltliches Konzept, eine Art Parabel auf das Leben und die Vergänglichkeit, geprägt durch die frischen Eindrücke des persönlichen Verlustes. Wer diese Gefühlslagen bereits selbst durchlebt hat, wird sich selbst wiederfinden.

"The Miracle", "L' Origin Du Monde" (mit naturalistischen Baby-Geräuschen sowie einem Feuerwerk der Tasten) und "Youth" bilden sozusagen die Basis für das Wunder des Lebens. Insgesamt erinnert mich dieses Konzept des gesamten Albums ganz stark an den populären Alpenmaler Giovanni Segantini und sein wichtigstes Werk, das Alpentriptychon "Werden – Sein – Vergehen". Insbesondere "Youth" mit seinen jazzigen Phrasierungen und teilweise spielerischen Applikationen vermittelt das Lebensgefühl der Jugend, auch hier folgt die Musik sehr stark dem Thema und vermittelt eine Art Kopfkino.
Dann der Bruch. Mit "Talking With My Demons" verrät schon der Songtitel, dass wir in eine sehr viel nachdenklichere und auch bedrohliche Lebensphase übertreten. Besonders Alessandro Bertonis gefühlvolles Piano über sehr sanftem Keyboard nimmt uns mit auf der Reise zu den Geistern in uns. Die Musik hat etwas sehr ernsthaftes und irgendwie archaisches.

"Suddenly" und "The Battle" scheinen vom plötzlichen Unheil zu künden, etwas, das in unser Leben einfällt und uns zum Kampf zwingt. "Suddenly" lebt dabei vom ausdrucksstarken und sehr präsenten Bass-Spiel, während das tief traurige "The Battle" dem Titel gänzlich unentsprechend zunächst den Eindruck vermittelt, als sei der Kampf längst verloren. Zarte Streicher unterstützen den melancholischen Duktus, bis die einsetzende Percussion letztlich doch noch für ein Crescendo sorgt und Hoffnung symbolisiert, finalisiert durch Tommaso Ermollis schönes Gitarrensolo.

Den atmosphärischen Höhepunkt der Scheibe bietet das tief beeindruckende "Silence". Spärlichster Bass über kaum spürbaren Keyboard-Schwaden, ich weiß nicht, wann ich die Stille jemals packender musikalisch interpretiert vernommen habe. Man schwebt in einem dunklen Raum, luftleer, bewegungslos, kalt. Wahrlich beeindruckend.
"Keep On Fighting" knallt uns aus allen düsteren Gedanken und vermittelt den Kampfgeist mit wildem Prog Metal. Hier darf sich Edoardo Taddei an der elektrischen Gitarre genüsslich ausleben, sein wieselflinker Stil erinnert an Yngwie Malmsteen, hat aber auch Raum für eine sehr schöne Hookline im Hauptthema.
Das letztlich unvermeidliche wird dann in "Peaceful Acceptance" wunderschön und bewegend zum Ausdruck gebracht. Recht minimalistisch, aber mit einem tröstlichen Unterton, hervorgehoben durch die Einigkeit von Bass und Piano in einer repetitiven Schleife. Musik wie eine Therapie.

Schön, dass das Album mit "Souls Never Die" am Ende einen stark rockigen Akzent setzt und nicht angesichts des Verlusts in einer Art selbstreferenziellen Melancholie versinkt. Die Nummer ist vorwärts treibend und absolut optimistisch, die klare Botschaft: Es geht immer weiter und irgendwas in uns lebt weiter, selbst wenn wir längst gegangen sind. Die mächtigen Keys und die rotzige Gitarre lassen daran keinen Zweifel. Mir kommt Don Aireys Solo-Debut "K2" in den Sinn, jenes Album über die legendär, dramatischen Ereignisse am Berg K2 aus dem Jahr 1986, wo so viele Menschen ihr Leben verloren. Auch diese Platte endet nach all den schicksalhaften Geschehnissen mit einer absolut positiven und lebensbejahenden Nummer und geht auch insgesamt mit einem ähnlichen roten Faden im Aufbau zu Werke, auch wenn "K2" sicherlich deutlich mehr im klassischen Hard- und Prog Rock beheimatet ist. Parallelen bestehen allemal. "Songs For Souls" findet da deutlich differenzierte Pointierungen, nährt sich aus der Fusion und bedient das Feld experimenteller Sounds.

Der musikalische Mix wirkt nicht konstruiert, die Linie zwischen den Spielarten ist klar und vernehmlich, die Hintergründlichkeit des Themas wird sehr schön umgesetzt. Wer in der Lage ist, seinen Liebsten (in diesem Falle ist es der Vater) ein solch ausdrucksstarkes Werk quasi als Requiem zu widmen, der muss ein guter und gefühlvoller Mensch sein. Mich hat das Album berührt und ich habe jede Nuance nachvollziehen können.


Line-up Alberto Rigoni:

Alberto Rigoni (bass)
Jordan Rudess (keyboards, piano #2)
Fabrizio Leo (guitar #10)
Edoardo Taddei (guitar #8)
Jennifer Batten (guitar #3)
Marco Sfogli (guitar solo #10)
Mark Zonder (drums)
Tommaso Ermolli (guitar, orchestration #6,7,9)
Alessandro Bertoni (keyboards, piano #4,5,10)

Tracklist "Songs For Souls":

  1. The Miracle
  2. L’Origin Du Monde
  3. Youth
  4. Talking With My Demons
  5. Suddenly
  6. The Battle
  7. Silence
  8. Keep On Fighting
  9. Peaceful Acceptance
  10. Souls Never Die

Gesamtspielzeit: 37:57, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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