Laut Douglas Adams und seinem Science Fiction Roman "Per Anhalter Durch Die Galaxis" ist Deaster Area die lauteste Band im Universum. Hotblank Desiato, der Bandleader, hat sich aus Steuergründen vorläufig für tot erklären lassen und der Sound der Band soll bei Live-Konzerten am besten in etwa dreißig Kilometern Entfernung zur Bühne in schallgeschützten Bunkern zu genießen sein. Das ist dichterische Freiheit und schlichtweg erfunden – von Douglas, nicht von mir.
Die reale Welt des Rock’n’Roll hatte stets eine Antwort darauf. Die hieß Blue Cheer und stammte aus dem blumigen San Francisco, gegründet tatsächlich in der Zeit, als alle Welt dort nur Flower Power vermuten mochte. Richard 'Dickie' Peterson hatte eine andere Vision von Musik. Ihm schwebte nicht das Universum vor, es reichte ihm, die lauteste Rockband der Erde zu aktivieren. Das ist ihm, besonders in der Hochzeit der Band, weitestgehend gelungen und zwar lange, bevor ein Lemmy Kilmister beispielsweise die Felder des harten Rock beackerte. Kein Wunder also, dass fast alle Fraktionen temporeicher Rockmusik Blue Cheer irgendwie als Urväter ansehen, ganz gleich ob Heavy Metal, Heavy Rock, Hard Rock, Stoner oder Grunge.
All das ist Geschichte und sicherlich den Meisten bekannt. Klingt also nach einem der vielen letzten Konzerte, der Abschiedstourneen mit Herzschmerz und Nostalgie? Und oftmals mit einer gehörigen Portion menschlichen Mitleids, wenn die Protagonisten sich bereits auf der Zielgeraden ihres Schaffens befinden? Ehrlich Leute, vergesst das ganz schnell, auch wenn wir heute natürlich wissen, dass Dickey tatsächlich nur gut ein Jahr später ganz in der Nähe des Schauplatzes für das Rockpalast-Konzert verstorben ist. Er lebte zuletzt im Rheinland, nicht weit weg von der Harmonie in Bonn.
Nein, hier agiert eine Band auf ungeheuer hohem energetischen Level, sowohl was die Lautstärke und Intensität angeht, aber eben auch die Virtuosität, von Rentnerdasein keine Spur. Krach machen kann heutzutage jeder, das Equipment steht inzwischen vielen Protagonisten zur Verfügung. Dickie Peterson an Bass und Gesang, die mitreißende Gitarre von Andrew 'Duck' MacDonald und dem Ur-Mitglied Paul Whaley am Schlag haben an diesem Abend ein großartiges Vermächtnis ihrer eigenen Musik abgeliefert, aber auch bewiesen, dass die alte Garde auch in Sachen Hardrock unglaublich authentisch und qualitativ hochwertig agieren kann. Ohne Schnörkel, Schnickschnack oder Show-Effekte. Blue Cheers Rockpalast-Auftritt bringt fünfundachtzig Minuten Power zwischen Blues und Rock’n’Roll, ohrenbetäubend und krachend, aber dennoch fein und akzentuiert.
Dickie präsentiert sich als Urviech der Rockmusik (das meine ich voller Respekt!), optisch verwandt mit seinem legendären Bass-Kollegen Jack Bruce, allerdings so, als hätte der eine Überdosis von dem komischen Zeug genommen, das die in der Werbung immer als Doping für die Haare bezeichnen. Und irgendwie kommt mir in den Sinn, dass diese Metapher eigentlich auch auf den Musikstil von Blue Cheer angewendet werden kann. Knallharten Bluesrock gab es bei Jack auch, ob mit Cream oder später allein, Blue Cheer legen einfach ihre geheime Power-Formel drauf. Zum Beispiel auch an jenem Abend in Bonn, schon spät im Konzert, wenn sie bei ihrem größten Hit, dem Cover von Eddie Cochrans "Summertime Blues" wie eine Dampfwalze loslegen und der Rhythmus daherkommt wie der Kriegstanz einer Horde bekiffter Krieger, final beendet mit der letzten Phrase der amerikanischen Nationalhymne, was nichts anderes darstellt als eine Hommage an den großen Jimi Hendrix. Auf ein weiteres Beispiel komme ich noch zu sprechen.
Überhaupt hat wohl Hendrix der Band damals mächtig imponiert, denn die ging zunächst mit sechs Mitgliedern an den Start, schmolz aber alsbald auf das damals so prominente Powertrio zurück. Alle wollten damals ein bisschen wie Jimi sein. In meinen Augen aber eine sehr gute Entscheidung, denn diese archaische Besetzung bringt die Philosophie bluesgetränkter Rockmusik nach meinem Empfinden am besten auf den Punkt. Davon können wir uns auf dem vorliegenden Bild- und Tonmaterial trefflich überzeugen.
Mitten hinein in einige Nummern vom damals aktuellen Album What Doesn’t Kill You…, bringen sie schon ziemlich früh den Mose Allison-Song "Parchment Farm" aus ganz frühen Tagen von Blue Cheer. Schon hier bin ich begeistert von den flüssig groovenden Soli des Herrn MacDonald und seinen inspirierenden Wah-Wah-Einlagen. Und im neuen "Rollin' Dem Bones" slidet er dem Teufel schlichtweg den Arsch ab.
"Out Of Focus" vom zweiten Album darf natürlich nicht fehlen, genau wie der schon zitierte "Summertime Blues". Man spürt hier die Spannung und Freude bei den Fans in der Halle, diese Nummern noch einmal live erleben zu dürfen. Gleiches gilt auch und ganz besonders für das spätere Ende des Konzerts, wenn sich unzählige Enthusiasten nach vorn drängeln, um ihren Helden noch einmal die Hand zu drücken. Ganz ohne Wehmut geht so ein Ereignis dann doch nicht aus.
Wenn Dickie die letzte Nummer, "Doctor Please", des regulären Sets ankündigt, räumt er mit einem alten Vorurteil auf: Es gibt alte Gerüchte, dass dieser Song ein Drogensong sei. Nach einer kurzen, rhetorischen Pause bekennt er: »Yes, it is!« Na dann hinein in den Kiffersong, denke ich mir und bekomme mächtig was vor den Latz geknallt, nämlich eine geniale Improvisation auf Jimis "Third Stone From The Sun" mit zwei irre genialen Fender-Eruptionen wie aus der Gründerzeit der Rockmusik. Für solche Nummern bin ich damals Fan geworden. Die Power und der hypnotische Groove wird auf der DVD übrigens glänzend optisch umgesetzt, Epileptiker sollten allerdings vorübergehend mal Bier holen gehen, das Licht flackert schon heftig. Eine geile Nummer, fünfundzwanzig höchst kurzweilige Minuten lang.
Das legendäre Cover "The Hunter" (Albert King), das uns auch Paul Rogers einst so wunderbar aus dem Rockpalast ins Haus gesendet hat, beschließt ein Konzert, welches wir nicht nur angesichts des nahen Todes von Dickie Peterson als klassisch und für unsere medial abgebildeten Musikereignisse in unseren Landen vielleicht schon fast legendär nennen dürfen. Ältere Herren sind nicht davon befreit, die Sau rauszulassen. Das kann manchmal aufgesetzt und gelegentlich sogar peinlich wirken, hier ist es einfach treffend und authentisch. Eben wie bei Lemmy.
Toll übrigens, dass im Begleitmaterial zur Bemusterung dieser Platte ein altes Gerücht widerlegt wurde, nämlich dass die Band durch ihre enorme Lautstärke daheim einst einen Hund in den Tod getrieben hätte. Ehrlich, das hätte mir als Hundefreund auch nicht gefallen.
Das Konzert hingegen, das hat mich umgehauen, da werde ich häufiger mal reinschauen, vielleicht ja auch mit dem einen oder anderen jüngeren Musiker zusammen. Die werden nicht minder begeistert sein, was man in der Endphase der Karriere alles auf die Beine stellen kann. Wenn man das Zeug dafür hat…
Line-up Blue Cheer:
Richard 'Dickie' Peterson (bass, vocals)
Andrew 'Duck' MacDonald (guitar, backing vocals)
Paul Whaley (drums)
Tracklist "Live At Rockpalast – Bonn 2008:
- Babylon
- Parchment Farm
- I’m Gonna Get To You
- Rollin' Dem Bones
- Out Of Focus
- Just A Little Bit
- Maladjusted Child
- Summertime Blues
- Doctor Please
- The Hunter
- Babylon
- Parchment Farm
- I’m Gonna Get To You
- Rollin' Dem Bones
- Out Of Focus
- Just A Little Bit
- Maladjusted Child
- Summertime Blues
- Doctor Please
- The Hunter
Gesamtspielzeit DVD – 85:00, CD 1 – 37:48, CD 2 – 43:57, Erscheinungsjahr: 2017
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