Altostratus nennt man den Wolkentyp, der diffus und kontrastlos in mittlerer Höhe zu einem blau grauen Firmament führt, aus dem die Sonne meist nur schemenhaft zu erkennen ist. Laut einer schlauen Internetseite bestehen diese Flächen-Wolken aus unterkühlten Wassertropfen und Eiskristallen. Touch Down! Meine ersten Emotionen nach dem Durchlauf von "Complete The Connection" waren tatsächlich Assoziationen von kristallenen, reinen Formen. Scharfkantig und präzise, so wie die omnipräsenten sägenden Riffs und dazu die korrespondierenden glasklaren Gitarrenläufe, die uns auf dieser Reise begegnen werden. Wenn denn diese Metapher zum Bandnamen geführt hat, dann haben wir dort schon mal einen fetten gemeinsamen Nenner.
Alexander Hek (Gitarre) und Jack Thomas (Schlagzeug) kennen sich seit Kindheitstagen und die gesamte Band agiert bereits seit 2014, bringt aber in diesem Jahr erst ihr Debütalbum heraus. Da muss eine Menge Arbeit und auch Erfahrung drin stecken, sage ich mir und stolpere gleich über die faszinierende Stilbeschreibung des Begleitmaterials: Instrumentaler Progressive Tech Metal. Na dann …
Sehr schön, wie das lange und sehr melodiös zurückgenommene Intro zum Opener und Titelsong lange die Spannung aufrecht hält, in welche Richtung sich unser Pfad wohl wenden wird? Einige Minuten später aber offenbart sich die Seele des Albums. Die Musik, die tatsächlich und wie bei sechs Jahren Vorlaufzeit kaum anders zu erwarten von einem ausgeprägten Teamspiel geprägt wird, lebt von den allgegenwärtigen, harten metallenen Riffs, die mit der Rhythmusfraktion geradezu zu verschmelzen scheinen. Dagegen bäumt sich eine glasklare Lead-Gitarre mal virtuos kontrapunktierend auf, dann wiederum scheint sie aus der oftmals halsbrecherisch wilden Rhythmus-Akrobatik geradezu heraus zu wachsen; besonders dann, wenn sich einer gewissen Ausdrucksform bedient wird, die für mich wie eine Anleihe aus dem Postrock klingt. Jene schrammelnden Saitenteppiche, ähnlich konturlos wie die Altostratus Wolke, löst sich erstmals sehr schön in "Hosnian Prime" und wir begegnen ihr später in "Concord Dawn" und dem großartigen Schluss-Song "Starlight" nochmal.
Überhaupt scheint auch dies ein Merkmal der Scheibe zu sein, dass bestimmte Leitmotive und Zitate an verschiedenen Stellen immer wieder mal in Erscheinung treten, obwohl diese ausdrücklich als »kein Konzeptalbum« bezeichnet wird.
Aber auch andere Gesetzmäßigkeiten scheinen sich in den Tracks mit schöner Regelmäßigkeiten zu wiederholen, nämlich ausgeprägte Breaks, die gelegentlich fast poetisch progressive Eindrücke vermitteln, mitunter sogar den Bereich der Fusion streifen, besonders eindrucksvoll zelebriert in "Lodestone", wo nach einem heftigen Metal-Gewitter eine reflektierende Passage eingeflochten wird, die irgendwo zwischen King Crimson und modernem Jazz-Rock anzusiedeln wäre. Überhaupt bietet für meinen Geschmack dieser letztgenannte Song sowie die schon im ersten Drittel platzierte Nummer "Persea Americana" den meisten Spaß, weil hier gar wild zwischen den Stilrichtungen geswitcht wird, ohne jedoch den eigenen Duktus zu verlieren.
Gelegentlich wird das rauhe Treiben aber auch durch kurze, fast romantische Passagen eingefangen, eben nicht nur im Intro. Der Auftakt zu "Persea Americana" hat etwas von jazzigem Folk oder folkigen Jazz, wir treffen später im ganz kurzen "Nexus" noch einmal auf ein solches Sedativ. Doch dies sind rare Ausnahmen, weitgehend dürfen die Nackenmuskeln diversen Stauchungen ausgesetzt werden und bei den raffinierten Rhythmus-Breaks sollte man sehr genau überdenken, wie nachhaltig man seinen Bewegungsapparat an diese Vorgaben heran lässt.
Und zum Schluss nehmen sie uns sozusagen selbstreferenziell retrospektiv in "Starlight" noch einmal mit auf den Weg durch das Album, komprimiert in den immerhin längsten Song von "Complete The Connection". Auch der Albumtitel lädt natürlich zu Interpretationsversuchen ein. Werden wir aufgefordert, bestimmte Beziehungen zwischen den Stücken zu finden und diese zu verbinden? Sind wir es am Ende, die die Verbindung mit der Band vollenden sollen? Das, was sich wohl jede Band wünscht, ganz besonders wenn sie auf der Bühne steht.
Ich weiß es nicht, finde es aber toll, dass man uns mit diesen Fragen zurück lässt. Denn das erzeugt Spannung und Interesse.
Gut gemacht.
Was als kleines Manko angemerkt werden könnte, ist die prinzipielle Gleichgestricktheit der Kompositionen, die eben allzu sehr dem kristallenen Prinzip der scharfen Kanten und gesetzmäßigen Einschüben folgen. Vielleicht ein wenig zu viel Struktur. Zu Langeweile führt dies aber nicht, dafür sind die Songs in sich viel zu Energie geladen, die Mischung stimmt auf alle Fälle und die Stimmungswechsel in den Breaks sorgen für Abwechslung, aber auch so etwas wie einen roten Faden.
Insgesamt bieten uns Altostratus tollen Gitarrenrock mit einem hohen Anteil an Eigenständigkeit und Virtuosität, eine Musik, die perfekt ihren Prinzipien folgt und vor allem durch ihre enorme Dynamik lebt. Songs, die wie ein Kubus aus schillernden Mineralien dem Gestein entwachsen. Das alles hat irgendwie mit Natur und deren Gesetzmäßigkeiten zu tun, vielleicht ist das ja auch eine Botschaft von Altostratus, der Wolke, auf die häufig gutes Wetter folgen soll. Es wäre uns zu wünschen in dieser komischen Zeit.
"Complete The Connection" hinterlässt jedenfalls einen befriedigten Rezensenten mit einem Lächeln im Gesicht, da hat die Verbindung auf jeden Fall schon mal gefunzt!
Line-up Altostratus:
Alexander Hek (guitar)
Jordan Harris (guitar)
Andrew Smith (bass)
Jack Thomas (drums)
Tracklist "Complete The Connection":
- Complete The Connection
- Hosnian Prime
- Persea Americana
- Universal Receiver
- Zephyr
- Eclipse
- Concord Dawn
- Nexus
- Lodestone
- Starlight
Gesamtspielzeit: 41:30, Erscheinungsjahr: 2020
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