Manchmal verpenne ich richtig gute Sachen. Vermutlich reagiere ich schlichtweg zu sehr auf Schlüsselreize. Als ich die Scheibe von Beathotel im Postfach vorfand, gab es eine vorgefertigte Reaktion. Aha, The Beatles. Oje, und das mir. Ich habe nie so ganz viel mit den Heroen aus Liverpool anfangen können, meine Helden von der Merseyside tragen rote Sport-Dresses und singen voller Inbrunst jeden Samstag einen Klassiker namens "You’ll Never Walk Alone" – da bin ich dabei.
Wieder einmal musste ich einsehen, dass Schubladendenken oft und zu Recht bestraft wird.
Da denkst Du an irgendein Retro-Zeug, doch dann wirst Du unvermittelt konfrontiert mit einer krafttvollen und gänzlich unverstaubten Brit-Pop-Nummer, die in sich glänzt und rockt und treibt. Mit ollen Beatles hat das nichts zu tun. Schon stehst Du da mit Deiner – völlig falschen Erwartungshaltung – stellst aber zufrieden fest, dass Du nicht auf der falschen Party gelandet bist.
Der coole Sixties Anklang in "Dorothy Cries" erinnert mich anfangs ein wenig an Pink Floyds "Relics"-Zeiten, doch das schöne Gitarrensolo führt in eine ganz andere Region und Zeit. Höre ich da etwa American Alternative Sounds der Marke The Walkabouts (die ich übrigens ganz massiv verehre)? Ganz sicher, das Intro des nächsten Songs "High Class Lover" nimmt diesen stilistischen Kunstgriff gleich wieder auf und legt im Solo noch einen drauf. Mensch, das hatte ich überhaupt nicht erwartet, ich finde hier völlig neue Freunde.
Die Sitar und das Intro zu "Going Round" klingen fast wie die Titelmelodie zur Britischen Verfilmung des Douglas Adams Romans "Per Anhalter durch die Galaxis", dem vielleicht witzigsten Buch, das ich je gelesen habe. Tausend Punkte für diese Analogie, und der leicht psychedelische Unterton, fast wie aus dem Dunstkreis der unschlagbaren Düsseldorfer von Vibravoid, nimmt mich endgültig mit auf dem Trip ins "Beathotel". Das übrigens hatte mit den Beatles rein gar nichts zu tun. Das Beathotel stand mitten in Paris, als heruntergekommene Absteige für Amerikanische Buchautoren einer speziellen literarischen Ausprägung. Google macht schlau und hat es mir erklärt.
Und dann wagt man sich an "Eleanor Rigby" heran, vielleicht der Song der Beatles, der mich am meisten mit ihrem Werk versöhnt. Kraftvolle Rhythmen, klare vorwärts treibende Beats ohne Schnick-Schnack machen den Song zu einem Juwel eines modernen Klassiker-Covers. Kompromisslos geradeaus spielen die Herrschaften aus München ihr Verständnis von Sechziger Jahre Musik umgesetzt auf die heutigen Tage. Stilrichtungen scheinen den 'Munich Four' dabei nicht allzu wichtig gewesen zu sein, denn da verquirlen sie sich schon mal in diese oder jene Richtung, in "The Gates Of Love" sogar fast in so etwas wie Country. Und erinnern gleich mal wieder an den Sound der Byrds. Sixties in unseren Tagen, echt cool. Roger McGuinn hat damals den Rockpalast damit gerockt.
Oller Psychedeliker und Bergsteiger, der ich nun mal bin, finde ich in der Ballade "I Can’t Go On" wunderbare Griffe und Tritte, da fühle ich mich daheim. Die wunderbar relaxte Gitarre groovt in entspannte zeitlose Welten, während "Bad Luck" wie aus einem Tarantino-Film klingt und damit zu einem meiner Favoriten aufsteigt.
Was soll ich sagen, das Beste kommt zum Schluss: "Last Minute On Earth" ist eine psychedelische Nummer der Sonderklasse. Sixties Spirit, ausufernde Gitarren-Soli, die den Wah-Wah segensreich zurück entdecken, mehrstimmige Chorale und der herrlich morbide Titel lassen keine Wünsche offen. Mensch, dieses Gitarren-Freakout hat mit den Beatles wirklich nicht viel zu tun. Der gesampelte dramatische Schluss gibt den finalisierenden Charakter. Hier hat sich eine Band von ihren unverkennbaren Vorbildern emanzipiert und dabei etwas völlig Neues geschaffen. Ambitionierter Beat, der die Väter nicht verrät, aber den Kindern alle Freiheiten lässt.
Wenn Musik mit einem dermaßen klaren Konzept und so viel Herzblut dargeboten wird wie auf dieser Scheibe, dann kann ich mich nur verneigen vor Menschen, die wissen, was sie wollen und wie sie das anstellen. Musik, die im Herzen in den Sechzigern wurzelt, aber in der heutigen Zeit ganz tiefe Schlingen zieht, die wird immer einen Zugang zu meinen musikalischen Reflexen finden. Ehrlich ist Bayrisch, und Bayrisch ist gut. Als Wahl-Bad Reichenhaller darf ich so etwas sagen.
Line-up Beathotel:
Frederik Forsberg (vocals, guitars)
Norbert Swoboda (vocals, guitars, organ, sitar)
Anselm Soos (vocals, bass)
Stefan Essl (drums, percussions)
Tracklist "Fast Forward":
- I Feel Good
- Dorothy Cries
- High Class Lover
- Going Round
- Eleanor Rigby
- The Gates Of Love
- Walking Down Troubled Road
- Superman Is Coming
- I Can’t Go On
- Bad Luck
- Love
- Hello Melancholy
- You Ain’t That Love
- Last Minute On Earth
Gesamtspielzeit: 58:28, Erscheinungsjahr: 2016
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