Wenn das Begleitschreiben zu dieser EP davon spricht, dass hier Veteranen musizieren, dann darf man das dem Hauptprotagonisten Bettman durchaus abnehmen. Seine Vita geht zurück in eine Zeit, als viele junge Männer alles Mögliche unternahmen, um nicht zur Bundeswehr eingezogen zu werden. Der junge Gert Bertram wählte die Berliner Lösung, denn wer in der geteilten Stadt seinen Wohnsitz hatte, war vom Wehrdienst befreit.
Außerdem, so der in Neumünster Geborene, war dort die Musikszene eine, die ihm zusagte; zumal er musikalisch mit seiner Chor- und Klavierausbildung sowie seinen »Gitarren-Künsten« bereits über ein anständiges Rüstzeug verfügte. Und lange Haare hatte zu dieser Zeit sowieso jeder. Natürlich hatte Berlin nicht auf ihn gewartet und so musste Bettman (er liebt halt alles, was mit Bett zu tun hat) sich mit Jobs wie Totengräber oder Dachdecker über Wasser halten.
Dann gründete er seine erste Band Shot Gun, in der auch Jay Be am Bass stand. 1979 wechselte er zur Politrockband Outlaws und in seinem weiteren musikalischen Leben folgten stilistisch so unterschiedliche Stationen wie Die Neuen Modelle (NDW) oder Aderlass (Metal). Aber nicht nur als aktiver Musiker war der Mann unterwegs, er begann zu komponieren und arbeitete sich in die Tontechnik ein.
Er arbeitete zudem als Roadie und hat viele der 'Großen Namen' getroffen und war mit vielen Bands als Tontechniker in Europa und den USA auf Tour. 2004 dann er nächste Schritt: er gründete sein eigenes Label Allzeit Musik. Man darf Bettman in der Tat den musikalischen Veteranen-Status attestieren. Joey Albrecht muss man sicher nicht vorstellen, denn dieser Mann gehört zu den Veteranen des Krautrocks. Ich sage jetzt nur mal Karthago. Danach gründete er die Joey Albrecht Band, in der Ralph Steinmetz die Felle bediente.
Das Line-up der vorliegenden Scheibe kann sich also sehen lassen. Allein die Tatsache, dass es bereits 2009 ein Full-Album mit dem gleichen Namen gab und alle – übrigens selbst geschriebenen – Songs dieser EP, bis auf das Bowie-Cover "Helden", schon 2009 auf dem Album waren, irritierte mich anfangs ein wenig. Aber Bettman will keine ollen Kamellen aufwärmen, sondern hat die Freunde noch einmal zusammengetrommelt und die drei Songs, "Bettmanlied", "Alle kommen frei" und "Meine Süsse" neu eingespielt. Quasi zum Einstimmen, denn bis Ende 2021 hat die Band ein neues Album angekündigt.
Daher kann man diese EP durchaus als Appetithappen bezeichnen. Und Appetit macht die Scheibe, denn dieser Deutschrock macht musikalisch Spaß, ist handwerklich vom Allerfeinsten und bleibt textlich auf der sicheren, sprich unpolitischen Seite, indem er sich den 'wahren Rockthemen' widmet. Zwar fliegt auf "Alle kommen frei" die weinende Friedenstaube, aber sie kackt niemandem auf den Kopf. Dafür ist es eine Freude, den Gitarren zu lauschen. Tolle Färbung und begeisternde Soli. "Meine Süsse", der Titel lässt es erahnen, ist ein Lied über die Liebe und die daraus resultierenden Probleme. Aber auch da ist die musikalische Umsetzung klasse zu nennen. Wieder die Gitarren, aber auch das Songwriting an sich. Drums und Bass setzen rhythmische Duftmarken, eine starke Melodie und um der fast Ballade zu nennenden Nummer noch ein Stück Zucker mitzugeben, wird gemeinsam ge»lalala«t.
Im "Bettmanlied", einem forschen Rocker mit n' Roll-Attitüde erklärt uns der Protagonist, warum er sein Bett als den schönsten Ort ansieht. Pizza und Sekt im Bett und ja, das andere auch. Genau so soll Rock mit deutschen Texten sein. Handwerklich von Könnern dargeboten, Texte, die man zum Bier mitsingen kann und Rock’n’Roll eben.
Als Bonus hat sich Gert den "Helden"-Song von Bowie geschnappt und dieses Stück fügt sich in den Bandkontext ein, ohne als Fremdkörper zu wirken. Schön interpretiert und nah am Original.
Man darf also gespannt auf das angekündigte neue Album harren und sich bis dahin die Zeit ein wenig mit Pizza und Sekt …
Line-up Bettman:
Bettman (Gesang, Gitarre)
Joey Albrecht (Gitarre, Gesang)
Jay Be (Bass, Gesang)
Ralph Steinmetz (Schlagzeug)
Tracklist "Alle kommen frei…":
- Bettmanlied
- Alle kommen frei
- Meine Süsse
- Helden
Gesamtspielzeit: 15:42, Erscheinungsjahr: 2020
1 Kommentar
Mario Keim
4. Oktober 2020 um 16:26 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich kann es zwar nicht belegen, aber rein intuitiv scheint mir der „Helden"-Song von David Bowie das am meisten gecoverte Lied weltweit zu sein. Mit einer deutschsprachigen Version hat es der Komponist und Sänger gewissermaßen selbst gecovert. Auch eine spanische Fassung soll es von ihm geben. Das Cover von Motörhead, das 2015 aufgenommen und zwei Jahre nach dem Tod von Ian Fraser „Lemmy“ Kilmister 2017 veröffentlicht wurde, geht als Kult durch.
Was „Heroes” betrifft, so kann es aber zumindest als eines der am meisten gecoverten Songs bezeichnet werden. Nimmt man den Fakt hinzu, dass das Lied als einer der wenigen international bekannt gewordenen Popsongs über die Berliner Mauer gilt, dann ist dessen Bedeutung unumstritten.
LG Mario