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Chantel McGregor / Bury’d Alive – CD-Review

Chantel McGregor / Bury'd Alive

Female-Power, Auszeichnungen und eine Zeitenwende

So … Billie Eilish hat bei den 62sten Annual Grammy Awards mächtig abgeräumt … zusammen mit der ebenfalls diesbezüglich sehr erfolgreichen Lizzo, sehen diverse deutsche Gazetten eine Zeitenwende in der Historie der Popularmusik. Wann hat es jemals bei dieser traditionsreichen Preisverleihung eine derartig erfolgreiche Frauenpower gegeben? Und dann auch noch im Falle von Billie Eilish, ganze 18 Lenze jung!

Nun ist die Musik genannter Protagonistinnen alles, aber bestimmt kein Rock. Dieser scheint nicht nur aktuell eher ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein … zumindest am Puls dieser Zeit ohne jede Relevanz. Billie Eilish hat ihr Trophäendebüt im heimischen Schlafzimmer mit ihrem Bruder zusammengebastelt … moderner Software sei Dank …, währenddessen werkelt die 33jährige Chantel McGregor aus Bradford in der englischen Grafschaft West Yorkshire aktuell an einem Akustikalbum und veröffentlichte letztes Jahr das beileibe nicht für irgendeinen Grammy nominierte Live-Album "Bury’d Alive", welches ansonsten vermutlich in der Kategorie 'Best Contemporary Blues Album' gut aufgehoben gewesen wäre. Dort räumte aktuell Gary Clark Jr. ab … ein Generationskollege und an den sechs Saiten auffallend ähnlich extrovertiert wie Chantel McGregor. Letztere ist allerdings hierzulande ein vollkommen unbeschriebenes Blatt, dafür heimste sie zwischen 2011 und 2014 bei den British Blues Awards diverse Auszeichnungen ein, darunter zweimal hintereinander 'Guitarist Of The Year'!

Sie absolvierte das 'Leeds College of Music', schloss im Sommer 2009 mit 'First Class Honours' im Fach Popular Music ab und veröffentlichte schließlich 2011 das hochgelobte Debütalbum "Like No Other", welches von Livingstone Brown produziert wurde, der bereits so Genre-unverdächtige Acts wie Ed Sheeran, Shakira oder Kylie Minogue unter seinen Fittichen hatte. Bis auf drei Songs ist darauf alles von ihr selbst geschrieben. 2015 folgte "Lose Control", ebenfalls von Livingstone Brown produziert und diesmal komplett selbstgeschrieben.

Und jetzt liegt dem Rezensenten das bereits erwähnte Live-Dokument vor … nie von der Dame gehört … Silberscheibe in den prähistorischen Player geschoben und … oha … klare Mädchenstimme, die ansonsten eher in der weitläufigen Popmusik verortet werden würde, trifft auf akademische Saitenexkursionen, die jedweden Luftgitarristen stellenweise vor unlösbare Probleme stellen. Darüber hinaus schälen sich, sofern der Scheibe mehrere Durchläufe gegönnt werden, überraschend melodische Songkleinode heraus, welche gerne durch eruptive Gitarrensalven genauso begleitet wie aufgebrochen werden. Umgarnt wird das Ganze durch einen ungeheuer rhythmischen wie gleichzeitig energisch kraftvollen Maschinenraum, ohne Netz und doppelten Boden und im Triokontext überraschend finessenreich agierend.

Dieses Dokument kommt vollkommen ohne Nachbearbeitung aus und gibt 1:1 den am 29.03.2019 gespielten Gig in Bury St Edmunds wieder, welcher vor gefühlt 50 Neugierigen stattfand und für heutige Zeiten auffallend gut klingt.
Die Wertung für dieses Live-Album fällt ausgesprochen einfach aus … der Rezensent hat sich nämlich inzwischen ganz begeistert beide Studioalben als physische Tonträger organisiert, da hier nicht nur eine akademisch hervorragend ausgebildete Saitenartistin für das Genre unglaublich viele Facetten der Saitenartistik präsentiert – was teilweise darin gipfelt, dass sie alleine in der Lage ist, gleich eine Armada von drei Saitenhelden gleichzeitig zu simulieren – sondern darüber hinaus auch noch hervorragende Songs auf Lager hat, welche in den Studioversionen erheblich kompakter umgesetzt sind, während beim vorliegenden Live-Album spektakuläre Ausflüge in die höchsten Weihen der instrumentalen Kunst zelebriert werden. Was auf der einen Seite als akademische Leistungsschau eingeordnet werden darf, kommt erstaunlicherweise im Gesamtergebnis ausgesprochen gefühlvoll und mit viel Seele aus den nicht vorhandenen Rillen des Silberlings/Streams. Vielleicht ist es kein Zufall, dass auch hier eine weibliche Power-Protagonistin eine kleine Genre-Zeitenwende einleitet.

Fazit: Ein Fest für SaitenliebhaberInnen des vermeintlich ausgelutschten Genres 'Blues Rock', garniert mit Jam-Ausflügen, Prog-Einsprengseln, U2The Edge-Reminiszenzen, sporadischen Jazz-Eskapaden, Riff-Feuerwerk, rockigen Detonationen, ausgleichenden Akustik-Gitarren-Leckereien, die großen Appetit auf das in Entstehung befindliche Akustikalbum machen und schlussendlich bereichert durch zwei neue Stücke, die bruchlos das Gesamtniveau halten … mindestens. Und ihre Gitarre klingt unendlich 'fetter' und präsenter, als es im Studio der Fall ist.
Daher … ein ganz fetter Tipp … auch und gerade für alle Konzertveranstalter hierzulande!


Line-up Chantel McGregor:

Chantel McGregor (electric & acoustic guitars, vocals)
Colin Sutton (bass)
Thom Gardner (drums)

Tracklist "Bury’d Alive":

  1. Take The Power (04:32)
  2. Killing Time (03:42)
  3. Like No Other (05:50)
  4. Caught Out (04:21)
  5. Eternal Dream (09:09)
  6. Lose Control (02:58)
  7. Inconsolable (12:45)
  8. Your Fever (04:44)
  9. April (08:18)
  10. Walk On Land (06:08)
  11. Freefalling (05:30)

Gesamtspielzeit: 68:02, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

1 Kommentar

  1. Manni

    Olli, my Friend,

    das hier ist eine GÖTTLICHE Formulierung:

    "…trifft auf akademische Saitenexkursionen, die jedweden Luftgitarristen stellenweise vor unlösbare Probleme stellen."

    Das ist so klasse, dass es mir ein von Herzen kommendes Grinsen ins Gesicht gezaubert hat!

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