Nun ist der Deckel drauf. Das neue Album der Bröselmaschine ist endlich für den Rest der Welt zu haben, und mit einem fulminanten, nein, überragenden Konzert im heimischen Grammatikoff wurde es den Göttern des Rock’n’Roll sozusagen direkt in den Äther gespielt. Doch was als Release-Konzert für "Elegy" angekündigt worden war, entpuppte sich als ein mitreißendes Zeugnis über 51 Jahre deutscher Rockmusik. Das, was einst als Kommune vor langer, langer Zeit begonnen hatte, kulminierte an jenem Sonntag-Abend mit einer überwältigenden Werkschau einer legendären Band und großartiger Musiker, die dem Begriff Krautrock mehr Einflüsse und Stilrichtungen eingeimpft haben als die meisten anderen.
Bröselmaschine? Was genau spielen die?
Diese Frage sollte man nicht versuchen, in einem kurzen Satz zu beantworten. Es würde der Wirklichkeit nicht gerecht.
Endlich mal ein Konzert, zu dem ich nicht lange anreisen muss, das Grammatikoff liegt fußläufig in meiner Gegend. Seit Wochen freue ich mich darauf, die heimischen Matadoren mit ihrem wundervollen neuen Album live zu erleben. Die Kamera darf ich mitbringen und der Club bietet den für mein Semester unschätzbaren Vorteil, in der Empore sogar ein paar Sitzplätze vorzuhalten. Früher verpönt (»sitzen iss für’n Arsch«, haben wir immer gesagt), heute sehr willkommen. Dass ich im Laufe des Abends irgendwann feststellte, neben einem alten Bekannten aus lange zurück liegenden Tagen zu sitzen, ist eine ganz besondere Geschichte, die auch mit Musik und ganz besonders mit Vinyl zu tun hat – und vielleicht auch mal einen eigenen Bericht wert.
Schicken wir die Besonderheiten der Mannschaftsaufstellung voraus, um ein wenig Fußballsprache einzubringen. Immerhin erfreuten sich rechts und links von mir die Leute am Sieg der Gladbacher, während ich kurz vor Beginn des Konzertes den Liverpool-Erfolg bejubeln konnte. Die Zebras hatten ja schon am Tag zuvor vorgelegt.
Detlef würde heute Abend den Bass nicht bedienen können, er war leider erkrankt. »Eigentlich wollten wir ja eine Live-Leitung ans Bett legen, aber dann hat das doch nicht geklappt« scherzt Peter später und stellt Carlos vor, der für Detlef einspringt. Macht er nicht zum ersten Mal und so gibt es keine Probleme. Als Gast ist heute wie schon auf dem Album die russische Geigenvirtuosin Tamara Sidorova mit dabei. Peter erzählt im Verlauf des Konzerts, dass Tamara nicht nur mit dem Staatsorchester in Moskau unterwegs ist – sie hat auch schon mit Eric Clapton gespielt. Duisburg fühlt sich geehrt.
Ein ganz besonderer Abend wird es auch für Stella Tonon, die auf "Elegy" erstmals im Studio die Stimme der Bröselmaschine sein durfte. Eines darf ich vorwegnehmen: Was Stella uns heute in Sachen Empathie, Leidenschaft und Ausstrahlung präsentieren wird, sprengt alles, was man über Frontfrauen sagen kann. Als ein nicht zu bremsendes Energiebündel, mal zart und zerbrechlich, dann wieder wild und energisch, nimmt sie uns alle mit auf die Reise durch das hoch emotionale Konzert. Auch Peter betont diesen persönlichen Stellenwert für die Band immer wieder, heute wird gebröselt mit einer großen Portion Gänsehaut – auf und vor der Bühne.
Selbstverständlich beginnt Set Nummer eins des heutigen Abends mit neuem Material, lediglich die Reihenfolge des Titelstücks und Bliss werden heute getauscht. Wie auf dem Album werden diese beiden stimmungsvollen Wohlfühl-Nummern als perfekter Aufreißer genutzt. Tamara gibt schon jetzt einen Einblick in ihr kaum zu beschreibendes Saitenspiel, von dezentem Streichen bis zum enthusiastischen Freak-out beherrscht sie alle Gefühlslagen. Geige kann geil sein, auch in der Rockmusik. Der Applaus der Fans ist schon jetzt euphorisch und lang anhaltend, es wird im Laufe des Abends noch ekstatischer.
Da sich die Damen und Herren um Peter Bursch heute ein zwei-Stunden-plus-Konzert vorgenommen haben, ist natürlich klar, dass auch ganz viel älteres Material gespielt werden wird. Mich erfassen besonders tiefe Emotionen, als Michael auf der Gitarre ein hinreißend melodisches Intro für "Indian Camel" anspielt, ein Song, den die Band immer wieder neu interpretiert. Und wenn Manni mit diesem eigenartigen Buckel-Rhythmus einsetzt, dann wird allen Anwesenden klar, dass es nun Zeit wird, die fliegenden Teppiche zu besteigen. Die Reise geht in eine psychedelische Welt, die mit dem Hier und Jetzt nicht mehr viel zu tun hat. Ein zeitloses Meisterwerk voller Poesie und spiritueller Kraft, eine Meditation, die uns innerlich wirklich fliegen lässt. Und mit "Oriental Mind" bereisen wir den Orient gleich ein weiteres Mal.
Später, wenn Peter über die Vorliebe der Band für den Blues berichtet, erfasst mich wohlige Vorfreude und eine Art elektrisierender Spannung, denn ich weiß, jetzt werden sie "I’d rather Go Blind" spielen. Diese Version ist einfach unfassbar. Das Zusammenspiel zwischen Stella Tonons bedingungsloser Hingabe und der traumhaften Gitarre von Michael Dommers macht die Etta James-Nummer zu einer einzigartigen Hommage deutscher Rockmusiker an alte Traditionen, schöner und intensiver kann man diesen Song nicht spielen. Stella singt nicht, nein, sie durchlebt diesen Song mit einer Wucht, wie ich es niemals tiefer auf einer Bühne erlebt habe. Wer so viel Emotion schenkt, den muss man mit Ovationen belohnen. Das Grammatikoff tobt und die eine oder andere versteckte Träne verschwindet in den diversen Knopflöchern.
Dass im zweiten Set ausgerechnet mit dem wunderschönen "Pajaro" begonnen wird, dürfte insbesondere für Stella von großer Bedeutung sein. Dieser Song, so habe ich es in der Halbzeit erfahren, wurde im Vorfeld der Produktion von "Elegy" innerhalb der Band intensiv diskutiert. Stella, die portugiesisch spricht, wollte ihn unbedingt auf dem Album sehen, ein Lied, bei dem sie in vertrauter Sprache performen kann – denn Stella hat portugiesische Wurzeln. Das schöne Folk-Stück schaffte es daraufhin auf die Platte und eröffnet heute Teil zwei eines denkwürdigen Abends. Doch Stellas zutiefst mitreißende Interpretation und Tamaras völlig losgelöstes Solo geben der Nummer eine vielfach heftigere Note als auf dem Album. Pure Emotion.
Deutlich entspannter geht es später zu, wenn ein weiteres Highlight von "Elegy" zum Besten gegeben wird. "Sofa Rock" ist eine herrlich entspannte Meditation in der Tradition des "Indian Camel". »Manni, gib mal was Indianisches vor«, sagt Peter und der Schlagmann bereitet den rhythmischen Teppich für einen neuerlich Flug – relaxt und losgelöst.
In "Fall Into The Sky" bekomme ich mein Lieblinglings-Solo von Tom Plötzer, hier am elektrischen Piano, während er im Verlauf der neuen Stücke häufig und gern auf den so sehr geschätzten Sound der guten alten Schweineorgel zurückgreift.
Wie auf der Platte lebt "Sole Ruler" von der knisternden Spannung zwischen Gesang und Gitarre, während in "Black is Your Colour" der Rock’n’Roll regiert. Die Bröselmaschine kann richtig Gas geben, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Wenn "I Was Angry" angekündigt wird, ist die Zeit für lange Soli gekommen. Im Verlauf des Songs verlassen als erste Stella, Peter und Michael die Bühne und Tom bekommt jede Menge Spielraum für die Darbietung seiner Tastenkünste. Die Musik groovt und treibt, tief in mir drin kommen Gedanken an Santanas faszinierende Begleitmusiker auf, denen der Meister auch immer jede Menge Freiraum eingeräumt hat. Dann zieht auch Tom sich zurück und Carlos, den ich von meinem Winkel oben auf dem Balkon bis dahin gar nicht vor die Kamera bekommen habe, glänzt mit einem virtuosen, jazzig coolen Bass-Solo. Bis am Ende nur noch einer übrig ist, dem nun die gesamte Bühne gehört: Manni von Bohr, »the german pope of drumming«, wie ihn eine amerikanische Zeitung einst beschrieb. Manni zieht alle Register seines Könnens und bringt den Saal zum Kochen, die Felle vermutlich auch. Purer Wahnsinn. Mit dieser Monster-Nummer endet das reguläre Konzert.
Es ist müßig festzustellen, dass an solch einem Abend natürlich einige Zugaben geboten werden. Hier spielt Duisburgs liebstes und ältestes Kind der Rockmusik und wir alle wollen so viel wie möglich mehr davon bekommen. Ich freue mich riesig, dass sie heute Abend noch einmal "Bei uns zuhaus" spielen, jenem von Peter gesungenen Song von "Graublau", der wie kein zweiter zu unserer Stadt passt. Tiefe Emotionen bei allen, die hier im Saal und hier in Duisburg zuhause sind. Und als ob das noch nicht reicht mit heimatlichen Anspielungen, bekommen wir auch noch den Meidericher Shuffle geschenkt, die Nummer, die auch das neue Album abschließt.
Ich schaue auf die Uhr, es ist fast zehn. Es war ein hinreißendes Konzert, voll von großen Gefühlen, wunderbaren Songs und fantastischen Musikern, die alles aus sich herausgeholt haben. Für sich selbst, für die Bandgeschichte und vor allem für uns, die wir glücklich sind, dass uns die Bröselmaschine auch nach 51 Jahren immer noch erhalten geblieben ist.
Das neue Album ist eine Wucht und das Konzert hat alles noch getoppt. Ein wenig bleibe ich noch, trinke ein Bier und nehme diese besondere Stimmung auf, wenn nach dem Konzert die Anspannung abfällt und die Zeit für gemeinsame Freunde und Bekannte kommt. Wo man weiß, dass man sein Ding gemacht hat. Der Merch wird gut belagert, viele Menschen statten sich mit diversen bröseligen Devotionalien aus, sie tragen sie fast wie Trophäen davon. Heute komme ich gut und pünktlich heim, ist ja nur ein kurzer Fußmarsch mitten durch die weitgehend schlafende Innenstadt.
Es war ein geiler Abend mit Euch.
Vielen herzlichen Dank an MIG Music und vor allem Peter Bursch für den Platz auf der Gästeliste und die Einladung. Ich freue mich schon heute auf das kommende Jahr, denn die Bröselmaschine ist für August in der Balver Höhle angekündigt. Ein Ereignis, das ich mir nicht entgehen lassen werde.
Line-up Bröselmaschine im Grammatikoff:
Peter (guitar, sitar, vocals)
Stella (vocals)
Manni (drums)
Micha (guitar, vocals)
Tom (keyboards)
guests
Carlos (bass)
Tamara (fiddle)
Neueste Kommentare