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Aphodyl / In Der Balver Höhle Live – DVD/CD-Review

Aphodyl / In Der Balver Höhle Live

Eigentlich sollte dies ja nur ein Konzertbericht werden …

Balver Höhle 2019, kurze Eindrücke:

Der Abend am 10. August in der Balver Höhle anlässlich des 10. German Kultrock Festivals war das würdige Ende meines Sommerurlaubs und sollte mit einem entsprechenden Konzertbericht gewürdigt werden. Da ich aber keine brauchbaren Fotos geschossen habe (die Hintergründe erspare ich uns allen an dieser Stelle), macht ein ausführlicher Bericht über dieses Event, welches gerade von der faszinierenden Location lebt, irgendwie keinen Sinn. Ich kann kurz zusammenfassen, dass Monkey 3, deretwegen ich überhaupt das Ticket erwarb, den erwarteten Höhlensturm verursachten, aber das musikalische Relikt aus Peter Pankas Jane (deren Namensgeber selbst schon lange nicht mehr bei uns ist) mit dem großartigen Klaus Walz und seinem jungen Spannmann, Niklas Turmann an den Gitarren, gewann die Herzen aller mit einer mitreißenden Performance und legendären Zitaten aus längst vergangenen Zeiten. Als das Intro zu "Windows" ertönte, später genial mit "Spain" vereint, da gab es für meinen alten Freak Valley-Kollegen Wolfgang und mich kein Halten mehr und wir stürmten nah heran an die Bühne. Wenn ältere Herren der Rockmusik ihren rückenfreundlichen Platz in der Komfortzone aufgeben, dann hat das meistens etwas zu bedeuten. Berührend und – im Anbetracht der aktuellen Ereignisse – tief traurig war der Moment, als Klaus wehmütig an Charlie Maucher erinnerte. Inzwischen hat Charlie den Kampf gegen den Krebs verloren.

Aber trotz alledem wurde die Veranstaltung am Ende von anderen getragen – und das nicht nur, weil die Band, über die ich etwas erzählen mag, jeweils während der Umbaupausen auf der Hauptbühne in einer Nebengrotte ihr Programm über fünf jeweils etwa zwanzig Minuten andauernde Einlagen zum Besten gab. Doch muss auch hier zunächst die traurige Pflicht erfüllt werden, dass auch Aphodyl einen schweren Verlust hinnehmen musste. In einer Band von vier Gleichgesinnten, die vom ersten Tag der Gründung gemeinsam agiert haben, ging am 14.09.2018 der Steuermann von Bord – auch Holli hat letztlich den Kampf gegen seine Krankheit verloren. Dass wir die Band dennoch live auch in diesem Jahr wieder erleben durften, halte ich daher für ein großartiges Geschenk, denn mir war lange nicht klar, ob es nach Holgers Tod überhaupt weitergeht.

Also, sprechen wir über Aphodyl und die Balver Höhle:
Nachdem ich mich erst einmal mit der Umgebung und den nahrungstechnischen Aufnahme-Möglichkeiten vertraut gemacht hatte, zog es mich vor allem zu Aphodyl, aus deren Merch-Tasse ich daheim meinen Kaffee trinke! Aphodyl waren zweifelsohne so etwas wie der gute Geist der Veranstaltung. Ihre mitreißende Melodik, die absolute Hingabe an einen klassischen Krautrock und vor allem ein friedfertig relaxter Spirit, der ihren Kompositionen nachhaltig inne wohnt, charakterisiert perfekt, worum es heute Abend ging. Und die Band holte uns immer wieder heim, egal welch wilden Pfaden auf der anderen Bühne man gerade gefolgt war.

In einem mystischen Grün leuchtet die Grotte, wenn Aphodyl loslegen. Der rote Faden zur Band ist tatsächlich ein grüner, man muss sich nur die Plattencover anschauen. Das verwundert nicht, denn der Name leitet sich von einem Krautgewächs ab, welches als Heilpflanze Verwendung findet. Das passt perfekt zum Geist von Aphodyl. Die Musik besitzt eine eigenartige Herzlichkeit und verzaubert die Anwesenden von den ersten Tönen an, heilende Kräfte auf akustischer Basis. Episch schwelgende Keyboards und lyrische Gitarrenläufe, so habe ich die Siebziger in Erinnerung und darum war ich damals von Frank Bornemanns Gitarre und seinen Eloy so begeistert. Die tiefsten Wurzeln in der Musik von Aphodyl dürften dabei aber Jane und in manchen Passagen vielleicht auch Grobschnitt gebildet haben. Wer mag, darf sicher auch ein wenig Floyd und Hawkwind assoziieren. Aphodyl versetzen mich zurück in diese Zeit, als der Krautrock sprießte. Heute machen sie uns alle glücklich und bringen nebenbei ihr schönes neues Album "Die Ruhende Kraft Der Gorgonen" mit: Pflichtkauf, na klar.
Später, vor dem Gig von Jane, adaptieren sie sogar Musik ihrer Vorbilder und bezeugen damit ihren Respekt.

Balver Höhle 2012 auf DVD und CD:

Ich habe viele alte Freunde in der Höhle getroffen, es war ein freudiges Wiedersehen und Aphodyl haben den Soundtrack dazu geliefert. Was mich aber endgültig und endlich in die Vergangenheit führt. Denn: Aphodyl haben bereits mehrmals in der Balver Höhle gespielt und 2012 einen wunderschönen Mitschnitt in Bild und Ton festgehalten. Und damals spielten sie eben mit der klassischen Besetzung, mit Holli am Schlagzeug und Gesang, mit Biene an den Keyboards, Arno am Bass und Andre an der Gitarre. Die Video-Gestaltung ist einfach, wir haben es quasi mit einem eigens produzierten Bootleg zu tun, wo das Bild aus einer Standkamera generiert wird. Dennoch kommt keine Langeweile auf, da zum einen die ruhige Bildführung sehr gut zum Geist der Musik passt und immer wieder geschickt fotografische Standbilder mit dem Livebild überschnitten werden, was einen schönen psychedelischen Effekt ergibt. Und für das Audio Mastering zeichnet kein geringerer verantwortlich als der geniale Zauberer und Soundbastler Eroc.

»Für die weltbesten Rockfans der Welt« lässt Holli verlauten, bevor dem Songtitel "Hypnotic" entsprechende, einfache Akkorde und ein schnell in die Nackenmuskeln einziehender Grundrhythmus in die passende Stimmung versetzen. Hypnotisch ist es in der Tat und Biene kommentiert zwischendrin mit aufschäumenden Tastentönen. Doch dann nimmt der Abflug seinen Lauf, wenn Andre sein erstes Solo ansetzt. Erst sanft und bei sich, doch wenn Biene ein wenig Grund unterlegt, dann zieht er seine Kreise voll von epischer Schönheit. Eine passende Nummer, um die Musik der Berliner kennenzulernen – und es ist ihr knappstes Werk mit beinahe acht Minuten. Songs von Aphodyl sind eben keine Songs im klassischen Sinn. Sie entstehen aus Jams im Proberaum und werden dann zu den Stücken, wie wir sie von den Platten kennen. Das ist der entscheidende Unterschied zu Space Debris, die ansonsten vom Konzept her ähnlich operieren. Bei Space wird der Jam sozusagen auf der Bühne erfunden, da gibt es nur wenige strukturierte Nummern wie etwa "Mountain", die wiederkehrend gespielt werden.

"Myra" ist mein absoluter Favorit von Aphodyl, ein Werk voller Poesie, beginnend mit einer sanften Melancholie, aber eben auch schönen Breaks und herrlich treibenden Soundmalereien. Das Wechselspiel in den Harmonien führt zu einem jammigen Dialog zwischen Biene und Andre – spacige Keyboards und erdig knackige Licks treiben sich gegenseitig voran. Ja, so ist Krautrock damals gewachsen. Und dann geht es zurück in das Eingangsthema, nun wieder in der klassischen Rollenverteilung mit einem zarten Tastenteppich und einer melodisch träumerischen Gitarre, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Andre hat ein dramatisches Gespür, ohne viel Schnickschnack Spannungsbögen von unbeschreiblicher Schönheit zu schaffen. Man sagt ja, es gibt Musiker, die können einen mit ein paar Tönen zu tränen rühren – Andres Gitarre gehört bei mir dazu, da hat ja jeder seine eigenen Präferenzen. Ach ja, und weil ich Space Debris bereits erwähnte: Tommy Gorny vermag das auch.

"Fly" ist ein langer Jam, ganz typisch für Aphodyl, wo die Musik driftet und treibt, ein behäbiger Strom, der die eingeschlagene Stimmung stoisch entwickelt und forciert, ein hypnotischer Sog positiver Gefühle und ein geheimer Pfad in ein gelobtes Land – wo eine Gilmour-befruchtete Gitarre auf uns lauert, wenn Holli die Schläge verstummen lässt. Wir dehnen uns kurz und dann nimmt uns die Rhythmustruppe bei der Hand und wir tanzen zu sanften Shuffles durch die Sterne.
Ich verstehe sehr wohl, warum die Fans, die Aphodyl fast wie eine Kommune folgen, ihre Band so tief und ehrlich lieben. Mir fällt ad hoc keine Formation ein, die eine solch harmonisch liebevolle, positive Energie freizusetzen weiß. Das ist nicht nur Kraut, das ist vor allem Kult!

Das Monsterwerk "Magnet" zum Schluss weckt mit seinem perkussionslastigen Auftakt und Hollis verfremdeter Stimme ein wenig Erinnerung an Mani Neumeier und seine Guru Guru. Und dann wird drauf los gejammt, ganz relaxt, behäbig treibend. Wir reisen ganz allmählich in eine andere Dimension und am Ende mag man nicht glauben, dass der Song mehr als 18 Minuten gedauert hat. Zeit und Raum lösen sich auf, wenn Aphodyl abspacen.

»Meine Fresse, war das geil, oder?« Ruft der Ansager nach dem Konzert der wild enthusiasmierten Gemeinde in der Höhle zu. Ja, Recht hat der Mann!
In manchen Höhlen Nordrhein-Westfalens findet der bemühte Zoologe den merkwürdigen Grottenolm. Er (der Olm, nicht der Zoologe) stammt aus der Familie der Schwanzlurche und soll mit dem texanischen Furchenmolch genetisch verwandt sein. In der Balver Höhle am Nordwestrand des Sauerlandes habe ich solche Tierchen nicht entdeckt, dafür viele Freunde getroffen und wunderbare Musik gehört an einem der faszinierendsten Orte der Welt. Und der Abend hat mich inspiriert, endlich mal wieder eine DVD zur Hand zu nehmen, die ich seit ein paar Jahren schon daheim habe und die ich an dieser Stelle gerne einmal präsentieren wollte.

Aphodyl aber, deren Platten ich einst direkt bei Biene gekauft hatte und die mich schon auf ihren Silberlingen in ihren Bann gezogen haben, die haben für alle Zeit mein Herz erobert. Ihre hemmungslos romantische Liebesbekundung an eine Musik, mit der ich aufgewachsen bin und ihr Vermögen, mit jedem einzelnen Song ein Stück Frieden, Liebe und Zuversicht in mein Herz einzupflanzen – alter Rocker, was willst Du mehr?


Line-up Aphodyl (CD/DVD):

Arno (bass)
Andre (guitar)
Biene (keyboards)
Holger (drums, vocals)

Tracklist "In Der Balver Höhle Live":

  1. Hypnotic
  2. Myra
  3. Fly
  4. Magnet

Gesamtspielzeit: 46:09, Erscheinungsjahr: 2012

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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