Iron Maiden einmal aus einer anderen Perspektive erleben. Das war der Wunsch vieler Besucher am 27. Januar 2023 im Haus Auensee in Leipzig. Mit der Spoken Word-Veranstaltung gastierte Maidens Sänger Bruce Dickinson nach seinen zahlreichen Aufenthalten im englischsprachigen Raum jetzt auch drei Mal in Deutschland (Köln, Bremen und zuletzt Leipzig). Das Programm "Evening With Bruce Dickinson" sorgte zwar für keinen ausverkauften, aber dennoch gut besuchten Saal. Die T- Shirts von Iron Maiden hatten verständlicherweise nicht ausgedient, doch das Bekenntnis zur Band stand dieses Mal in einem anderen Zusammenhang. Am Publikum konnte man deutlich ausmachen: In Alter und Geschlecht sind Iron Maiden längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ohne aber den Anstrich des Mainstreams zu haben.
Die entspannte Atmosphäre unter den Zuhörern und deren Reaktionen während der Veranstaltung lassen darauf schließen, dass sie das Konzept, Iron Maiden mit nur einem Bandmitglied und völlig ohne Musik, gut verinnerlicht haben. So einzigartig das Format aus Sicht des Protagonisten des Abends war, so selten kann man dieses Konzept in der allgemeinen Wahrnehmung werten. Dickinson, der bisher sechs Soloalben veröffentlicht hat, war hier nicht auf Solotour – nein, er wählte eine andere Form. Es war auch keine Lesung, sondern ein Vortrag mit vielen Facetten.
Dickinson, der Tausendsassa, gab sich keine Schonzeit. Er redete sofort munter drauf los. Er gestikulierte passend zu seinen Worten und bewegte sich nahezu ruhelos durchs Programm. Er erzählte Episoden aus seinem bewegten Leben, nahm die Politik seines Heimatlandes auf die Schippe und sparte nicht mit Humor und Ironie. Die Show der eigenen Band kommentierte er mit den Worten: »Wir sind wie Rammstein, aber die Billigvariante«. Gleichzeitig war klar: Englisch war gewöhnlich ein Muss für den Besuch dieser Veranstaltung. Wer diesem Anforderungsprofil nicht gerecht werden konnte, kam durch die Gestik und Mimik des Künstlers immer noch auf seine Kosten und erlebte eine unterhaltsame Zeit.
Die Konstellation war, dass Dickinson nicht trocken aus seiner Biographie vorlas. Das Buch war 2017 erschienen, ein Jahr später kam hierzulande die deutsche Übersetzung auf den Markt. Außerdem verzichtete der Gastgeber auf einen Übersetzer. Mit Sicherheit wäre dies ein Stimmungskiller gewesen. Die für ein Konzert ausgelegte Bühne gehörte ihm für drei Stunden allein. Eine Stunde und 45 Minuten erzählte Dickinson aus seinem Leben oder wurde philosophisch. In der 25-minütigen Pause lief zu Beginn Musik vom Band, untermalt mit Comics der Band. Im zweiten Teil, der eine reichliche halbe Stunde in Anspruch nahm, war es Bruce Dickinson selbst, der die Fragen der Besucher verlas – und natürlich beantworten musste. Noch am gleichen Abend konnten die ausgelegten Karten ausgefüllt und in eine Box eingeworfen werfen. Die meisten Fragen außerhalb der Musik bezogen sich auf seine Zeit als Pilot. Dieses Kapitel sei für ihn bereits beendet. Manche Fragen, wie die nach dem besten Live-Song, ließen sich nicht abschließend beantworten.
Über die Frage "Who Is Your Favorite Spice Girl" ("Wer ist Dein Lieblings-Spice Girl?") musste er zunächst schmunzeln. Dann überlegte er kurz und fragte: »Who Are The Spice Girls?« Es ist seine Art, über Dinge zu reden und das Leben zu interpretieren. Ihm ist auch Selbstironie nicht fremd. Das verrät neben anderen Dingen seine Biographie. So klagte er darüber, wie schwer es sei, sich in der eigenen Band auf der Bühne zu bewegen. Als Sänger werde er unterdrückt, weil es drei Gitarristen, einen Schlagzeuger mit großem Instrument und einen Steve Harris gibt. Dabei machte er den Bassisten nach, der stets in hohem Tempo über die Bühne jagt. All das sei ihm bei seiner früheren Band Samson nicht passiert, wo alles geregelter gewesen sei.
Die Zuhörer im Haus Auensee hatten viel Spaß am Vortrag. Bruce Dickinson sammelte bei ihnen Sympathiepunkte, weil er mit Offenheit; Humor und Bodenständigkeit punkten konnte. Der Akteur des Abends war vollkommen auf seinen Vortrag fokussiert. Die Flasche Bier, die in seiner Nähe auf einem Bistro-Tisch stand, sah er nicht einmal an. Ein Fan erinnerte in Leipzig daran, dass Gitarrist Janick Gers zeitgleich Geburtstag hatte und schrieb es auf eine Karte, die der Sänger unter starkem Beifall der Zuhörer verlas. Daraufhin ertönte ein kurzes "Happy Birthday to You"-Ständchen im Saal als Gruß an das 66-Jährige Bandmitglied.
"An Evening With Bruce Dickinson" ist ein sehr reizvolles Angebot, sich einem gefeierten Rockstar und Sänger einer erfolgreichen Heavy Metal-Band auf eine neue Weise nähern zu können. Bruce Dickinson ist dafür die Idealbesetzung. Er ist nicht nur Musiker, Sänger, Pilot, Autor und Unternehmer, sondern hat ganz offensichtlich exzellente Voraussetzungen als Entertainer. Diese Vorzüge ruft er locker und mit Charme ab. Für mich lag der Erlebniswert weit über den hochgeschraubten Erwartungen. Für einen Fan dieser Band war der Spoken Word-Abend ein Geschenk.
Ein herzliches Dankeschön von RockTimes geht an Julia Wehle, MAWI Concert GmbH, für die Akkreditierung.
©Fotos: Mario Keim
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