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Anthony W. Rogers / One Day (A Journal) – Vinyl-Review

Anthony W. Rogers / One Day (A Journal)

Ich behaupte mal, dass Anthony W. Rogers in unseren Breitengraden eher unbekannt ist. Früher erspielte er sich erste Meriten in den Alternative-Bands The Now, Ten Below und Skatley Crue. Irgendwann zog er sich zurück, bzw. kreierte Musik, bei der er bevorzugt natürliche Klänge und Instrumente mit Samples mischt. Als Inspirationen werden Musiker wie Brian Wilson, Todd Rundgren und Frank Zappa genannt. Also keine Vertreter der leichten Muse. So schreibt der Promoter etwa von »psychedelic home spun music«.

Etwas über den Protagonisten im weiten Web zu finden, erwies sich als Sackgasse. Er sei ein »Appalachian psychedelic home spun music artist«, zitiere ich nochmal den Waschzettel und neben West Virginia, Virginia, Maryland und der DC-Area tauchen keine weiteren Hinweise, oder gar eine Webadresse auf. Es gibt in Maryland allerdings einen Anwalt gleichen Namens und wenn ich dessen Bild auf der Kanzleiseite mit dem Bild auf der 7 Zoll-Single vergleiche, bin ich fast geneigt zu sagen, das ist er. Aber detektivische Kleinarbeit ist nicht mein Metier und so will ich zur Musik kommen.

Anthony hat das Album gesplittet. Und zwar in eine 7- und eine 12 Zoll-Scheibe. Die ersten vier der zwölf Songs befinden sich auf dem kleinen Rundling, der Rest auf der normalen LP. Limitiert ist die auf dem eigenen Label Wildflow Records erschienene Vinyl-Ausgabe auf 250 Exemplare. Es ist somit etwas umständlich, das Werk als Ganzes am Stück zu hören. Wenigstens muss man die Geschwindigkeit am Plattenspieler nicht verändern, denn auch das 7 Zoll große Teil läuft mit 33 1/3 Umdrehungen pro Minute. Rundgren und Zappa lassen auf eher Vertracktes schließen, was beim ersten Hören etwa zutrifft. So startet das erste Stück mit einem kindlichen »na, na, nana, nana…«. Erste Überraschung dann bei "I’ll Take The Blame", "Half The Picture" und bei "Big House On The Hill". Da spitzt Bowie um die Ecke. Tonfärbung des Gesangs und Musik lassen an diesen Musiker denken. Und nun hat auch die Psychedelic auf die Platte gefunden. Weniger eine, die an große Psychedelic-Bands denken lässt, sondern eher eine, die sich ganz subtil aus Noten, aus Gitarrenflirren und der Komposition an sich schält.

"Into The See" ist ein Sahnestück und ich ziehe den Hut, denn es ist eine Nummer wie für Bowie geschrieben. An dieser Stelle sei auch gesagt, dass die beteiligten Musiker hervorragende Arbeit leisten. Bei Audrey und Joe handelt es sich um Anthonys Kinder und es ist nur zu loben, wie sie z. B. mit der Trompete genau die Akzente setzen, die diese Musik einzigartig machen. "Roman Candle" ist eines der Lieder, bei denen man die Arbeit von Schlagzeuger Bart Lay besonders gut wahrnimmt. Leicht jazzig und fast gegen die Melodie, setzt er Akzente. Fein ziseliert auch die Arbeit der Gitarre. Da passt einfach alles.

Die Kombination aus unkonventionellen Kompositionen mit sehr harmonischen Passagen macht "One Day (A Journal)" zu einer sehr spannenden Angelegenheit. Zumal man selten weiß, wie es nach der nächsten Ecke weitergeht. Neben Rundgren kommt mir ab und an auch Rupert Hine mit seiner Band Quantum Jump in den Sinn. Weniger der Musik wegen, sondern eher, weil auch er mit Quantum Jump meisterlich Spannung aufbauen konnte.

Textlich ist das alles irgendwie politisch und dreht sich um das Leben. Das Leben auf dem Land, die Leute dort, Begebenheiten und Einflüsse von außen. Der Musiker selbst schreibt: »The new album is the sound of the rural resistance … those who would find disturbing the immoral acceptance and apathy of a new emerging society bereft of sympathy empathy and goodwill … a society willfully turning its back on its moral obligations« Aber keine Angst, die LP-Innenhülle hat alle Lyrics abgedruckt und man kann ihnen folgen. Oder aber die Musik losgelöst davon hören.

Wie ein Singer/Songwriter hat Anthony also vieles zu erzählen. Aber anders als diese Spezies Künstler umspannt er ungleich mehr an Stilen. Über allem liegt – mal weniger, mal mehr – die leichte Psychedelic-Übergangsjacke, leicht jazzige Sequenzen, gut harmonisch Rockendes und angenehm Verschwurbeltes – dargeboten mit klasse Stimme und gekonnten Instrumentalisten. Die Kombination aus realen Instrumenten und elektronischem  Equipment ist ausbalanciert und fast nicht spürbar.

Sobald man die Musik inklusive der Texte goutiert, kann man in das Leben in beschaubarem Umfeld eintauchen. So sieht es aus, als sei "In The Water" nicht nur geschrieben, um zu beschreiben, wie mit dem Tod von Bekannten in einer Kleinstadt umgegangen wird und was es bewirkt, denn da das Stück drei Personen namens Jimmy, Gary und Paul gewidmet ist, wird es mehr damit auf sich haben.

Und nun komme ich wieder auf den eingangs erwähnten Anwalt mit dem gleichen Namen wie vorliegender Künstler … "Range Rover" ist nämlich einem verstorbenen Anwalt gewidmet: Oscar Zeta Acosta.

"One Day (A Journal)" ist keine leichte Kost, aber eine die sehr gut schmeckt. Dieses mittlerweile dritte Werk von Anthony W. Rogers macht Appetit auf die Vorgänger und vor allem auch auf hoffentlich noch kommenden Output. Bis dahin wäre es schön, wenn der Künstler auch im Web zu finden wäre. Als Musiker wohlgemerkt, den Anwalt gibt es ja bereits …


Line-up Anthony W. Rogers:

Anthony W. Rogers (vocals, guitar)

And:
Audrey Rogers (trumpet, vocals, keys, percussion, processed trumpet, bells, pulse keys, faux banjo)
Joe Rogers (percussion, sound fxs, vocals, processed trumpet, whsipers, bells fxs, bass)
Bart Lay (drums)
John Harman (vocals)

Tracklist One Day " (A Journal)":

7″ Seite 1

  1. Mash
  2. I’ll Take The Blame

7″ Seite 2

  1. Half The Picture
  2. Big House On The Hill

12″ Seite 1

  1. Into The See
  2. Roman Candle
  3. Fly Away
  4. In The Water

12″ Seite 2

  1. Ploom Mfs
  2. Range Rover
  3. And When They Ask You
  4. Mash (Reprise) / Cocks In The Field

Gesamtspielzeit: 53:33, Erscheinungsjahr: 2018

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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