Man möge sich eine Clique junger Menschen vorstellen, die im Hinterland von Texas am Arsch der Welt aufwachsen, über alle möglichen Formen der Kunst und der Wissenschaft, die wahrscheinlich allein schon in einem solchen Kaff als eine Art schräger Lebensbetrachtung interpretiert wurde, die Musik entdecken und mit schräger Intellektualität, wilden Ausbrüchen und sarkastischer Begeisterung ein Stück weit die Welt erobern – unter anderem auch den Rockpalast.
Alternative Rock-Bands gibt es viele, hier haben wir es sicher mit einer besonders exzentrischen Variante dieser Spezies zu tun.
Jungs, die sich für die Kultur der Maya interessieren und aus der Zeile eines Liedes derer ihren – überaus untypischen – Bandnamen entwickeln, müssen einen ganz besonderen Plan haben. Dabei haben die Forscher Conrad Keely und Jason Reece scheinbar festgestellt, dass vergleichbare Texte auch im alten Ägypten gefunden wurden. Dies ist ein fundamentales Prinzip der Band, die Erkenntnis über anthropologisch kulturelle Gemeinsamkeiten des Menschen ungeachtet geografischer Herkunft. Allzu sehr verwundert mich diese Theorie nicht, da ich schon immer davon überzeugt bin, dass beispielsweise die Musik der gebirgsbewohnenden Bevölkerung rund um den Erdball gravierende Ähnlichkeiten aufweist, ohne dass die entsprechenden Kulturen je in Berührung kamen.
Im Umgang mit den Trail Of Dead, um nicht mehr den überaus langen Bandnamen zu verwenden, müssen wir jedoch erhebliche Vorsicht walten lassen, denn offensichtlich ist nichts so, wie es scheint. Conrad Keely bezeichnete einst den Bandnamen als nichts anderes als einen Scherz und auch die Webseite der Band ist sehr berühmt dafür, weit mehr Fake-News zu verbreiten als sich der Realität verpflichtet zu fühlen. Eine amerikanische, sehr sarkastische Satire-Nachrichtensendung namens "The Onion" soll hier als Vorbild dienen. Daher mag man alle Informationen über die Band mit der nötigen Vorsicht betrachten. Unbestritten ist, dass die Jungs in ihrer frühen Phase mit Vorliebe ihre Instrumente zerlegten, wenngleich vermutlich aus gänzlich anderen Beweggründen als seinerzeit The Who.
Kann aus solchen Ansätzen heraus eine halbwegs gewöhnliche Musik entstehen? Wohl kaum.
Alternativer Indie Rock voller Abwechslung, dank herrlich verrückter Zitate aus völlig unterschiedlichen stilistischen Richtungen. Mal ein wenig in fast schon Sixties behafteten Zeilen oder wohl besser dem, was in den Achtzigern daraus gemacht wurde, dadurch ab und an auch beackert mit punkigen Attituden, dann wieder Folk orientiert oder psychedelisch aufgedreht. Vor allem überzeugt die Musik durch überraschende Wendungen und eigentümlich faszinierende Hooklines, die so authentisch und eigenständig klingen, dass man der Band ein unbedingtes Alleinstellungsmerkmal zuschreiben muss. Postrockige Passagen und sich immer tiefer komprimierende Steigerungsläufe werden spielend leicht in die Kompositionen eingebaut und am Ende ergibt es immer ein sinnvolles und nachvollziehbares Ganzes. Das ist wohl der größte Verdienst dieser außergewöhnlichen Musik.
Endlose repetitive Schleifen ziehen ihre Kreise und spielen mit der Intensität. Es entsteht ein unsagbar hypnotischer Flow, ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann. "The Opening Crescendo" baut die Stimmung auf für den unmittelbar übergehenden Song "All Who Wonder". Eine sanfte akustische Gitarre leitet ihrerseits über zu "Something Like This", das viele Eigenschaften der Indie-Bands der Achtziger aufzusaugen scheint. In den ruhigen Phasen kommen mir Felt in den Sinn, eine meiner Lieblings-Acts einer ansonsten nicht so sehr geliebten Zeit. Das Outro dieses Songs ist von sanfter, betörender Schönheit, wird aber sogleich vom Titelsong zerlegt, der wohl heftigsten Nummer auf dem Album.
Kann man unsere Trail Of Dead überhaupt irgendwie mit wem vergleichen? Am ehesten würde ich noch Wilco in ihrer Nähe sehen. Ich erinnere mich daran, wie Jeff Tweedy mit seinen Mannen ein hinreißendes Zweistunden-Konzert bei der Mountain Jam 2016 gespielt hat. Damals wollte ich mich eigentlich nur wach halten für Gov’t Mule, die morgens um 5 Uhr unserer Zeit auf die Bühne gingen. Wilco haben mich damals völlig umgehauen. Ja, eine gewisse Verwandtschaft besteht da wohl.
Conrad Keely hatte zuvor fünf Jahre in Kambodscha gelebt, bevor es ihn nach Texas zurückzog und das inzwischen zehnte Album der Band in Arbeit gehen konnte. So sieht er in diesem Album »einen Ausdruck der Trauer, einen geliebten Ort verlassen zu haben«, was in "Gone" besonders deutlich rüber kommt.
Die Songs gehen im Prinzip alle ineinander über, diese aufregende alternative Musik hat einen durchaus starken progressiven Charakter, in dem gerade die reflektierenden instrumentalen Passagen eine besonders starke Strahlkraft erfahren, die durch die dann wieder eher anarchisch flirrenden Gitarren und klanglichen Kompressionen herrlich kontrastiert werden.
Wer den schrägen Humor der Band ein wenig näher kennen lernen mag, möge sich das (auch musikalisch tolle) Konzert im Rockpalast von 2009 im Internet anschauen. Im Interview berichten Conrad und Jason über ihre ersten Erfahrungen mit Heino, dessen Platte sie auf einem Flohmarkt entdeckt hatten und dessen Frisur und tierische Begleitung auf dem Cover sie zu allerlei Mutmaßungen motiviert hat. Zum Schreien komisch. Doch wer die gleichzeitig thematisierten Skizzen von Conrad anschaut, die das Cover von "The Century Of Self" bilden und die er mit einem simplen Kugelschreiber gefertigt haben soll, wird schnell erkennen, dass neben anarchisch schrägem Humor eine unglaubliche Klasse und Potenz in dieser Band wohnt. Kulturell interessierte und künstlerisch außergewöhnlich begabte Menschen mit Hang zu einem unfassbar abgefahrenen Humor ohne Grenzen und Einschränkungen – wer, wenn nicht denen sollte unser Herz gehören? Nur eins dürfen wir niemals tun – ihnen auf den Leim gehen. Und die Gefahr dazu ist groß, Helge Schneider schickt einen entspannten Gruß dazu, während sein Huhn 'Kartoffelsalat, Dachlatte die Sechzehnte' wieder mal vom Frosch namens 'Frosch ohne Namen' bestiegen und zum Platzen gebracht wird (aus "Das Huhnlied", einfach ohne Worte). So iss datt bei uns im Pott – und anscheinend in der Wüste von Texas auch.
Wenn sich künstlerische Ausnahmeklasse, außergewöhnliche Bildung und völlig abgedrehte Ironie vereinen und in den Dienst eines einzigen Werkes stellen, das zu unser aller Glück in der Rockmusik seine Manifestation findet, dann dürfen wir uns alle als beschenkt fühlen. Ernsthafte Musik, die ganz und gar nicht ernst zelebriert wird.
Ein Hinweis zum Line-up: Das Informationsmaterial benennt nur die beiden Gründungsmitglieder ohne weitere Ausführungen und gibt keine Hinweise, ob wie zuvor weitere Musiker mit an Bord waren. Die dargestellte Besetzung entspricht der Darstellung auf der Facebook-Seite der Band. Da mir die physische CD noch nicht vorliegt werde ich auch daraus keine weitere Erleuchtung entnehmen können.
… And You Will Know Us By The Trail Of Dead Line-up:
Conrad Keely (vocals, guitar, drums)
Jason Reece (vocals, guitar, drums)
Alec Padron (bass)
Ben Redman (guitar, drums)
AJ Vincent (keyboards)
Tracklist "X: The Godless Void And Other Stories":
- The Opening Crescendo
- All Who Wander
- Something Like This
- Into the Godless Void
- Don’t Look Down
- Gone
- Children of the Sky
- Who Haunts the Haunter
- Eyes of the Overworld
- Gravity
- Blade of Wind
- Through the Sunlit Door
Gesamtspielzeit: 50:22, Erscheinungsjahr: 2020
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