
Die große Weite, ein einsamer Wohnwagen und tolle Musik
Mit Rezensionen ist das so eine Sache! Schon gar, wenn es um Musik geht … die ist bekanntlich reine Geschmackssache, es sei denn, es wird selbst für den letzten Laien hörbar vor sich hin dilettiert.
In des Rezensenten Postkasten flatterte unlängst ein Promo-Silberling von einem gewissen Chris Knight, der selbigem keinerlei Begriff ist … immerhin ist es schier unmöglich, bei der heutigen Veröffentlichungsdichte auch nur ansatzweise den Überblick zu behalten … von der unglaublich vielfältigen musikalischen Ausdifferenzierung mal ganz abgesehen.
Aber genau aus diesem Grund gibt es ja schließlich so ein Magazin wie RockTimes, welches euch Orientierung und Einordnung bietet, natürlich nicht immer frei von persönlichen Vorlieben der AutorInnen.
In diesem Fall fällt selbigem das überaus gelungene Frontcover der Promo-Ausgabe ins Auge, auch wenn die Druckqualität leider zu wünschen übrig lässt. Hach, was waren das noch für Zeiten, als das gute alte Vinyl teilweise nur wegen toll fotografierter oder gestalteter Frontcover erworben wurde, um dann seine Geheimnisse auf dem heimischen Dreher zu offenbaren … Fehlkäufe inkludiert!
In diesem Fall suggeriert das Cover-Bild sofort Klänge der nordamerikanischen Weite, staubig, trocken, melancholisch, eher dunkel und düster, vielleicht von einem introvertierten Outlaw in Szene gesetzt.
Passt das auf Chris Knight?
Geboren vor 59 Jahren, wuchs er in einem Kaff namens Slaughters in Kentucky mit heutzutage weniger als 300 Einwohnern auf. Er machte einen akademischen Abschluss im Bereich der Landwirtschaft, um dann in führender und beratender Funktion im Bereich des Berg- und Tagebaus zu wirken. Erst mit 26 Jahren fing er an zu komponieren, mit 30 folgten erste Auftritte und mit 37 der erste Plattenvertrag … 1998 kam sein gleichnamiges Debütalbum bei Decca Nashville heraus. Zu der Zeit lebte Chris Knight noch alleine in einem Wohnwagen auf einem 22,5 Hektar großen Landgebiet in der Nähe von Slaughters. Musikalisch beeinflusst wurde er in erster Linie von John Prine und Steve Earle … so dass eigentlich kaum noch etwas geschrieben werden muss um zu illustrieren, welche Art von Musik einen bei "Almost Daylight" erwartet, dem ersten Album Knights seit geschlagenen sieben Jahren und sein insgesamt neuntes. Zumal mit Ray Kennedy der Haus- und Hof-Produzent von Steve Earle an Bord ist und John Prine höchstpersönlich die Coverversion seines 1973er "Mexican Home" begleitet.
In Ermangelung tieferer Einblicke in das 'Great American Storytelling' kommt dem Rezensenten über weite Strecken des neuen Albums in erster Linie John Mellencamp als Referenzgröße in den Sinn … und zwar der Roots-Mellencamp, nicht der Heartland-Mainstream-Mellencamp. Neben der musikalischen Verwandtschaft liegt das insbesondere an der teilweise verblüffend ähnlichen Stimme!
Hervorzuheben ist ein expliziter Appalachen-Einfluss auf dieser Platte, eine Region, die im Osten der USA den Bundesstaat Kentucky begrenzt und welche eine regionale Musikidentität ihr eigen nennt, gespeist aus verschiedenen europäischen und afrikanischen Einflüssen, darunter englische Balladen, traditionelle irische und schottische Musik, Hymnen und afroamerikanischer Blues. Besonders prägnant sind in diesem Zusammenhang Instrumente wie Banjo, Fiddle, Mundharmonika und Mandoline, während Dan Baird von den vormaligen Georgia Satellites auf "Almost Daylight" wohldosiert die Rock-Komponente einstreut. Darüber hinaus sind auch diverse Tasten, ein Akkordeon und Backgroundgesang von Chris Clark, Siobhan Kennedy und Lee Ann Womack am Start, so dass die Musik nicht ganz so karg ausfällt, wie es das Covermotiv suggeriert.
Es bleibt noch anzumerken, dass sich Chris Knight kompositorisch auf diesem Album vor niemandem verstecken muss … ganz im Gegenteil!
Fazit: Dilettantismus ist etwas völlig anderes und die prächtige wie lebendige Instrumentierung bewahrt vor zu großer Dunkelheit – wer schon immer etwas mit Leuten wie John Prine, Steve Earle oder dem rootsigen, um nicht gleich zu sagen rostigen John Mellencamp anfangen konnte, sollte hier unbedingt mehr als ein Ohr riskieren.
Line-up Chris Knight:
Chris Knight (acoustic guitar, vocals)
Dan Baird (electric guitar)
Lee Ann Womack (vocals – #6)
John Prine (vocals – #11)
Tracklist "Almost Daylight":
- I’m William Callahan (3:20)
- Crooked Mile (4:06)
- I Won’t Look Back (2:46)
- Go On (2:51)
- The Damn Truth (4:47)
- Send It On Down [feat. Lee Ann Womack] (3:59)
- Almost Daylight (3:09)
- Trouble Up Ahead (4:26)
- Everybody’s Lonely Now (3:18)
- Flesh And Blood (3:10)
- Mexican Home [feat. John Prine] (5:06)
Gesamtspielzeit: 40:59, Erscheinungsjahr: 2019
1 Kommentar
Manni
3. Oktober 2019 um 21:07 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Toll, dass Chris Knight wieder mit einer neuen Platte am Start ist.
Ich kenne ihn seit seinem ’98er Debut, das doch noch stark countyfiziert war, aber überraschenderweise auch das vollkommen untypische, fünfeinhalb Minuten lange (elektrische) Gitarrenmonster "The Hammer Going Down" enthielt. Er hat seitdem keinen Song mehr mit diesem Gitarrensound instrumentiert, sehr schade! Das ist für mich ein Alltime-Fav!
Danach bewegte er sich weg von Country und der Singer/Songwriter Szene zu, hat sich in Folge als perfekter Storyteller zu erkennen gegeben. Und diese Geschichten waren fast ausnahmslos kleine, mittlere oder recht oft auch große Dramen aus dem Leben von 'John Doe' oder in deutsch dem 'Jedermann'. Damit waren die Songs dann entsprechend eher Ausdruck der dunklen, manchmal mystischen, manchmal pathetischen und oft auch wütenden Gefühlslage des Chris Knight. Und auch deutlich anders als die der bekannten Kollegen. John Mellencamp z.B. kratzte textlich immer nur an der Oberfäche der Dramen, aber auf musikalisch auf sehr, sehr hohem Niveau.
Ich hab mehrere Platten von Chris Knight. Mir liegt auch die aktuelle 'Almost Daylight' vor, die sich mit fast mathematischer Genauigkeit auf dem hohen Level seines früheren Outputs einpendelt. Will sagen: Er hat sich zwar nicht weiterentwickelt, aber steht immer noch für die bekannte Qualität, die ihm immanent ist. Und das ist durchaus erfreulich.
{ich selbst hab mir einen Sampler erstellt, der meine subjektive Auswahl enthält und den ich nicht missen möchte/kann}