Der Verfasser dieser Zeilen kann die eine oder andere gerunzelte Leser-Stirn bereits bildhaft vor sich sehen. Ein Review über eine Biografie zu Andy Warhol? In RockTimes?? Aber es gibt tatsächlich mehrere Gründe, "Warhol – Ein Leben als Kunst" mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, denn schließlich hatte der gute Andy ja über große Teile seines Lebens (wenn auch nur am Rande) mit Musik zu tun. Ob dies nun Bands oder Musiker waren, die er unterstützte, oder ob es Songs waren, die über ihn geschrieben wurden (als Beispiele seien hier nur mal "Andy Warhol" von David Bowie oder "Andy’s Chest" von Lou Reed genannt). Aber okay, ich gebe zu, dass in mir die Hoffnung brannte, noch viel Neues über die frühen Velvet Underground sowie auch Nico zu der Zeit von etwa 1965 bis 1967 zu erfahren. Eine Hoffnung, die leider enttäuscht wurde.
Wie jede gute Biografie wird auch hier die Geschichte des Künstlers, beginnend mit seiner Kindheit erzählt. Es folgen die Jahre in der Schule und schließlich das Kunststudium. Dass Andy 'anders' ist, nämlich dass er unter anderem Männer statt Frauen liebt, hatte er zu diesem Zeitpunkt längst erkannt. Auch der eigentlich sehr erfolgreiche Start ins Berufsleben machte ihn nicht wirklich glücklich und so entschied er sich ganz bewusst für ein (finanziell unsicheres) Leben als Künstler. Nach den ersten Erfolgen als Maler entdeckte er in den sechziger Jahren das Filmemachen für sich. Er produzierte allerdings keine Hollywood-Ware, sondern ’schwere' Kost, um es mal gelinde auszudrücken. Im Film "Sleep" ist beispielsweise mehrere Stunden der Schauspieler John Giorno beim Schlafen zu sehen. Das wars. Und selbst wenn wir es bei "Sleep" mit einem Extrem-Beispiel zu tun haben, setzte Warhol bei seinen Streifen selten auf eine Storyline, sondern verwendete vielmehr sehr lange Einstellungen, die – da sind sich bis heute sowohl Fans als auch Kritiker einig – schon mal sehr langatmig wirken konnten. Immerhin wurde der Streifen "Chelsea Girls" (mit unter anderem Nico) ein kleiner Erfolg.
Die vielleicht interessanteste Zeit in Warhols Schaffen waren die sechziger Jahre und das kunterbunte Treiben in der Factory, dem großangelegten Arbeits-Atelier des Amerikaners. The Velvet Underground und Nico werden in einem Kapitel dann doch noch etwas ausführlicher erwähnt, bleiben aber leider nur eine Randnotiz. Nach dem Attentat auf ihn wechselte Andy Warhol in den siebziger Jahren sein Image und konzentrierte sich sehr stark aufs 'Geld verdienen'. Oft erscheint dem Leser diese Phase jedoch als eine sehr kreativarme, hier ging es verstärkt um (gut) bezahlte Auftragsarbeiten, die zwar jede Menge Zaster einbrachten, Warhol als Künstler aber nicht glücklich machten.
Das Buch ist sehr gut geschrieben und wird trotz seiner Ausführlichkeit und Länge (immerhin haben wir es mit mehr als strammen 1 200 Seiten zu tun) nie langweilig. Der Leser erfährt auch sehr viel über den 'privaten' Warhol, der oft – auch in seinen Liebesbeziehungen – eher kalt, leidenschaftslos und lakonisch wirkt. Selbst die lange Krankheit und der Tod seiner Mutter ließen bei ihm kaum Gefühlsregungen erkennen, was unter anderem einer der Gründe ist, dass der Leser am Ende des Buches zwar das Gefühl hat, dem Menschen Andy Warhol etwas näher gekommen zu sein, aber … ihn deshalb nicht unbedingt mögen zu müssen. Nach seinem Ableben bekam er dann aber von den beiden Velvet Underground-Musikern Lou Reed und John Cale als Ehrung noch einmal ein komplettes Album gewidmet. "Songs For Drella" hieß es. Drella (eine Abkürzung für Cinderella) war im inneren Zirkel der (zumindest anfangs heimliche) Spitzname des Künstlers und die Scheibe beschäftigte sich ausschließlich mit ihm.
Fazit: Eine sehr starke, gut geschriebene, interessante sowie erkenntnisreiche Biografie über einen Künstler, der nicht nur die Kunst-Szene seiner Zeit, sondern auch die Generationen nach ihm maßgeblich beeinflusst hat.
Verlag: C. Bertelsmann Verlag
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 1 232 Seiten
ISBN-10: 3570102076
ISBN-13: 978-3570102077
Originaltitel: Andy Warhol: A Life As Art
Abmessungen: 15.9 x 5.6 x 23.2 cm
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