«

»

Bob Dylan / More Blood, More Tracks – The Bootleg Series Vol. 14 – CD-Review

Bob Dylan - "More Blood, More Tracks - The Bootleg Series Vol. 14" - CD-Review

Als Bob Dylan im September 1974 in den Columbia Studios in New York City einlief, war für ihn die Welt trotz seines großen Comebacks alles andere als in Ordnung. Denn obwohl er sich in der ersten Hälfte der siebziger Jahre größtenteils aus dem Musik-Business zurückgezogen hatte, kriselte es ganz gewaltig in seiner Ehe. Man kann natürlich immer nur spekulieren, meiner bescheidenen Meinung nach setzte sein Comeback "Planet Waves" und eine große US-Tour 1974 (die das Album Before The Flood abwarf, beide Werke wurden übrigens mit seinen ehemaligen Kollegen von The Band eingespielt) der Beziehung mit seiner Frau dann den Todesstoß. Die logische Konsequenz des Amerikaners war es, wieder ins Studio zu gehen und seine nächste Scheibe aufzunehmen. Die kam dann im Januar 1975 mit dem Titel "Blood On The Tracks" auf den Markt und gilt in Fan-Kreisen bis heute als eine seiner drei besten.

Die zehn darauf festgehaltenen Stücke gelten gemein hin als Dylans Scheidungs-Platte, was dieser selbst aber immer schon bestritt und bis heute bestreitet. Und dennoch sprechen Songs wie "If You See Her, Say Hello", "You’re A Big Girl Now" oder "Idiot Wind" eine deutlich andere Sprache. Wer jemals daran gezweifelt hat und sich nun die Session-Outtakes "More Blood, More Tracks" anhört, der dürfte endgültig überzeugt sein. Der Songwriter hatte sich ganz bewusst dafür entschieden, diese Kompositionen wieder ganz spartanisch aufs Band zu bringen, weil ihm diese Form für diese speziellen Nummern ernsthafter bzw. glaubwürdiger erschien. Für dieses Review liegt mir die einfache CD-Version vor, die es aber auch schon granatenmäßig in sich hat. Die Aufnahmen stammen aus den vier Tage andauernden Sessions, bei denen der gute Bob sich zumeist nur von dem Bassisten Tony Brown begleiten ließ, während er neben dem Gesang noch die Akustik-Gitarre sowie die Harmonika übernahm.

Die Texte erscheinen (fast) alle sehr persönlich und Bob Dylan trägt sie je nach Text und Gemütslage mit zu Tode betrübter (manchmal brechender) Stimme, mal bitter aufflammendem Zorn oder wehmütiger Erinnerung vor. Bei "You’re A Big Girl Now" glaubt man fast, mit dem verzweifelt um seine Ehe kämpfenden Mann und seiner Frau am Tisch zu sitzen, während er – sich offensichtlich in einer Zwischenwelt aus flehender Beschwörung und Resignation befindend – seine Partnerin überzeugen will zu bleiben, was aber offensichtlich auf taube Ohren fällt. Glücklicherweise kommt das alles ohne jede Patina und ist so überzeugend, dass es teilweise ganz schön unter die Haut geht. Auch "Buckets Of Rain" ist eine pure Liebeserklärung an eine verlorene Person, die nicht mehr zu halten ist. Bei diesem Stück kommt sogar außergewöhnlich schöne Gitarrenarbeit dazu. Wie entrückt Dylan zum Zeitpunkt der Aufnahmen gewesen sein musste, zeigt scheinbar auch die Tatsache, dass man bei einigen Songs die Knöpfe seiner Jacke (oder seines Hemds) an den Rücken der Akustischen klackern hört. Und selbst auf dem fertigen Album "Blood On The Tracks" kann man dies bei einigen Titeln noch erkennen.

Beschäftigen sich Song-Klassiker wie das großartige "Tangled Up In Blue" sowie die nicht weniger starken "Simple Twist Of Fate", "You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go" und "Shelter From The Storm" mit unterschiedlichen Zeitpunkten seiner gescheiterten Beziehung, so ist der einzige auf diesem Album davon losgelöste Track "Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts", eine beschwingte Geschichte aus dem Wilden Westen über Liebe, Sex, eheliche Gewalt, Hass, Verrat, Mord und einen (Bank-?) Raub. Klingt wie ein ganzer Film? Stimmt, aber ein Bob Dylan konnte auch all das in einem einzigen Song unterbringen. Bei dem einzigen Titel aus diesen Sessions, der es nicht auf das Album schaffte, handelt es sich um "Up To Me", das später unter anderem von Roger McGuinn (auf seinem Album "Cardiff Rose", 1976) verwendet wurde. Und schließlich ist da noch mein persönlicher Favorit "Idiot Wind", der zunächst als Abrechnung mit Journalisten

»Idiot wind is blowin every time you move your teeth
you’re an idiot, babe, it’s a wonder that you still know how to breathe«

beginnt, sich dann aber doch schnell wieder mit dem Scheitern des sich einst liebenden Paares beschäftigt.

»Now everything’s a little upside-down
as a matter of fact, the wheels have stopped
What’s good is bad, what’s bad is good
you’ll find out when you’ve reached the top that you’re on the bottom«

»Idiot wind is blowin' through the buttons of our coats
blowin' through the letters that we wrote
Idiot wind blowin' all the dust off of our shelves
we are idiots, babe, it’s a wonder we can even feed ourselves«

Bob Dylan war aber ein paar Monate später mit irgend etwas auf dem fertigen Album nicht mehr zufrieden (wieder Spekulation: er hatte Angst, teilweise zu viel von sich persönlich preis zu geben) und stoppte sogar dessen Veröffentlichung, die vom Label – finanziell sehr einträglich – kurz vor Weihnachten 1974 geplant war. Tatsächlich zog er sich Ende Dezember jenen Jahres noch einmal nach Minneapolis in ein Studio zurück, um fünf der Songs für "Blood On The Tracks" komplett neu aufzunehmen. Speziell "Tangled Up In Blue", "You’re A Big Girl Now", "Idiot Wind" sowie "If You See Her, Say Hello" kommen auf der offiziellen Platte dann doch in einer deutlich anderen Stimmung, nämlich deutlich distanzierter und auch härter, rüber. Das macht sie zwar nicht unbedingt schlechter, aber wer ein Ohr auf die Seele und das Herz eines emotional stark angeschlagenen Bob Dylan im Jahr 1974 legen möchte, der ist mit diesen Outtakes an der richtigen Adresse.

Alle Versionen auf "More Blood, More Tracks" kommen gefühlt zwar langsamer als die Songs des fertigen Albums, dafür aber auch einen ganzen Batzen intensiver. Möglicherweise sind die "Bootleg Series" nur für langjährige Dylan-Fans ein Muss, aber wahnsinnig interessant dürften sie auch für alle anderen sein. Apropos Fans: Von "More Blood, More Tracks…" gibt es übrigens auch eine 6-CD Deluxe Version, die sämtliche (also tatsächlich alle!) Aufnahmen der Sessons in New York City und noch ein paar aus Minneapolis enthalten. Wenn das mal keine Vollbedienung ist, dann weiß ich auch nicht mehr weiter.


Line-up Bob Dylan:

Bob Dylan (acoustic guitars, harmonica, vocals)
Tony Brown (bass – #1,3,8-11)

Tracklist "More Blood, More Tracks…":

  1. Tangled Up In Blue (Take 3, Remake 3)
  2. Simple Twist Of Fate (Take 1)
  3. Shelter From The Storm (Take 2)
  4. You’re A Big Girl Now (Take 2)
  5. Buckets Of Rain (Take 2, Remake)
  6. If You See Her, Say Hello (Take 1)
  7. Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts (Take 2)
  8. Meet Me In The Morning (Take 1, Remake)
  9. Idiot Wind (Take 4, Remake)
  10. You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go (Take 1, Remake 2)
  11. Up To Me (Take 2, Remake)

Gesamtspielzeit: 60:51, Erscheinungsjahr: 2018 (1974)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
News
Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>