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Alice Cooper / Konzertbericht, 22.06.2024, Too Close For Comfort-Tour, Waldbühne, Northeim

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Ist es vielleicht möglich, dass US-amerikanische Rockmusiker unauffällig mit einem zusätzlichen Gen ausgestattet sind, das ihnen zu mehr Spielfreude bei Liveauftritten verhilft? Dieser Gedanke schoss mir während des Auftrittes von Alice Cooper und seiner Band in Northeim immer wieder durch den Kopf. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Beängstigend gut, so könnte man das Konzert am 22. Juni 2024 in der Waldbühne in Northeim beschreiben. Das Datum gut passend zum kalendarischen Sommeranfang zwei Tage vorher, dazu in einer einzigartigen Naturkulisse gelegen, mit dem richtigen Wetter im Bunde und vor einer nahezu ausverkauften Spielstätte – der Rahmen hätte für dieses Rockspektakel nicht besser sein können. Eingebunden in den reibungslosen Verlauf waren alle Busfahrer beim Shuttleverkehr zur Waldbühne sowie die Einsatzkräfte der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerkes aus der Stadt Northeim.
Wie RockTimes von den rührigen Hilfskräften erfuhr, sei deren Einsatz in der Zahl der Helfer in der städtischen Waldbühne angemessen gewesen, wofür Erfahrungswerte aus vergangenen Konzerten sprachen. Die Kapazität der ursprünglich in den 1930er Jahren errichteten Anlage beträgt aktuell 7000 Besucher, 6500 Gäste verzeichnete das Konzert mit Alice Cooper.

Zunächst legten pünktlich um 19 Uhr die Musiker von Black Mirrors aus Belgien los. Eine Band, deren Stilrichtung sich irgendwo zwischen Doom Metal und Grunge-Rock bewegt, damit aber noch lange nicht endgültig beschrieben ist. Doch vordergründig hörte sich das Ganze erst einmal nach geradliniger Rockmusik mit der Stimme von Marcella Di Troia an. Das Quartett spielt munter drauf los. Die Moderationen der Sängerin waren herzlich, kurz und selbstbewusst. Die Frontfrau, die in Northeim ihren noch sehr jungen Nachwuchs dabei hatte, machte deutlich, was ihrer Band wichtig war: Mit ihren eigenen Kompositionen wollten sie das Publikum gut unterhalten und gemeinsam mit den Zuhörern Spaß haben. Nach 35 Minuten endete ein kurzweiliger, gefälliger Musikblock, der ein guter Einstieg in die nachfolgende Party war.

Vorhang auf, die Show beginnt

Vorhang auf, die Show beginnt

Damit zurück zum Ausgangspunkt, zurück zu Altmeister Alice Cooper. Für ihn hatten sich Fans aus der gesamten Republik auf den Weg nach Niedersachsen gemacht. Ein typischer Alice Cooper-Fan war dabei nur schwer auszumachen. Eher eine Art Familienmensch. Unübersehbar war jedoch die Metal-Fraktion in der Überzahl. Während andere Konzerte im Segment Heavy Metal und Hard Rock gerne jüngeres Publikum bewegen, blieben dieses Mal die Oldies fast unter sich.

Alice Cooper wäre nicht das Original ohne seine Einlagen, die ihn auf Lebenszeit das Image des Schock-Rockers eingebracht haben. Natürlich hatte er auf der Bühne eine Puppe gequält, Paparazzi und Frauen um die Ecke gebracht und Frankenstein ("Feed My Frankenstein") einen großen Auftritt verpasst sowie sich selbst in eine Zwangsjacke gepackt. Das wollen die Zuschauer sehen, aber ebenso sehnen sie sich nach Klassikern wie "Poison" oder "School’s Out", die den heute 76-Jährigen unsterblich werden lassen. Während der Sänger die Aufmerksamkeit immer wieder auf sich zog, spannte seine Tourband in einer kollektiven Meisterleistung die Fäden. Tourband – das klingt nach einer Allstarbesetzung mit gelegentlichen Auftritten. Doch weit gefehlt. Hier sind Akteure zum Teil schon lange dabei. Mit diesen phantastischen Musikern hatte Alice Cooper erst vor einem Jahr das aktuelle Studioalbum Road aufgenommen. Die Produktion enthält maßgeschneiderte 13 Lieder und trägt maßgeblich die Handschrift von Erfolgsproduzent Bob Ezrin, einem jahrzehntelangen Partner an der Seite von Alice Cooper. Die genreübergreifende Musik war prägend für den Abend in Northeim. Das setzte den Spaßfaktor frei, der sich von den Musikern aufs Publikum übertrug. Zur Band gehörten Ryan Roxie (Gitarre), Chuck Garric (Bass), Tommy Henrikson (Gitarre), Glen Sobel (Schlagzeug) und Nita Strauss (Gitarre). Das Kollektiv funktionierte wie ein Schweizer Uhrwerk. Es war eine Gruppenleistung, in die Alice Cooper in gleicher Weise einbezogen war. Unübersehbar war er der Chef im Ring und agierte in seiner auffälligen Bühnengarderobe wie ein Dompteur in der Manege, aber er fand den passenden Umgang gemeinsam mit seinen Musikern. Er war ein Teil von ihnen.

It's Only Rock'n'Roll

It’s Only Rock’n’Roll

Beeindruckend, wie alle Bandmitglieder fokussiert auf das Geschehen waren. Keiner spielte sich in den Vordergrund, es war eine Session mit Partycharakter, oder anders herum: Der Partykracher, der sich in eine Session verwandelte. Jeder Musiker kannte seinen Part innerhalb einer eingespielten Gruppe. Das war gerade deshalb wichtig, weil hier drei Gitarristen gleichzeitig in Aktion waren. Alte und neue Stücke erklangen so miteinander, dass kein Unterschied im Klang auszumachen war. Es gab keine ausufernden Soli, aber jeder Akteur erhielt die Gelegenheit, seine Vorzüge zu zeigen.

Dosiert platziert Alice Cooper fast jährlich seine auserwählten Konzerte in Deutschland. Hinzu kommen die CD-Produktionen mit seiner eigenen Band und mit den Hollywood Vampires. Am Ende stehen eine große Portion Ehrgeiz und Fleiß. Beides sorgt für die hohe Präsenz des Rockstars, dabei steht immer der Musiker im Mittelpunkt, doch es gibt neben ihm eine gereifte, vielseitige Persönlichkeit abseits der Bühne. Alice Cooper ist deshalb im Showbereich eine allseits bekannte, wie auch geachtete Person.

Erlebnisse wie das Konzert in Northeim kann man sich zwar wünschen, planbar sind diese Höhepunkte in dieser Form nicht. Der emotionale Faktor des Gastspiels und die gut aufgelegte Band gestalteten jede Minute zu einem besonderen Glücksmoment. Es gab keine außergewöhnlichen Zutaten, mit denen die sechs Protagonisten ausgestattet waren. Doch sie lieferten von der ersten Minute an ein Feuerwerk der Rockmusik ab, das für alle Augen- und Ohrenzeugen unvergessen bleibt. Es wirkte so, also wollten sie sich mit ihrer grandiosen Darbietung in besonderer Weise bei ihrem Publikum bedanken. Ein Eindruck bleibt: Mehr Spielfreude kann ein Künstler nicht verbreiten.

RockTimes bedankt sich beim Plattenlabel earMUSIC und beim Veranstalter Living Concerts für die freundliche Unterstützung.

Bildnachweis für alle Bilder des Events: © 2024 | Mario Keim | RockTimes


Alice Cooper

 


Black Mirrors

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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