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Big Brother & The Holding Company / Sex, Dope & Cheap Thrills – Doppel-CD-Review

Big Brother & The Holding Company - "Sex, Dope & Cheap Thrills" - CD-Review

Die noch junge Janis Joplin hatte Anfang der sechziger Jahre bereits einen Versuch unternommen, in der Musik-Szene von San Francisco Fuß zu fassen. Sie spielte und sang in Bars, doch was sich zunächst ziemlich gut anließ, endete fast in einer Katastrophe. Mit eingezogenem Schwanz und von Drogen gezeichnet kurz vor dem Exitus zog sie schließlich die Handbremse und kehrte in ihr Heimatstädtchen Port Arthur in Texas zurück. Nachdem sie dort wieder auf die Füße gekommen war und eigentlich von einem ruhigen Leben mit Ehemann und Familie träumte, ergab sich jedoch die nächste Chance. Ein alter Bekannter (Chet Helms) erzählte ihr von einer Band, die, in eben jener Stadt, aus der sie vor gar nicht allzu langer Zeit geflüchtet war, nach einer Sängerin suchte. Neugierig, aber auch voller Angst vor einem Rückfall, willigte die gute Janis schließlich ein, sich das Ganze mal anzusehen und -zuhören.

Der lokale Erfolg stellte sich sehr schnell ein, die Texanerin liebte das dortige Lebensgefühl hinsichtlich freier Liebe und einem Leben ganz für die Musik. Bei einem kleinen Label erschien schließlich das gleichnamige Debütalbum der Band Big Brother & The Holding Company, das allerdings außerhalb Kaliforniens keine großen Sprünge machte. Dann kam der große Durchbruch, als die Combo auf dem Monterrey Pop Festival 1967 spielte und die Musiker (in allererster Linie jedoch Janis) für offene Münder und ungläubiges Staunen sorgte. Ruckzuck war auch der damals mächtige Manager Albert Grossman (u. a. Bob Dylan, The Band u. v. w.) an dem Quintett dran und machte einen fett dotierten Plattenvertrag mit einem großen Label klar. Das Ergebnis war dann die 1968 erschienene Platte "Cheap Thrills", mit der Big Brother große Erfolge feiern konnte.

Die Scheibe sollte eigentlich den Namen "Sex, Dope And Cheap Thrills" heißen (wogegen das Label aber intervenierte und den Namen kürzte) und was wir auf der zu besprechenden Doppel-CD finden, sind Outtakes der Studio-Sessions zu dem Album. 'Work in progress' sozusagen und selbstverständlich findet man hier gleich mehrere Versionen der sieben Tracks, die es auf das Original-Album schafften. Dabei macht es als Janis-Fan dann überhaupt nichts aus, wie oft man die jeweiligen Nummern von "Cheap Thrills" bereits gehört hat, da in diesen Probe-Takes zumeist so die Post abgeht, diese so erfrischend daher kommen, dass es eine wahre Freude ist. Auch wenn desöfteren mal was schief geht, bleibt das Hörvergnügen durchgehend erhalten, denn schließlich musste an Klassikern wie "Piece Of My Heart" und "Summertime", dazu an "Oh, Sweet Mary", "Combination Of The Two", "Turtle Blues" sowie "I Need A Man To Love" ja noch herumgefeilt und -gebastelt werden. Lediglich der 'Big Mama' Thornton-Track "Ball And Chain" wurde im Studio nicht mehr angefasst, da von vornherein klar war, dass man dafür eine Live-Aufnahme verwenden würde. Bei den Studio-Jams macht aber nicht nur die Frische und der Enthusiasmus der Band richtig große Freude, auch der Gesang ist nach wie vor einzigartig und zaubert immer wieder Gänsehaut auf den Körper des Hörers.

Enthalten sind hier allerdings auch noch zehn Stücke, die es nicht auf "Cheap Thrills" schafften. Herausstechend sind diesbezüglich die Titel "Farewell Song", "Magic Of Love" und "Catch Me Daddy", aber auch deutlich unbekanntere Tracks wie "It’s A Deal", "Roadblock" sowie "Flower In The Sun" sind sehr willkommene Ergänzungen. Diese wurden zwar fast alle (wenn zumeist auch in anderen Versionen) ebenfalls schon auf anderen Veröffentlichungen 'verbraten', stammen jedoch in ihrer Gänze aus diesen Sessions und es ist großartig, das komplette Set jetzt auf einem Album gebündelt zu haben. Je nach dem Geschmack des Fans sind auch die Konversationen im Studio vor und nach den jeweiligen Takes höchst interessant. Sicherlich von mehr Bedeutung für diejenigen, die bereits in den Janis Joplin-Kosmos eingetaucht waren/sind, dennoch bringt dieser 'Bonus' zusätzliche Spannung ins Spiel.

"Cheap Thrills" erschien original im April 1968 und Janis blieb bis zum Ende jenes Jahres noch bei der Band, bevor sie den vielen 'guten Beratern' nicht mehr widerstehen konnte, um sich mit technisch besseren Musikern zu umgeben, zu denen sie aber kaum noch einen persönlichen Bezug hatte (was sie letzten Endes noch einsamer machte). Mit "Sex, Dope And Cheap Thrills" liegt nun eine hervorragende Dokumentation der Aufnahmen eines auf gewisse Weise definitiv bahnbrechenden Albums vor, die jedem Fan (und denen, die es werden wollen) nur allerwärmstens ans Herz gelegt werden muss.


Line-up Big Brother & The Holding Company:

Janis Joplin (lead vocals)
Sam Andrew (guitars, vocals)
James Gurley (guitars, vocals)
Pete Albin (bass, vocals)
Dave Getz (drums)

Tracklist "Sex, Dope And Cheap Thrills":

CD 1:

  1. Combination Of The Two (take 3)
  2. I Need A ManTo Love (take 4)
  3. Summertime (take 2)
  4. Piece Of My Heart (take 6)
  5. Harry (take 10)
  6. Turtle Blues (take 4)
  7. Oh, Sweet Mary
  8. Ball And Chain (live)
  9. Roadblock (take 1)
  10. Catch Me Daddy (take 1)
  11. It’s A Deal (take 1)
  12. Easy Once You Know How (take 1)
  13. How Many Times Blues Jam
  14. Farewell Song (take 7)

CD 2:

  1. Flower In The Sun (take 3)
  2. Oh, Sweet Mary
  3. Summertime (take 1)
  4. Piece Of My Heart (take 4)
  5. Catch Me Daddy (take 9)
  6. Catch Me Daddy (take 10)
  7. I Need A Man To Love (take 3)
  8. Harry (take 9)
  9. Farewell Song (take 4)
  10. Misery’n (takes 2 & 3)
  11. Misery’n (take 4)
  12. Magic Of Love (take 1)
  13. Turtle Blues (take 9)
  14. Turtle Blues (last verse, takes 1-3)
  15. Piece Of My Heart (take 3)
  16. Farewell Song (take 5)

Gesamtspielzeit: 69:44 (CD 1), 68:34 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2018 (1968)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

2 Kommentare

  1. Carlo LF

    Nach Anhören eines meiner Lieblingssongs, nämlich "Combination Of The Two", kam ich schnell zu dem Schluß, dass der hier veröffentlichte Track 3 sich ziemlich schrottig anhört, und es gut ist, nach der auf "Cheap Thrills" vorhandenen Ausgabe zurückzugreifen. AH, die tut gut! Und ich verspüre wenig Lust, unter Schrottversionen nach angeblichen Perlen zu suchen. (Ein Glück, dass es Spotify gibt: verhindert Fehlkäufe)

    Also, ich weiß nicht, ich habe bisweilen den Eindruck, dass mit solchen Ausgaben von historischem Material die Absolut-Fans beeindruckt werden können, dass aber ansonsten damit einfach versucht wird, nochmals Kohle zu machen. Wenn diese Kohlen wenigstens an die überlebenden Musiker ginge…

    1. Markus

      Hi Carlo,

      naja, Aussagen wie 'ziemlich schrottig' sind immer sehr individuell empfunden (was selbstverständlich jedermanns/-fraus gutes Recht ist), wobei ich deiner Aussage aber nicht zustimmen kann. Logischerweise haben wir es hier nicht mit einem vollproduzierten und ausgereiften Teil 2 von "Cheap Thrills" zu tun, vielmehr wurde die Band auf dieser Doppel-CD im Studio eingefangen, wie sie sich damals (ganz sicher auch live auf der Bühne) angehört hat. Bevor "Combination Of The 2" so klang wie auf "Cheap Thrills", klang es eben noch so wie auf dieser Doppel-CD.

      Und genau darum ging es bei dieser Veröffentlichung auch. Ganz sicher in erster Linie für Fans der Band und der damaligen Zeit gedacht und erst in zweiter dafür, die gute Janis plus Band ganz neu kennen zu lernen. Die gerade genannte Zielgruppe dürfte allerdings tatsächlich ihren Spaß daran haben und wenn es nur aufgrund der differierenden Versionen und den Dialogen im Studio geht, wobei man sich über den Sound (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) wirklich nicht beschweren kann. Selbst wenn es mir nicht mit jeder Band so gehen würde, mir hat "Sex, Dope & Cheap Thrills" jedenfals einen Riesenspaß bereitet (und tut es immer noch).

      Und von dem Gerücht, dass ein Label mit einer LP-, CD- oder 'was auch immer'-Veröffentlichung Kohle verdienen will, habe ich ehrlich gesagt noch nie gehört 🙂 Nee, Spaß beiseite, natürlich geht es einzig und ausschließlich darum! Aber schließlich sind wir ja alle schon groß und finden aufgrund der multimedialen Vollbedienung immer Möglichkeiten, diese Veröffentlichungen zumindest teilweise anzuchecken, bevor wir sie blind kaufen. Seine Entscheidung kann, darf und soll dann jeder natürlich für sich selbst treffen.

      In diesem Sinne, just my 2 cents,
      Markus

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