Der Berliner Komponist, Musiker und Sänger Marceese Trabus ist nicht nur unermüdlich quer durch Deutschland auf Tournee, er hat mit Marceese, Baby Kreuzberg, Yer International Humbug sowie Raketen Erna auch gleich mehrere Projekte gleichzeitig am Laufen, von denen auch regelmäßig Alben erscheinen. Nachdem wir den Musiker vor einigen Wochen live auf der Bühne gesehen hatten, war die Zeit nun auch für ein ausgiebiges Interview gekommen.
RockTimes: Hi Marceese und erstmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Du hast in den vergangenen Jahren einige Alben unter deinem eigenen Namen veröffentlicht. Warum kam dann plötzlich der Namenswechsel zu Baby Kreuzberg?
Marceese: Das Ding ist, dass die meisten meinen Namen falsch ausgesprochen haben. Und da dachte ich mir, wenn man den Namen nicht aussprechen kann, kann man sich das auch nicht merken oder davon erzählen. Also suchte ich einen Namen, den jeder lesen und aussprechen kann: Baby Kreuzberg. Ich komme aus Kreuzberg und es klingt irgendwie nach Staub und Straße. Passt. Und außerdem ist es so auch einfacher, mal Gastmusiker dabei zu haben ohne gleich ein Marceese & Band oder Marceese Unplugged Trio daraus machen zu müssen. Es heißt alles Baby Kreuzberg, wer auch immer mitmacht.
RockTimes: Ja, das ist einleuchtend. Und mit Kreuzberg hast du das nächste Stichwort bereits geliefert. Im Januar hattest du mir bereits erzählt, dass dort gerade sehr viel Bewegung, Sanierung und auch ein gutes Stück Verlust der Lokal-Kultur vonstatten geht. Wie siehst du diese Entwicklung?
Marceese: Traurig ist das alles. Clubs die teilweise jahrzehntelang feinste Bands in die Stadt gebracht haben werden weggentrifiziert. Das ist ehrlich gesagt, zum Kotzen. Die Leute ziehen da hin, wo was los ist und regen sich ein Vierteljahr später auf, dass was los ist! Und die bunte Kultur geht dabei flöten, weil alles gleich gemacht wird. Erbärmlich, dass da niemand was ändert. Die Stadt zum Beispiel. Aber sie verkaufen die Häuser und die reichen Investoren… ach egal. Ich reg mich schon wieder auf… Zum Kotzen!
RockTimes: Ich kann’s sehr gut nachvollziehen, da ich letzten Sommer wieder mal da war und es (Kreuzberg) im Vergleich zu vor etwa zehn Jahren kaum noch erkannt habe. In Mandy’s Lounge hast du auch erzählt, dass du eher selten live in Berlin spielst. Für einen Nicht-Berliner wie mich kaum zu glauben, da es dort vergleichsweise ja doch sehr viele Möglichkeiten gibt. Magst du die Berliner Bühnen nicht?
Marceese: Ich spiele nicht so oft in Berlin, da in vielen Cafe’s und Bars einfach der Respekt vor handgemachter Musik fehlt. Da wird dir eine kleine Ecke freigeräumt, wo du dann spielen darfst – »…aber bitte nicht so laut, die Gäste wollen sich unterhalten.« Sic! Aber es gibt natürlich auch gute Läden in Berlin, die deine Arbeit wertschätzen. Ich bin einfach auch gerne auf Tour und lerne Leute und Städte kennen. Deutschland ist so ein schönes großes Land, wo der Schlag Menschen so verschieden sein kann. Aber unterm Strich sind sie doch alle gleich. Sehr beruhigend.
RockTimes: Um es mal am Beispiel Baby Kreuzberg fest zu machen. Auf dem Studioalbum war eine Band am Start, wenn du unterwegs bist, dann meistens alleine. Muss man heutzutage als Musiker Einzelkämpfer sein, um über die Runden zu kommen?
Marceese: Ich habe jahrelang mit einer Band gespielt und seit dem ich alles alleine mache, läuft es. Schon alleine die Terminfindung ist zu dritt teilweise schwer. Man wird älter, hat Verpflichtungen, feste Jobs, Kids etc. – ein Wochenende zu Dritt freizuschaufeln ist eine Riesen-Aktion. So kann ich fleißig vor mich hinbuchen und muss nichts mit irgendwem absprechen. Und bei den Gagen die ich derzeit bekomme, würde sich das zu dritt auch nicht rechnen. Alleine kann ich davon leben, aber zu dritt eben nicht. Also zieh ich erstmal das 'lonesome Cowboy'-Ding durch. Obwohl ich voll gerne ’ne Band dabei hätte… Vielleicht wird das ja noch was. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Du musst auf jeden Fall Kämpfer sein und wissen, was du willst! Und dann konsequent deinen Weg gehen.
RockTimes: Du machst also tatsächlich alles bzw. fast alles selbst. Wie findet man die guten Clubs bzw. baut die Kontakte zu ihnen auf? Finanzierst du auch deine Alben erstmal selbst?
Marceese: Ich habe keine Lust mehr von anderen Leuten abhängig zu sein, deshalb mache ich auch das Layout selbst und die Aufnahmen und eben auch das Booking. Durch das Internet ist die Locationsuche natürlich gut geworden. Ich schreibe -zig Mails und hoffe auf Antwort. Man weiß halt nie, wo man dann landet… learning by doing. Im besten Falle verkaufe ich am Abend noch eine Handvoll CDs und kann so z.B. das nächste Album finanzieren.
RockTimes: Womit sich der Kreis zum Thema 'Einzelkämpfer' wieder schließt. Was bringt einem dann eigentlich ein relativ kleines Label wie Timezone Records?
Marceese: Gute Frage. Die Gegenfrage wäre, was ein großes Label bringt? Timezone lässt mir absolut freie Hand, ich kann meinen Schuh durchziehen und muss mich nicht verbiegen oder irgendwelche Kompromisse eingehen. Wir haben einen guten Deal und alles was ich veröffentlichen möchte, wird amtlich produziert und ist auf den meisten Portalen verfügbar. Und es sind allesamt gute Jungs (und Mädels), mit denen man über alles reden kann und die für neue Ideen zu haben sind – es ist alles per Handschlag und nicht business-mäßig.
RockTimes: Okay, verstehe. Aber lass uns nun wieder auf die Musik kommen: Neben den bereits genannten (Marceese, Baby Kreuzberg) hast du sogar noch weitere Projekte wie beispielsweise Yer International Humbug am Start, deren Debütalbum wir vor kurzem in RockTimes vorgestellt haben. Die Platte wurde in größerer Besetzung eingespielt, wie sehen hier die Pläne für die Zukunft aus bzw. gibt es da konkrete?
Marceese: Yer International Humbug ist bisher nur ein Studio-Projekt. Ich spiele auf meinen Solo-Konzerten am Ende immer den Instrumental Track "Eclipse" und viele sprechen mich darauf an, auf welcher CD der ist. Der ist zwar auf meiner ersten Solo-CD Blood For Blood (2008), aber da noch in einer anderen und kürzeren Version – außerdem ist das Album mittlerweile vergriffen. Da hatte ich die Idee den Song neu einzuspielen, obendrein noch das Pink Floyd-Cover von "Another Brick In The Wall Pt. II", das auch seit Jahren in meinem Live-Repertoire ist. Bloß zwei Songs sind natürlich zu wenig für eine CD. Da habe ich einfach meine psychedelische Ader etwas ausgespielt und kurzerhand sieben Songs auf 47 Minuten gebracht. Dann habe ich befreundete Musikerkollegen um Hilfe gebeten, das Album mit mir einzuspielen. Und weil es ziemlich anders als meine eigentlichen Solo-Sachen klingt, habe ich es unter einem anderen Namen veröffentlicht. Das Album mal komplett live zu spielen wäre auch super… irgendwann bestimmt.
RockTimes: Da sind gleich mehrere Stücke drauf, die von der Stimmung, der Atmosphäre im positiven Sinn an Pink Floyd erinnern. Eine deiner Lieblings-Bands?
Marceese: Absolut! Und dass du da – abgesehen von dem Cover-Song natürlich – parallelen zu Floyd erkennst, macht mich sogar etwas stolz! Das ist schon ein kleiner Ritterschlag. Ich bin halt Gitarren-Junkie und neben Hendrix und Page, ist David Gilmour natürlich ganz oben auf der Liste.
RockTimes: Dann ist da noch das Projekt Raketen Erna, mit dem du eine sehr coole Kinder-Platte aufgenommen hast. Wie bist du drauf gekommen?
Marceese: Oh, danke für die Blumen! Ich hab ja selber Kids und da kommt man ab und zu in die Verlegenheit 'Kindermusik' zu hören. Und da hab ich mir teilweise an den Kopf gefasst und dachte 'Das kann doch wohl nicht wahr sein! So wie die Teletubbies, nur in Audio.' Grausam! Die armen Kinder, wo soll das enden? Das wollte ich irgendwie besser machen… und so kam es, dass ich mit meinen Mädels zu Hause ein paar Lieder geträllert habe und irgendwann habe ich einfach ein Album daraus gemacht. Scheint ganz gut anzukommen.
RockTimes: Zu recht, weil’s auch wirklich gut ist und zwar nicht nur für Kinder! Darüber hinaus hast du unter dem Namen Marceese (natürlich auf deine eigene Art) bereits vier Cover-Alben mit Songs der Band Kiss aufgenommen. Ist diese Band schon ein bisschen sowas wie ne Obsession für dich?
Marceese: Kiss? Naja, da muss man schon ein Nerd sein, um auf so eine Idee zu kommen! Ich war schon als ganz kleiner Piepel Kiss-Fan und habe davon geträumt Ace Frehley zu sein, über die Bühne zu fliegen und Raketen aus der Gitarre zu schießen. Ich habe mir irgendwann vorgenommen, wenn ich Gitarre spielen kann, werde ich alls Kiss-Songs aus der Original-Besetzung (1974-1980) neu einspielen. Das sind dann mal eben 12 Alben! Dieses Jahr erscheint dann bereits Nummer fünf – ich werde die komplette "Hotter Than Hell" aufnehmen.
RockTimes: Was hast du, das Ace Frehley nicht hat?
Marceese: Das ist mal ne Frage. Einiges (lacht). Ich hatte kein Drogen-Problem und hatte auch nie so einen geldgeilen Basser in der Band. Haha. Nee, im Ernst. Ganz andere musikalische Einflüsse. Bei mir viel mehr Roots und Blues, aber auch früher Speed- und Thrash Metal und ich habe jahrelang Kiss-Alben gehört. Ace, glaube ich, nicht annähernd sooft wie ich… höhö.
RockTimes: Okay, Spaß beiseite. Was kickt dich eigentlich, was hat damals bei dir den Trieb ausgelöst, selbst Musik zu machen?
Marceese: Damals war es echt das Aufklappcover der "Alive II" von Kiss – google mal das Bild, dann weißt du was ich meine. Aber mittlerweile bin ich – wie gesagt – so ein Gitarren-Junkie, dass ein dickes Riff mich einfach irre macht! "Voodoo Child", "Icky Thump", "Black Dog", Master Of Puppets etc. Wenn ich sowas höre, drehe ich durch vor Glück! Und es macht einfach Spaß und süchtig, selbst Gitarre zu spielen. Außerdem kann ich mich damit 'therapieren' und über Dinge schreiben, die mich beschäftigen. Irgendwann kam mir auch der erquickende Gedanke, wie toll es eigentlich ist, was für die Nachwelt zu hinterlassen. Dass meine Enkelkinder eines Tages die Alben vom Opa hören und ein wenig nachvollziehen können, was ich gedacht habe oder wie es zu meiner Zeit so war. Das finde ich auch einen interessanten Aspekt und Nebeneffekt meiner Arbeit und meiner Liebe zur Musik.
RockTimes: Apropos Selbsttherapie und Dinge, die dich beschäftigen: Du kommst sowohl in deinen Songs als auch im persönlichen Gespräch rüber wie jemand, der sehr klar und gefestigt in seinen Ansichten ist und diese auch konsequent lebt. Liege ich da richtig?
Marceese: Ach, das klingt ja erstmal ganz positiv, danke. Naja, ich habe schon zu gewissen Dingen ’ne klare Meinung, wenn es z.B. um rassistische Haltungen oder andere hirnfreie Äußerungen geht. Ich bin nicht sonderlich politisch engagiert, aber ich bin Mensch! Und dann muss man sagen, dass die ganze aufkeimende rechte Scheiße mir gegen den Strich geht! Dann wissen die Leute, woran sie sind… und die, die rechte Tendenzen haben, sollen sich gerne von mir abwenden. Das Pack brauche ich nicht.
Aber auch sonst singe ich von Sachen, die mich persönlich beschäftigen. Mein gelebtes Leben. Und ich will jeden Satz auch so meinen. Ich singe nicht von Einhörnern und Elfen… oder Bitches, Autos und Partys! Das können andere machen.
RockTimes: Okay, das ist mal ’ne klare Ansage. Zum Schluss natürlich noch die Frage nach deiner näheren (musikalischen) Zukunft. Was bzw. welches Projekt steht als nächstes an?
Marceese: Derzeit bin ich tatsächlich dabei, neue Sachen aufzunehmen. Zum einen natürlich das fünfte Kiss-Coveralbum "Hotter Than Hell" und zum anderen werde ich in den nächsten Wochen ein Konzeptalbum veröffentlichen. "Another Blood Red Night" wird es heißen und zum freien Download bald im Netz stehen. Als alter Slayer-Fan hatte ich die Idee, einen fiktiven Mord zu erzählen und die Songs sind aus der Sicht der Beteiligten geschrieben. Also aus der Sicht des Mörders, der Hinterbliebenen, der Polizisten und z.B. der Haushälterin, die die Leiche entdeckt. Klingt ein bißchen schräg? Ist es auch.
RockTimes: Na, dann dürfen wir uns ja schon darauf freuen. Super, vielen Dank für dieses ausführlich Review, Marceese! Das letzte Wort gehört aber natürlich dir. Gibt es etwas, was du den Leuten immer schon mal sagen wolltest?
Marceese: Danke dir, lieber Markus, für die Fragen, hat Spaß gemacht! Ich könnte die ganze Zeit über gute Bands, Songs und Alben fachsimpeln.
Für alle da draußen: Make peace and love great again!
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