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Atomic Rooster / Live At London 1972 – CD-Review

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Es gibt Menschen, die sind immer zur falschen Zeit am falschen Ort – ganz besonders in der Rockmusik. Wie hab ich damals mit den Jungs von Anvil gelitten, als ich ihre hinreißende Geschichte gelesen habe, ohne jemals zuvor von der Band gehört zu haben (Schande über mich!). Deren 'Schicksal' hingegen, das schlichtweg mit »Pech gehabt« treffend umschrieben wäre, hatte ein gutes Stück tragikomische Züge, jenes eines Vincent Crane hingegen birgt eine Menge mehr an dramatischer Potenz. Und Vincent Crane ist Atomic Rooster. Eigentlich eine Band, die das Zeug gehabt hätte, eine der ganz großen Nummern der legendären Siebziger zu werden. Doch heute sind sie weitgehend vergessen, begraben und überlagert von den Produkten kommerziell erfolgreicherer Combos, die dem Atomischen Hahn zum Teil nie das Wasser hätten reichen können. That’s Life.

Tröstlich, dass dieser Trend wenigstens in diesen Tagen gebrochen und das BBC-Konzert im Paris Theatre aus dem Sommer 1972 neu verlegt wird, viele dankbare Altrocker werden es zu schätzen wissen. Auf der Regent Street London wurden viele legendäre Aufnahmen der BBC in den Äther gejagt und später auf Wiederverwendbares gepresst, fast alles, was Rang und Namen in Europa pflegte, hat irgendwann dort aufgespielt. Bereits 1993 wurde das Atomic Rooster-Konzert schon einmal durch Windsong International Records verlegt, nun erfährt es gewissermaßen eine Auferstehung.

Der Durchlauf ist kurz, eine gute halbe Stunde lang plusterte sich der Hahn zu einem mächtigen Federvieh der schillernden Siebzigerjahre-Kultur und heizte den begeisterten Enthusiasten mit schweißtreibend groovenden Rhythmen, funkig sprühenden Orgeln und herrlich jammenden Gitarren ein. Über allem die Soul gewichste Stimme von Chris Farlowe, mitreißend, beseelt und voller inspirierender Kraft. So bunt und wild wie die Siebziger, so knallig effektvoll präsentierte sich der Rooster seinem geneigten Publikum an jenem Abend im Juli 1972.

Blicken wir ein wenig zurück in die Gründerzeit. Kaum eine Band in den Kindertagen der heftigeren Rockmusik hat seinerzeit eine solche, wenngleich nicht immer freiwillige Wandlungsfähigkeit nachweisen können wie Atomic Rooster. Gegründet von dem schon zitierten Vincent Crane und Carl Palmer, der bereits nach dem ersten Album ausstieg, um auf einem ganz anderen Zug namens Emerson, Lake and Palmer Kulturgeschichte zu schreiben, formierte sich mit dem Gitarristen John Du Cann und Schlagzeuger Paul Hammond in 1970 eine Formation, die eine ganz neue Art progressiver Rockmusik im Gepäck hatte. In dieser Besetzung veröffentlichten sie mit "Death Walks Behind You" einen grandiosen Klassiker, der eigentlich Maßstäbe gesetzt hat, auch wenn man das in vielen Kreisen erst retrospektiv erkannt hat. Ein Album, ein Statement – Musik, die Freunde progressiver Musik genauso befriedigen konnte wie Anhänger der gerade expandierenden Black Sabbath. Heavy Rock in seiner frühesten Form, verbunden mit kunstvollen Arrangements und wilden Solo-Eskapaden. Aber war es womöglich ein böses Omen oder so etwas wie ein Menetekel, dass man für das Cover ein klassisches Motiv des britischen Künstlers William Blake verwendete, das den biblischen König Nebukadnezar auf geradezu bedrückende und beängstigende Weise zeigt. Einen König, der Amt und Verstand abschwor und fortan als bedauernswerte Kreatur in apokalyptischem Dreck hauste. Die Darstellung hat tatsächlich einen hohen Gruselfaktor und das Thema erinnert fast ein wenig an Rammsteins "Heirate Mich", oder?

Nach dem ebenfalls stark honorierten Album "In Hearing Of …" vollzog Vincent einen erneuten Schnitt. Da Gitarrist und Sänger John Du Cann die Band verlassen hatte, stellte er den hoch dekorierten und weltweit geschätzten Soulsänger Chris Farlowe in seinem Team auf und nominierte mit Steve Bolton einen Saitenvirtuosen, der mir während der hier nun vorliegenden Live-Aufnahmen aus London manchen Flashback bescherte. Wow, der phrasiert teilweise fast ein bisschen wie Warren Haynes. Damit verleiht er diesen Songs einen ganz speziellen jammigen Sound, der wirklich ein wenig nach südstaatenorientierten Ausflügen klingt und dem scheinbar übermächtigem Georgel des Masterminds einen klaren Akzent entgegensetzt. Besonders fuzzig und effektbehaftet verleiht gerade diese Gitarre dem zweiten Song "Stand By me" einen ungeheuren Drive, wer dabei ohne rhythmisch mitzugehen verharren kann, hat seine motorischen Sinne erschreckend gut unter Kontrolle. Echt geil geht das ab.

Ansonsten orientiert sich die Songauswahl an den zurückliegenden beiden Alben "Made In England" und "In Hearing Of…" und bringt mit "Devil’s Answer" eine der erfolgreichsten Nummern der Band in einer atemraubenden Version auf die Bühne. Dass die ’neue' Besetzung dabei gerade den Stücken aus der John Du Cann-Ära einen neuen Zuschnitt verpasste, trifft exakt, was Vincent stets in Interviews zum Besten gab, wenn man Kritik an der neuen und mehr am Soul orientierten Ausrichtung der Band äußerte. »Du kannst mit neuen Musikern nur einen neuen Sound spielen und solltest niemals versuchen, alt hergebrachtes von anderen Leuten zu imitieren«.

Schade nur, dass von den teilweise aggressiv bluesigen und heavyrockigen Wurzeln aus "Death Walks Behind You" nichts mehr übrig geblieben war, das hätte live noch eine Menge weiteren Spaß bereiten können.

Zu seiner aktiven Zeit soll man Vincent immer wieder vorgeworfen haben, dass sein Orgelspiel zu dominant sei. Was ist das denn für ein Wahnsinn? Waren Jimi oder Rory etwa nicht dominant? Da hat sich doch auch keiner beschwert. Und Vincent war ebenfalls ein Virtuose vor dem Herrn. Sein Spiel war ungeheuer kraftvoll, energetisch und voller Leidenschaft. Kaum einer in der härteren Rockmusik hat derart vollmundig die Tasten bewegt.

Das Konzert aus London hinterlässt uns ein wunderbares Relikt aus zeitgenössischen Attributen sich entwickelnder, pulsierender Rockmusik und eine Menge großartiger Momente. Gespielt von einer nur so kurz am Sternenhimmel der Popkultur vereinten Kapelle, die an diesem Abend Gas gab, als gäbe es den nächsten Morgen nicht mehr.

In den Achtzigern bemühte sich Vincent Crane um die Wiederbelebung der Atomic Roosters, das Ergebnis war jedoch dem Zeitgeist und vielleicht auch allzu engagierten Anpassungsbemühungen geschuldet von eher trauriger Natur. Am Ende dieser rockmusikalisch latenten Dekade endete Vincents Weg nach schwerer Krankheit und einer Überdosis Tabletten. Es mag fast wie ein Epitaph wirken, das traurige Finale am Ende einer unglücklichen Reise. Ehren wir einen großartigen Musiker, der zu seinen Lebzeiten selten den Lohn erworben hat, den er eigentlich verdiente. Befassen wir uns mit seiner Musik, die einige der aufregendsten Blüten aus dem Feld des aggressiv progressiven Rock heraus trieb. Möge Vincent Crane in einem astralen Universum die Ovationen finden, die ihm im irdischen Leben nicht gegönnt waren.


Line-up Atomic Rooster:

Vincent Crane (keyboards and organ bass)
Chris Farlowe (vocals)
Ric Parnell (drums)
Steve Bolton (guitar)

Tracklist "Live In London 1972":

  1. Breakthrough
  2. Stand By Me
  3. People You Can’t Trust
  4. A Spoonful Of Bromide Helps The Pulse Rate Go Down
  5. All In Satan’s Name
  6. Devil’s Answer

Gesamtspielzeit: 33:03, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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1 Kommentar

  1. Jürgen

    Ich habe mir den Silberling jetzt auch besorgt, da ich die Band auf dieser Tour kurz vor diesem Auftritt live erlebt habe. Eine schöne Erinnerung an diese richtig geile Zeit.
    Der Sound ist stark und Chris Farlowe ist nun mal ein Ausnahmesänger. Nur die Spieldauer ist arg kurz. Aber besser wenig als nichts.:-)

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