»Bands kommen und gehen!« ist ein geflügeltes Wort im Musik-Business. Mit viel Glück und Können hatte die jeweilige Combo in ihrer ersten Schaffensphase jedoch so großen Erfolg oder nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass ihr nach der Trennung immer wieder Angebote für eine Reunion ins Haus flattern. Eine solcher Gruppen ist bekanntermaßen die aus New York City stammende Blondie, die wie die meisten anderen jedoch ebenfalls sehr hart für ihren Durchbruch arbeiten mussten. Alles angefangen hatte 1974, dem Jahr, in dem auch die ersten Demos entstanden. Die erste Single ("X Offender") erschien schließlich im Juni 1976 und das erste gleichnamige Album im Dezember 1976. Die dem Rezensenten vorliegende 3CD-Box ehrt nun diese erste Ära von Blondie, sprich deren erste sechs Alben und die Zeit von 1974 bis 1982. Um es gleich vorweg zu nehmen, gibt es dieses Werk auch im 8CD- bzw. 10LP-Format, auf denen dann alle kompletten Studioalben plus jeder Menge Demos und Alternate Takes zu finden sind.
Auf der schlankeren 3CD-Variante ist kein vollständiges Album, sondern eine Mischung aus Album-Tracks, Singles, Demos und Outtakes vertreten. Allerdings ist das ein sehr spannender und interessanter Mix einer richtig guten Pop/Rock-Band. Selbstverständlich hatte Blondie nie, aber wenn, dann nur ganz am Rande, mit Punk Rock zu tun. Und Pop-Musik ist ja nicht von vornherein gleichbedeutend mit schlechter Musik. Was beim Anhören von "Against The Odds …" immer deutlicher wird. Gestartet wird mit dem noch etwas wackeligen "Out In The Streets" aus den allerersten Aufnahme-Session aus dem Jahr 1974. Bei dem anschließenden "The Disco Song" handelt es sich tatsächlich bereits um eine ganz frühe Version des späteren Monster-Hits "Heart Of Glass", selbstverständlich noch komplett anders arrangiert und gesungen. Bei den folgenden "Sexy Ida", "Platinum Blonde", "The Thin Line" sowie "Puerto Rico" erkennt der Hörer aber bereits das riesengroße Potential der New Yorker.
Mit "Once I Had A Love" (ein weiteres Entwicklungsstadium von "Heart Of Glass") steigen wir dann ins Jahr 1975 und den nächsten Qualitätssprung Blondies ein. Und gleich noch ein Jahr weiter: Der Name der ersten Single "Sex Offender" musste auf Druck der Plattenfirma in "X Offender" geändert werden, machte aber dennoch, ebenso wie die nächste Handvoll Singles so gut wie keinen Eindruck in den USA. Mit weiteren Single-Auskopplungen aus dem Debütalbum konnte das Quintett aber immerhin in Ländern wie Australien und Belgien charten, während es zu Hause weiterhin mehr oder weniger ignoriert wurde. Selbst die herrliche Pop-Nummer, der Ohrwurm "Denis" (aus dem zweiten Album "Plastic Letters", 1978), der weltweit Spitzenpositionen in den Charts einnahm und als Single in mehreren Ländern vergoldet wurde, wurde von der amerikanischen Musikhörerschaft wie der berühmte umfallende Sack Reis in China behandelt. Aber der Karrierepfeil zeigte nach oben, denn nachdem man mit dem Debüt in Großbritannien bereits Gold einfahren konnte, wurde "Plastic Letters" dort sogar mit Platin gekürt, während die Band dieses Mal in den Niederlanden Gold für den Longplayer kassierte.
All der Ärger und die Enttäuschung über die fehlende Akzeptanz in ihrer Heimat waren jedoch mit dem dritten Album ("Parallel Lines", 1979) vergessen, da damit nun endlich auch dort Platin eingefahren werden konnte. Zum zweiten Mal nacheinander gab es in Großbritannien Platin, sogar vierfach Platin in Kanada und immerhin Gold in den Niederlanden. In Deutschland konnte die beste Chart-Platzierung mit einem Album und Platz Numero 9 gefeiert werden. Auch "Parallel Lines" verfügt noch über den überwältigenden Charme einer Band, der man nur nicht nur die Straßen New Yorks, sondern auch ihre Unbeschwertheit und Experimentierfreude anhört, selbst wenn sich das Quintett auch damals schon kaum von poppigen Gewässern fernhielt. Ab jetzt folgte mit unter anderem "Sunday Girl", "Call Me", "Atomic", "Dreaming" oder "The Tide Is High" ein Hit nach dem anderen. Allerdings hatte sich ab dem vierten Album ("Eat To The Beat", 1979) etwas verändert, da die Songs nicht mehr so viel Durchschlagskraft, so viel Frische hatten und zunehmend düsterer ("Rapture") wurden.
Blondie hatte weiterhin kleinere Hits, doch nach den weiteren Scheiben "Autoamerican" (1980) sowie dem sich sehr schlecht verkaufenden "The Hunter" (1982), internen Streitigkeiten und Drogen-Problemen war dann erstmal Schluss. Songs von "The Hunter" fehlen auf dieser 3CD-Variante dann auch gänzlich, dafür kommen wir auf CD 3 noch in den 'Genuss' von einigen von Chris Stein produzierten Demos, die lediglich am Keyboard mit Drum-Computer und ohne Gesang eingespielt wurden. Weitere Home Tapes mit gleicher Instrumentierung sowie Debbie Harrys Gesang schließen diese Compilation ab. Hätte der Rezensent auf dieser Compilation jetzt nicht unbedingt gebraucht.
Dennoch bleibt letzten Endes festzustellen, dass Blondie speziell auf ihren ersten drei, vielleicht auch ersten vier Alben eine richtig gute Pop/Rock-Band mit zahlreichen guten Songs war. Viel besser, als ihr vielleicht nicht ganz so guter Ruf. Richtig spannend ist auch, die Entwicklung von "Heart Of Glass" über mehrere Jahre nachverfolgen zu können, bis das Stück schließlich als Single veröffentlicht wurde und den ganz großen weltweiten Durchbruch brachte. Die vielen Alternate Takes und Demos runden das Bild ab und schließlich ist hier auch noch eine bisher unveröffentlichtes Cover des The Doors-Klassikers "Moonlight Drive" enthalten. Eine richtig gute Zusammenstellung! Wer alles braucht, muss natürlich zur 8CD- oder 10LP-Box greifen.
Line-up Blondie:
Chris Stein (guitars, bass)
Debbie Harry (lead & background vocals)
Frank Infante (guitars, background vocals)
Jimmy Destri (piano, organ, keyboards, background vocals)
Gary Valentine (bass, guitars)
Nigel Harrison (bass)
Clem Burke (drums & percussion, background vocals)
Tracklist "Against The Odds 1974-1982:
- Out In The Streets (1974)
- The Disco Song
- Sexy Ida
- Platinum Blonde
- The Thin Line
- Puerto Rico
- Once I Had A Love (1975)
- Out In The Streets (1975)
- X Offender (Intro)
- X Offender (Private Stock single)
- In The Sun (Private Stock single)
- Little Girl Lies (Private Stock mix)
- In The Flesh (extended intro)
- A Shark In Jets Clothing (take 2)
- Kung Fu Girls (take 8)
- Scenery
CD 3:
- I Love You Honey, Give Me A Beer (Go Through It)
- Live It Up (Giorgio Moroder demo)
- Angels On The Balcony (Giorgio Moroder demo)
- Tide Is High (demo)
- Susie And Jeffrey
- Rapture (disco version)
- Autoamerican Ad
- Yuletide Throwdown
- War Child (Chris Stein mix)
- Call Me (Chris Stein mix)
- Heart Of Glass (Christ Stein mix)
- Nameless (home tape)
- Mr. Sightseer
- Sunday Girl (home tape)
- Theme From Topkapi (home)
- The Hardest Part (home tape)
- Ring Of Fire (home tape)
- Denis (Terry Ellis mix)
- Moonlight Drive
- Bermuda Triangle Blues – Flight 45 (take 1)
- I Didn’t Have The Nerve To Say No (take 1)
- I’m On E (take 2)
- Kidnapper (take 2)
- Detroit 442 (take 2)
- Poet’s Problem
- Once I Had A Love (Mike Chapman demo)
- Sunday Girl (french version)
- I’ll Never Break Away From This Heart Of Mine (Pretty Baby)
- Hanging On The Telephone (Mike Chapman demo)
- Will Anything Happen (instrumental)
- Call Me
- Spaghetti Song (Atomic, part II)
- Die Young, Stay Pretty (take 1)
- Underground Girl
- Union City Blue (instrumental)
- Llamame
Gesamtspielzeit: 44:09 (CD 1), 59:09 (CD 2), 69:38 (CD 3), Veröffentlichungsjahr: 2022 (1974-1982)
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