Anathema in der Batschkapp… das hat schon Tradition…für die Band und für uns. Das erste Mal haben wir sie dort 2010 gesehen und später (2012) noch einmal. Allerdings in der alten Batschkapp, in der neuen noch nicht. Das ist dann eine Premiere. Im Fall von Alcest ist es für uns wirklich das erste Mal überhaupt. Die Kombination aus beiden: Das klang danach, es könne es großartiger Abend werden.
Pünktlich um 19:30 legten Alcest los, mit stimmungsvollem Licht und recht gutem Sound. Die atmosphärischen Momente kamen gut rüber, genauso die metallischen. Schon im zweiten Song zeigten sich die Black Metal-Wurzeln als Neige keifte. Den Wechsel zwischen dieser fiesen Stimme und dem harmonischen Klargesang bekam er sehr gut hin. Seine etwas schüchtern wirkenden Ansagen, denen man anmerkte, dass englisch nicht seine Muttersprache ist, wirkten sympathisch. Er freute sich sichtlich über die Publikumsreaktionen.
Schnell füllte sich die anfangs noch recht leere Halle und das Publikum ging mit, mit Klatschen und vereinzeltem Headbangen. Auch der Beifall und Jubel zeigte, dass Alcest für viele weit mehr als nur irgendein Support waren, für manche vermutlich sogar der Hauptgrund, hinzugehen. Wundervoll verträumte Stellen wechselten mit Heaviness, immer wieder faszinierende Gitarrenklänge – der Klangteppich, den die beiden Franzosen (um zwei weitere Musiker verstärkt) boten, war ein emotionaler und musikalischer Genuss, beispielsweise bei meinem Favoriten von der Shelter, dem herrlich lichtdurchfluteten "Délivrance" oder auch dem Titelstück der noch aktuellen Scheibe "Kodama" (2016). Nach einer Stunde Spielzeit forderten einige Fans noch Zugaben, worauf Neige versprach, dass sie noch einmal wiederkommen – mit längerem Programm. Gelungener Auftritt und für einen Support ordentliche Bedingungen. Alcest haben bestimmt niemanden enttäuscht und vermutlich neue Fans dazugewonnen.
Kurz nach 21 Uhr kamen dann Anathema auf die Bühne, die mittlerweile mit einem Videoscreen versehen war, und blieben für zwei Stunden – auch da lässt sich nicht meckern. Der Sound erschien etwas schlechter, was jedoch eventuell an unserer veränderten Standposition im Raum liegen konnte, denn mittlerweile hatte sich die Halle gut gefüllt und nach so weit vorne wie bei Alcest war das Durchkommen schwierig. So war dann unsere Position etwas weiter hinten, mit etwas mehr Luft. Feststellung hierbei: Die Sichtverhältnisse auf die Bühne vom kompletten Raum aus sind in anderen Hallen teilweise besser, immerhin war es nicht so vollgestopft wie manchmal früher in der alten Batschkapp. Der obere Bereich war leider nicht geöffnet.
Der Schwerpunkt der Songauswahl lag, da "The Optimist"-Tour, natürlich auf dem gleichnamigen aktuellen Album und weil dieses quasi die Fortsetzung von der A Fine Day To Exit (von 2001) darstellt, kamen auch einige Songs davon. Darunter "Pressure", optisch ergänzt mit dem Videoclip von dem Mann im Auto, der an den Strand fährt, weil er sich dem Druck und seinen Problemen nicht mehr gewachsen sieht, um dort seinem Leben ein Ende zu setzen. Das Covermotiv mit dem Strand wurde mehrfach als Hintergrund zu den Songs der "A Fine Day To Exit"-Scheibe gezeigt. Ebenfalls mehrmals gab es Videos mit Sonneneruptionen, außerdem Kraftwerk-artige futuristische Bilder bei "Closer". Das Lied selbst haben Anathema allerdings schon stärker gespielt. Dafür überzeugten "Dreaming Light" und "Distant Satellite" (die TripHop-Elemente wurden live mit zwei Schlagzeugen umgesetzt – was gut gelang, somit war dieses Stück auch auf der Bühne sehr intensiv). Ein weiteres Highlight war die Kombination aus "Shine On You Crazy Diamond" und "See Emily Play" (irgendetwas von Pink Floyd musste ja sein… und da einige Zeit zuvor Syd Barret erwähnt wurde, war also mit etwas aus seiner Phase zu rechnen), das in "A Fragile Dream" (von der Alternative 4 von 1998, somit der älteste Song des Abends) überging.
Ebenfalls positiv erwähnenswert ist das recht metallische "Deep", von der Judgement (1999). Das Thema 'Material der früheren 90er Jahre' sorgte bei den Cavanaghs ein wenig für Missstimmung und führte zu einigen Kommentaren, z. B. nachdem mehrere Titel vom Publikum gerufen wurden, kam die Aussage »this is no fucking jukebox« und zu "Crestfallen" von der ersten EP (1992) gar »go and watch My Dying Bride. Fuck them«.
(Kommentar von Jens: Da ist meiner Meinung nach Souveränität gefragt, die hier definitiv nicht vorhanden war. Entweder ich spiele Titel aus allen Phasen, oder ich gehe gar nicht auf das Thema ein. So muss ich ehrlich sagen, so sehr ich die Band mag: Fuck You! Dann gehe ich wirklich lieber My Dying Bride schauen….. )
Ferner lieferten sie Erklärungen über die lineare Weiterentwicklung ihrer Musik, usw. Hm, daran zweifelt doch gar niemand, oder? Und diejenigen, die nicht bereit waren, dem Wandel zu folgen (da gibt es einige), wären 2017 gar nicht mehr auf ein Anathema-Konzert gegangen? Ist es so unverständlich, dass es Fans gibt, die sowohl "Distant Satellites" und "Crestfallen" mögen (so geht es mir beispielsweise) und gerne beides gehört hätten? Das ist ein Problem, dem sich jede Band stellen muss, dass eben auch mal Altes gewünscht wird. Wenn man dermaßen mit der Vergangenheit abschließt, wäre vielleicht doch eine Umbenennung sinnvoll gewesen?
Die Aussage, Metal wäre bei ihnen nur Musik in der Phase der Adoleszenz gewesen, kommt vielleicht nicht so gut an bei Zuschauern, die das auch mit vierzig oder fünfzig immer noch hören (Metal UND Pink Floyd – seit 35 Jahren – das geht!, und ja, auch Fleetwood Mac habe ich schon gehört…). Dann noch das Gejammer, sie könnten Häuser besitzen und groß sein wie Opeth (so groß sind diese auch nicht…) wenn sie weiter Metal gemacht hätten…
Wenn man Fans von früher, die die Band seit den Anfangstagen unterstützen, nicht mehr haben will, warum nimmt man dann als Support Alcest mit, bei denen trotz allem Shoegaze bzw. Blackgaze immer noch ein erkennbarer (Black) Metal-Anteil vorhanden ist? Ich glaube, damit haben sie sich ein paar Sympathiepunkte verscherzt, auch bei Hörern, die die neuen Scheiben sehr zu schätzen wissen. Ein wenig schade war auch, dass die CD We’re Here Because We’re Here hier wenig bedacht wurde.
Blieben noch genug starke Songs mit wundervollen Harmonien, Spielfreude und auch humorvolle Momente, die für Stimmung sorgten. Das Ganze wurde optisch gut gelungen durch die tolle Lightshow / Videoeinspielungen untermalt.
Als positive Veränderung war auffällig, dass Traumstimme Lee Douglas, die 2010 immer, wenn sie keinen Gesangspart hatte, hinter die Bühne huschte und verschüchtert wirkte, mittlerweile voll aufgetaut ist und schön abrockt, wenn sie nicht vor dem Mikro steht. Ihre gesteigerte Präsenz wirkte sich angenehm aus, dafür machte sich das Fehlen des Keyboarders (die Erklärung dafür habe ich nicht mitbekommen) als leichte Lücke bemerkbar.
Anathema sind 2017 live immer noch lohnenswert, doch ebenso, wie die letzten Studioscheiben, vor allem "The Optimist", nicht mehr an die Stärke der "We’re Here Because We’re Here" heranreichten, so war (nicht nur meiner Meinung nach) auch das Konzert schwächer ausgefallen als die letzten.
Die Gewinner des Abends waren daher Alcest und ich hoffe, sie beim nächsten Mal als Headliner zu sehen.
Text: Andrea, Fotos: Jens.
Vielen Dank an Robert Ehrenbrand von der target Concerts GmbH für die Akkreditierung.
Setlist Anathema:
- San Francisco
- Untouchable, Part 1
- Untouchable, Part 2
- Can’t Let Go
- Endless Ways
- The Optimist
- The Lost Song, Part 3
- Barriers
- Pressure
- Dreaming Light
- A Simple Mistake
- Closer
- Distant Satellites
- Albatross (Fleetwood Mac cover)
- Deep
- Springfield
- Back to the Start
- Fragile Dreams (with short intro of "Shine On You Crazy Diamond" and "See Emily Play")
Neueste Kommentare