1968 war der Sommer der Liebe. Flower Power wuchs in Kalifornien aus einer neuen Jugendbewegung zu einem weltweiten Phänomen und das legendäre Woodstock-Festival auf den weiten Wiesen des Max Yasgur nur ein Jahr später vermittelte der ganzen Welt das Bild einer friedlich aufbegehrenden Jugend und ihrer faszinierenden, neuen Musik.
Doch was die Menschen in den Staaten bewegen konnte, sollte auch in Deutschland möglich sein, und so gründeten sich erste, Musik orientierte Kommunen auch in unserem Land. In Duisburg gehörte das Privileg, einer der ersten dieser Bewegung zu sein, einer kleinen Gruppe um Peter Bursch und Willi Kissmer. Und sie nannten sich szenegerecht: Die Bröselmaschine.
Ein halbes Jahrhundert später. Kurz vor der Eröffnung ihrer Ausstellung in der Duisburger Cubus-Halle traf ich Peter vor ein paar Tagen. »Meine Güte, 50 Jahre On The Road« entfuhr es ihm enthusiastisch, »Wahnsinn«. Kurz erzählte er von den anstehenden Festivitäten in unserer gemeinsamen Heimatstadt: »Am 24.08. spielen wir zur Eröffnung der Ausstellung ein akustisches Set in der Cubus-Halle. Aber am Sonntag, zwei Tage danach, da kommen wir mit der kompletten Band und mit einer gewaltigen PA, da spielen wir Open-Air im Skulpturenpark des Lehmbruchmuseums.«
Mehr Anreiz bedurfte es nicht und die anfangs eher trüben Wetteraussichten würden kein Hindernis aufstellen können. Am Ende aber hatte der Wettergott ein Einsehen und behielt die Schleusen geschlossen.
Da wir im Rahmen des letztjährigen, neuen Albums Indian Camel ein umfangreiches Interview mit Peter Bursch über die Geschichte der Band sowie seine persönlichen Ambitionen geführt haben, möchte ich den historisch interessierten Bröselmaschinisten hier nicht noch einmal mit Fakten füttern, sondern gerne auf die umfangreichen Erzählungen in Teil 1 und Teil 2 verweisen.
Freitag, 24.08.2018, Ausstellungseröffnung in der Cubus-Halle
So prall mit Menschen gefüllt habe ich die Cubus Kunsthalle selten gesehen. Jede Menge Fotos und Exponate aus den fünfzig Jahren Bandgeschichte hatte Peter mit seiner Frau und vielen Freunden zusammengetragen, sogar die Fans steuerten alte Eintrittskarten und Plakate bei – alles, was irgendwo auf dem Speicher schlummerte, fand Einzug in die Ausstellung. Und weil es am Ende vor allem um Musik geht, spielte die fast vollständige Bröselmaschine (nur Keyboarder Tom Plötzer fehlte) ein wunderschönes teil-akustisches Set. Nur Bass und Gitarre wurden elektrisch verstärkt. Klaus Dapper, Bandmitglied in den Siebzigern, bröselte einen Song an der Querflöte mit und Manni von Bohr beschränkte sich auf Percussion, obwohl eine komplette Schießbude zu den Ausstellungs-Highlights gehörte. »Sonst bricht hier womöglich die Halle zusammen«, hatte Peter fröhlich geargwöhnt.
Dazu hätte es dann aber trotzdem kommen können. Eine hinreißende Performance des Blues-Klassikers "I’d Rather Go Blind" mit einer elektrisierenden Gesangseinlage der neuen Frontfrau Stella Tonon und einem bewegenden Gitarrensolo von Michael Dommers löste Begeisterungsstürme unter den vielen Freunden der Band aus und der Ausklang des Konzerts schloss stimmungsmäßig daran an. "Gedanken", einer der frühesten Songs der Bröselmaschine mit Peters Sitar-Einsatz war ein großartiger Beleg, wie historisch bedeutende Musik auch heute noch sehr zeitgemäß und mitreißend gespielt werden kann. Am Ende bekam Detlef Wiederhöft für sein politisches Statement auf der Rückseite seines Basses viel Applaus. Fuck Trump war dort zu lesen.
Glückliches Geschick, dass mit dem Cafe Museum eines meiner beiden Stammlokale unmittelbar an die Cubus Kunsthalle anschließt. Dort hatte die Band ein Buffet vorbereitet, das allen Besuchern zur Verfügung stand. Kurze Zeit später saßen wir an unserem Tisch – gemeinsam mit Schlagzeuger Manni von Bohr, der wahrlich interessante Dinge zu erzählen vermochte. Über die universelle Sprache der Musik im Allgemeinen, aber eben auch über die Bröselmaschine und über Birth Control, wo er nach Nossis Tod wieder die Felle bespielt. Eine verrückte Episode spielte sich damals in den späten Siebzigern ab, als in der WG von Birth Control zum Entsetzen der anwesenden Frauen der Bandmitglieder plötzlich eine Art Sondereinsatzkommando der Polizei einrückte und den Keller mit den dort probenden Musikern stürmte. »Wir hatten halt lange Haare«, meine Manni vergnügt, »das hat die Nachbarn damals wohl irritiert«. Die Geschichte passte prima in Peters Eröffnungsrede, als er erzählte, wie die Bröselmaschine einst in ihrer WG aufbrach, um neue Wege zu gehen: »Wir wollten halt nicht so werden wie unsere Eltern!«
Sonntag, 26.08.2018, Open Air im Skulpturenpark Lehmbruck-Museum
Am Sonntag wurde Open Air gebröselt. Zum Sparda-Tag im Wilhelm Lehmbruck-Museum gab es viele Aktionen für die Besucher, doch für den Musikfreund sollte das große Konzert der Bröselmaschine, nun in kompletter Besetzung und mit voller Strom-Power den Höhepunkt des Wochenendes bilden.
Und während auf der Bühne dann auch mit einer Widmung an unseren heimischen Fußball-Verein, dem "Meidericher Shuffle", ein Stück Rockmusik-Geschichte lebendig wurde und ich freudig meine Fotos schoss, stand plötzlich eine ganz andere Legende meiner Heimatstadt neben mir, ausgesprochen passend zum gerade gespielten Song. Ludwig, genannt Lulu Nolden, Meidericher Vizemeister 1964 und bis heute unser Rekord-Elfmeter-Schütze in der Bundesliga (15 Versuche, alle verwandelt), ein bewegender Augenblick für einen MSV-Fan! Lulu plauderte über Zeiten, als Meiderich wie ein Exot in die Bundesliga einzog und gleich Zweiter wurde, über Tauben und eine Kneipe, die er nach dem Fußball betrieben hat. Er erzählte von Ferenc Puskas und natürlich vom Boss, Helmut Rahn, mit dem er zwei Jahre in Meiderich zusammenspielte. Liebe Bröselmaschine, seid mir bitte nicht böse, dass ich vorübergehend meine Aufmerksamkeit ein wenig von der Bühne abwandte. Dabei bröselten sie gerade einen meiner Lieblingssongs, das traumhaft meditative Titelstück des letzten Albums "Indian Camel". Ich werde es mir demnächst im Grammatikoff noch einmal genüsslich zur Brust nehmen. Das Konzert dort wird am 29.09.2018 mit vielen Gästen einen weiteren Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten bilden.
Und am Sonntag, nun eben mit der vollen elektrischen Präsenz, schenkten sie uns "I’d Rather Go Blind" noch ein zweites Mal, eine Nummer zum Niederknien, eine Version voller Inbrunst mit einem stetig anwachsenden Steigerungslauf auf der Gitarre bis hinein in wilde Gänsehäute und verträumt versteckte Tränchen im Knopfloch. Der Blues kann erstaunlich tief eintauchen in einen selbst und es gibt nichts, was einen davor bewahrt. Zum Glück nicht.
Richtig klassisch wurde es, als die Bandmitglieder nach und nach die Bühne räumten für ein Schlagzeugsolo der Extraklasse. Manni, der 'German Pope Of Drumming', wie ihn die amerikanische Presse einst nannte, brillierte über den Fellen. Eine Tradition, die selbst meine Lieblingsesel von Gov’t Mule inzwischen weitgehend aufgegeben haben, sicherlich der Ökonomie geschuldet.
Später im Set gab es einen wunderschönen Song von "Indian Camel", das leicht jazzig verträumte "Fall Into The Sky" mit Toms herrlichem Solo auf dem E-Piano, eine der prägnantesten Nummern auf dem Album des letzten Jahres. Doch auch die Zukunft wurde bereits beleuchtet. Zwei Titel für ein neues Album, das aller Voraussicht nach im nächsten Jahr erscheinen wird, gehörten schon heute zum Programm und ließen jede Menge Vorfreude auf ein weiteres Kapitel in der Historie der Bröselmaschine wach werden.
Das gesamte Konzert wurde getragen von einer sehr herzlichen und euphorischen Atmosphäre sowohl vor als auch auf der Bühne, die hier eigentlich nur aus zwei großen Teppichen (haben die Grateful Dead auch immer praktiziert) bestand. Mehrere Zugaben waren die logische Konsequenz und die letzte Nummer des Abends, das Titelstück vom 78’er Album "I Feel Fine", eigentlich eine Beatles-Adaption, kam mit einer Gitarreneinlage, die ganz besonders an die Allman Brothers erinnerte. Michael spielte uns sozusagen den Dickey Betts, für einen alten Jam-Rock-Fan hätte es kein schöneres Finale geben können. Ach ja, und das Plattencover des genannten Albums, welches auch als Titelbild für die Ausstellung dient, hatte an diesem Wochenende eine ganz besondere Aktualität. Es zeigt die Bandmitglieder vor einer Art Trinkhalle, bei uns kurz 'Die Bude' genannt. Am Samstag wurde dieser leider immer mehr rückläufigen Tradition mit dem Tag der Trinkhalle gedacht. »Datt passt«, wie der Duisburger sagt und ich kaufe auch heute noch mein Bier lieber drüben an der Bude, wo sie immer für mich da sind. Eben auch am Sonntag. Die paar Pfennige mehr ist mir das allemal wert.
Und am Ende liefen wir uns alle wieder im Cafe Museum über den Weg, direkt gegenüber am Rand des Kantparks, wo ein in der Duisburger Rockmusik-Szene ziemlich einzigartiges Wochenende voller tiefer Emotionen und mit vielen nostalgisch romantischen Rückblicken würdig vollendet wurde. Ein Wochenende mit faszinierenden Bekanntschaften und großartiger Musik – drei Tage so etwas wie angewandte Heimatkunde und Pflege einer intensiven Liebschaft zu einer Stadt, die vielen düster und grau erscheinen mag. Aber nur denen, die Duisburg nicht kennen. Schimi war fiktiv, aber er war einer von uns, er hat den Menschen hier ein Profil und ein Gesicht gegeben. Die Bröselmaschine hat das auch immer getan – authentisch, ehrlich und herzlich.
Duisburg ist eine Stadt mit vielen Problemen, die letzten Jahre haben diese Entwicklung eher noch verstärkt. Nach vielen Tiefschlägen, gipfelnd in der schrecklichen Love Parade-Tragödie ist es für uns Einheimische umso wichtiger geworden, Eckpfeiler unserer eigenen Identität zu pflegen und herauszustellen. Peter Bursch und die Bröselmaschine sind unsere rockmusikalischen Helden, die einzigen Namen in der Szene mit internationalem Klang "bei uns zuhaus".
RockTimes gratuliert ganz herzlich zu 50 Jahren "Musikabenteuer, von Duisburg in die weite Welt" – so wie es auf der Schautafel am Cafe Museum nachzulesen ist. Einer fehlte an diesem Wochenende urlaubsbedingt. Helge Schneider verweilt zurzeit in Spanien und bröselte nur im Geiste mit.
Tragisch und sehr traurig nur, dass Willi Kissmer, eines der Gründungsmitglieder und ein international erfolgreicher Maler, das Jubiläum nicht mehr mitfeiern konnte. Ende Juli verstarb er nach schwerer Krankheit kurz vor dem Herzberg-Gig der Bröselmaschine und vertritt Duisburgs Farben nun an anderer, höherer Stelle. Die Band gedenkt ihm mit vielen Bildern aus seiner Karriere im Rahmen der wirklich sehr schönen Ausstellung in der Cubus-Halle, die dort noch bis zum 16. September zu sehen sein wird.
Line-up Bröselmaschine:
Peter Bursch (guitar, sitar, vocals)
Stella Tonon (vocals)
Michael Dommers (lead guitar)
Manni von Bohr (drums)
Tom Plötzer (keyboards # 26.08.)
Detlef Wiederhöft (bass)
Special guest:
Klaus Dapper (flute # 24.08.)
3 Kommentare
Michael Breuer
1. September 2018 um 15:26 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Sorry, mein Fehler, hab mich mal wieder selbst überholt, als ich das Line-Up noch angehängt hatte – ist inzwischen korrigiert
Bröselmaschine
1. September 2018 um 2:06 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ergänzung.: Detlef Wiederhöft – BASS – fehlt im LineUp
Danke für den schönen Artikel
RockTimes Jürgen
1. September 2018 um 13:30 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Uups, gut aufgepasst.
Wir haben Detlef natürlich sofort ergänzt.
Danke für die Info!