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Anna von Hausswolff / Dead Magic – CD-Review

Anna von Hausswolff / Dead Magic

Die Kultur wurde stets auch durch die dunkle Seite des Daseins geprägt und beeinflusst, das wird niemand bestreiten können. Das Morbide, das Todesnahe, es hat seinen ganz eigenen Reiz, den wieder einmal die Psychologen uns erklären sollten. Es gibt viele Symbole, derer sich Künstler bedient haben, um solch düstere Szenarien zu kreieren, man denke an die Friedhof-Szene in "Das Omen" oder die Morde nach den Todsünden in "Sieben".
In der Musik verkörperte wohl kein anderes Instrument den Geist des Ewigen und den Mittler zwischen Lebenden und Toten wie die klassische, kirchliche Pfeifen-Orgel. Auch das ist in der Rockmusik nicht verborgen geblieben, Jon Lord bediente sich dieses Effektes genauso wie Rick Wakeman.

Anna von Hausswolff soll ihre Musik selbst mal als 'Funeral Pop' bezeichnet haben. Dabei warne ich aber vor allzu schnellen Assoziationen auf den Begriff Pop-Musik – mit der haben Annas Kompositionen nur sehr wenig und ausgesprochen punktuell zu tun.

Ihre Musik mit Worten zu beschreiben dürfte eh ein Ding der Unmöglichkeit sein. Das hier vorliegende Album, "Dead Magic", aus dem Jahr 2018 ist bereits die vierte Produktion der schwedischen Sängerin, die die Kirchenorgel für ihre Musik entdeckt hat und auch auf diesem eigentlich in New York eingespielten Album extra in die Heimat reiste, um die Orgelpassagen in der 'Marmorkirken' aufzunehmen. Es ist vor allem der organisch warme Sound, den dieses faszinierende Instrument in ihre so düsteren Klangbilder und Soundlandschaften einfließen lässt, getragen von ihrer unglaublich empathischen, glasklaren Stimme, die sie so varianten- und effektreich einzusetzen weiß und die ab und zu ein wenig wie Kate Bush klingt.

Die einzelnen Werke – von Songs mag man angesichts der gewaltigen archaischen Sounds hier nicht sprechen, weil es schlicht zu trivial wirken würde – sind von erhabener Schönheit. Die sehr getragenen, oftmals hypnotisch eintönigen Rhythmen verweisen auf eine gewisse Verwandtschaft mit dem Pagan Folk. Oft nur mit dumpfer Percussion, mitunter verstärkt durch schlichte Gitarren-Akkorde. Die Soundwände türmen sich aus dem Gemisch aus Synthesizer und zwei Gitarren mal auf, mal dämmern sie dunkel im Hintergrund. Und immer, wenn Anna ihre Stimme erhebt und die Kirchenorgel ertönt, dann verbreitet sich genau der dunkle Zauber, den uns der Titel versprochen hat. Der Tod ist allgegenwärtig in der Musik von Anna von Hausswolff, man mag es nicht glauben, wenn man die anmutige, mädchenhafte junge Frau mal in einem Interview verfolgt hat.

Doch hinter dem vermeintlichen blonden Engel verbirgt sich eine Schöpferkraft, die die Dämonen jedes einzelnen heraufzubeschwören vermag. Die Klänge wabern wie ein Nebel über den Gräbern und Gruften. Sie wachsen nicht bedrohlich, sondern irgendwie verstörend vertraut, sie sind sanft und  subtil und dringen in dich ein. Und plötzlich scheint es, als ob zeitlose Erkenntnis und Verständnis über uns kommt, als ob das Universum sein Herz öffnet und mit uns kommuniziert. Große Wahrheiten liegen fern von Krisen, von Viren und Umweltzerstörung, von Dingen, die Mensch meist selbst geschaffen hat. In der Zeitrechnung der Ewigkeit währt das alles keinen Augenschlag – es tut gut, sich ab und an selbst ein wenig einzuordnen.

Stilisiertes Glockengeläut begleitet uns durch das Album und erhöht die sakrale Atmosphäre, die ansonsten vor allem durch die Kirchenorgel geprägt wird. Solch makellose Akzente setzte früher Klaus Schulze durch seine sanfte Intensität in seinem Tastenimperium, doch in Annas Konzept brechen mitunter auch doomige Noise-Anleihen und Drone in die Phalanx der klerikalen Sounds, setzen einen nachhaltigen Effekt und eine hier dann doch musikhistorisch einzuordnende Zugehörigkeit zu den Klängen unserer Zeit.

Der Auftakt in "The Truth, The Glow, The Fall" scheint alle meine Empfindungen über die Tiefe der Musik allein in seinem Titel zum Ausdruck bringen zu wollen, die Musik folgt dem auf gespenstische Weise. Botschaften aus den Tiefen des Alls oder der eigenen Seele?

Und wenn der vermutlich eingängigste Rhythmus des gesamten Albums sich ausbreitet, wächst Annas Stimme wie ein paar prächtige Blüten aus den dunklen Schatten, das Leuchten (the glow) ist in vollem Gange. Hier wirkt Anna aus dem Land der Kinderhelden einer Astrid Lindgren wirklich ein wenig kindlich und naiv, doch schon bald führt sie uns in ein unendlich tiefes Tal, massiv und gewaltig aufgetürmt wie aus den Relikten von "Close To The Edge", mit dem uns Yes schon vor so langer Zeit geografische Höhenkoten gesetzt haben. Hier hören wir erstmals die glockenartigen Einschläge, gegen die der Glöckner von Notre Dame mit seinen metallenen Freunden wie ein Kleinkind wirkt. Der Absturz ist total.

"The Mysterious Vanishing Of Electra" birgt den aggressivsten Teil des Albums. Die monotonen Einschläge aus Drums und Riffs beschießen Anna, die hier ihre Stimme in aberwitziges Gekreische abdriften lässt. Electra verschwindet? Was wohl dahinter steckt? Erstaunlicherweise kulminiert diese recht proggige Nummer in stilistischen Merkmalen, für die ich die Berliner Band Aphodyl so sehr bewundere, auch wenn die niemals so düster waren.

"Ugly And Vengeful" ist aber das absolute Herzstück des Albums, ein mehrteiliges Monsterwerk, das wie aus einem Mausoleum erwacht und wie ein Heer dunkler Spinnen in dein Hirn eindringt. Dagegen klingt Rammsteins "Heirate mich" wie ein Kinderlied. Hässlich und rachsüchtig, wer sonst als Anna von Hausswolff könnte einem Song solch einen Namen geben? Und die diabolischen zweistimmigen Gesänge mit ihren archaisch einschlagenden Gitarren tun alles, um diese Atmosphäre in uns einzuhämmern. Scheinbare Hoffnungslosigkeit, gepaart mit Destruktion und Aggressivität wird plötzlich von einem Break zerstört, nein, in seine Bestandteile zerlegt, wenn Anna ihre zarte und zugleich machtvolle Stimme erhebt. Hier erschreckt sich selbst Luzifer. Jetzt ist der Moment für die Gitarren, Betrieb zu machen. Wir geraten in einen wilden Sog, der nun von den Synthesizern aufgenommen wird und so etwas wie die Vertonung von Dave Bowmans letzter Reise in Stanley Kubricks Meisterwerk "2001 – Odyssee im Weltraum" verkörpert – ganz egal, wie man zu dem Film steht und ob man glaubt, das Ziel der Reise sei der Jupiter-Mond Io oder eben doch das Zentrum des Universums. Da, wo Zeit und Raum keine Rolle mehr spielen. Da, wo Gott wohnen soll. Auch wenn ich Atheist bin, habe ich immer zu letzterer Variante tendiert, es wäre im Sinne des Films einfach eine viel schönere Allegorie.

Diese irre Reise durch ein Stück moderner progressiver Musik, die scheinbar selbst aus den unermesslichen Weiten des Raums zu uns gespült wurde, schenkt mir ein Stück weit Hoffnung, dass irgendwas da sein muss am Ende des Universums. Irgendetwas, dass uns die Grenzen zwischen Leben und Tod versöhnlich erfahren lässt. Wow.
Und wenn es Blasphemie ist, wen stört es?

Zum Ende hin wird es sakral, "The Marble Eye" ist ein reines Orgelsolo, wo mir die Verwandtschaft zu Josef Vilsmaiers grandiosem Film "Schlafes Bruder" in den Sinn kommt, wo ein unglückliches Musikgenie ohne jede Bildung und ohne je eine Note gelesen zu haben, für kurze Zeit aus seiner Kruste schlüpft und der Welt mit unfassbarer Musik Befriedigung schenkt. Dieser junge Mann vermag mit seinen Improvisationen die Menschen auf einzigartige Weise zu berühren. »Ich kann den Himmel sehen«, schreit eine völlig ekstatische Frau in der Kirche, wenn Elias dort völlig losgelöst spielt. Musik als Ausdruck ewiger Wahrheit und Schönheit. Kein Geringerer als Hubert von Goisern wirkte damals an der Filmmusik mit.

Der ebenfalls stark orgellastige Ausklang in ambientem Stil toppt dieses Empfinden noch. Mit sanftem Streicher-Einsatz und Annas hier so zarten Stimme entgleiten wir der Wirklichkeit, wir werden aufgesogen und absorbiert in unendlichem Licht am Ende des Universums.
Wie viel erhabene Schönheit liegt in diesen letzten Klängen, wie viel Trost und Stütze.

Anna ist Schwedin und einige ihrer Titel sind für unsere Zungen halsbrecherisch gefährlich, doch ihre Musik spricht die Sprache des alles umfassenden Universums, sie erschließt sich jedem, der Herz und Verstand zu öffnen vermag für die unendliche Weisheit der Sphären. Ihre Musik bewegt und berührt. Sie nimmt dich gefangen im Hirn, im Herz und in der Seele. Doch du spürst keine Angst, denn du fühlst, wie du mehr und mehr von innen heraus erleuchtet wirst mit einzigartiger und niemals endender Wahrheit. Eine archaische Musik wie ein Evangelium, eine absolute Wahrheit, neben der nichts gilt und wo alles andere verblasst. Es braucht keinen Gott, um die Großartigkeit des Seins fühlen zu können. Diese Musik führt uns genau dorthin. Einzigartig.

"Dead Magic" ist ein unfassbares zeitloses Meisterwerk, es gibt aus meiner Sicht nichts Vergleichbares.


Line-up Anna von Hausswolff:

Anna von Hausswolff (vocals, pipe organ, mellotron)
Filip Leyman (synthesizer)
Karl Vento (guitar)
Joel Fabiansson (guitar)
David Sabel (bass)
Ulrik Ording (drums)

additional:
Shahzad Ismaily (percussion – #1)
Úlfur Hansson (string arrangements – #1,3)
Gyda Valtysdottir (strings)
Randall Dunn (mellotron, korg ms-20, sound designer)

Tracklist "Dead Magic":

  1. The Truth, The Glow, The Fall
  2. The Mysterious Vanishing Of Electra
  3. Ugly And Vengeful
  4. The Marble Eye
  5. Källans Återuppståndelse

Gesamtspielzeit: 47:18, Erscheinungsjahr: 2018

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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