Die Fans der Olsenbande hatten die Lösung offenbar schon längst parat: Die Liebhaber der vor allem in Ostdeutschland beliebten dänischen Kriminalkomödien rund um das Ganoventrio mit Egon Olsen können sich an bestimmte Titel gut erinnern: "Der (voraussichtlich) letzte Streich der Olsenbande" war Folge sechs überschrieben, während es zum endgültigen Finale in Folge 14 hieß: "Der (wirklich) allerletzte Streich der Olsenbande".
So viele Bücher zum Thema Ostrock gibt es inzwischen aus der Feder von Autor und Journalist Christian Hentschel. Dass jedoch auf Das vermutlich allerletzte Ostrockbuch (4. Januar 2021) innerhalb eines Jahres tatsächlich noch "Das jetzt wirklich allerletzte Ostrockbuch" folgt, war nicht abzusehen. Der unerwartet große Erfolg des Vorgängers und eine Vielzahl von Leserzuschriften nach "Das vermutlich allerletzte Ostrockbuch" mit Vorschlägen für neue Interviews machten gewissermaßen das Happy End perfekt. So ähnlich beschreibt es der Autor. Eine illustre Auswahl an Musikern und ein Manager beim vergangen Mal hätten durchaus einen Schlussstrich erlaubt. Doch nach Alibi oder künstlerischer Verlängerung sieht es beim aktuellen Buch keinesfalls aus.
Vierzehn Gesprächspartner mit teils sehr unterschiedlichen Biographien und musikalischem Hintergrund präsentiert Christian Hentschel dem Leser auf 320 Seiten. Ehrenvoll, dass aus seinem Archiv mit Holger Biege (solo) und Mike Schafmeier (Silly, MTS) zwei Akteure zu Wort kommen, die nicht mehr unter uns weilen. Über Holger Biege lesen wir, dass der Musiker »nach der Veröffentlichung große Erfolge feiern konnte, … welche Meilensteine der populären Musik« wurden. Der Sänger, Pianist und Komponist »begründete sein eigenes Genre. Balladen waren zuvor und auch bis heute nur selten so tiefgründig und intensiv. Voller Wucht entfaltete sich der Zauber dieser Lieder.«
Mit Abschied mussten ebenfalls Toni Krahl und Fritz Puppel (City) umgehen. Am 22. Mai 2020 starb ihr Freund und Bandkollege, Schlagzeuger Klaus Selmke. Das trübt die Vorfreude auf das große Jubiläum "50 Jahre City". Die Konzerte in diesem Jahr sind mit "Die letzte Runde" überschrieben. Damit endet die erfolgreiche Bandgeschichte der Band, die von vielen Höhen geprägt war. »Für mich ist Ostrock eine Qualitätsmarke. So wie Britpop gibt es eben auch Ostrock. Dass der Osten das kleinere Land war und die Medien sich nicht darauf stürzen, kann ich nicht ändern, aber ich darf selbstbewusst sagen, dass wir dem die Stirn bieten können, dass wir – sicher unter außergewöhnlichen Umständen – etwas Einzigartiges geschaffen haben. Und bei den Rocklegenden wird diese Tatsache gefeiert«, antwortet Gitarrist Fritz Puppel kämpferisch in dem Buch auf die Frage nach dem Jubiläumsjahr und dem Rocklegenden-Konzert mit Silly, City, Dieter Birr von den Puhdys sowie Gast Dirk Michaelis.
Silly-Bassist Jäcki Reznicek verrät, warum ihm Vielseitigkeit so wichtig ist und er deshalb in bis zu vier verschiedenen Projekten gleichzeitig musiziert, Silly dabei immer mit oberster Priorität. Auf die Trennung von Sängerin Anna Loos geht er zwar ein, aber erwähnt das Thema diplomatisch nur in wenigen Silben.
»Musik ist selenrelevant. Besonders in der langen zur Verzweiflung neigenden Zwangspause wurde mir das klar«, sagt Dirk Michaelis über seine Zusammenarbeit mit dem Mundharmonikaspieler Sören Birke. Ein Zitat, das seine Wirkung nicht verfehlt. Aneinander gereiht wie in einer Perlenkette, gibt es in den 14 Interviews immer wieder solch wundervolle Wortspiele. Mit Einfühlungsvermögen und Sachkennnisse entlockt Christian Hentschel seinem jeweiligen Gegenüber teils intime Bekenntnisse aus dem Musikeralltag. Das wirkt authentisch und beide Seiten verständigen sich auf Augenhöhe.
Die Lektüre punktet außerdem durch die Vielseitigkeit der vorgestellten Protagonisten. Mit Andreas Bicking (Stern Meißen, Veronika Fischer & Band) begegnet uns ein Künstler, der mit Filmmusik ein neues Kapitel aufgeschlagen hat. Joe und Wolf-Rüdiger Raschke (Karussell) stehen für zwei Generationen in einer Band – Vater und Sohn. Mit Dan Lucas kehrt für einen Moment ein Sänger zurück, der ursprünglich Lutz Salzwedel hieß und nach den Stationen bei Passion und Karussell bei einem Gastspiel in der Bundesrepublik seine Heimat DDR verließ.
Einmal Pankow, immer Pankow: Das gilt für den Gitarristen Jürgen Ehle, wenngleich er seit 20 Jahren zusätzlich mit seiner Frau Scarlett O' in der Märkischen Schweiz mehrere Liedprogramme bestreitet. "Das jetzt wirklich allerletzte Ostrockbuch" unterhält den Hörer und Leser am Puls der Zeit und bietet ihm alles, nur keine Oberflächlichkeit. Zurecht beschreibt Fritz Puppel den Ostrock als Musik mit einzigartiger Klasse und vergibt ihm eine Marke.
Der Begriff ist zwar längst etabliert, doch bundesweit reicht es über die Nische und eine oft nur geographische Wahrnehmung nicht hinaus. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen unserer Zeit. So bleibt es das einzige Manko des Ostrocks, der viele epochale Werke wie Citys "Am Fenster" oder "Bataillon d’Amour" von Silly hervor gebracht hat.
Christian Hentschel leistet mit seiner langen Erfahrung im Musikjournalismus einen wichtigen Beitrag, lebendige Zeitgeschichte aufzuarbeiten. Mit seinen persönlichen Interviews ermöglicht er Interessierten einen Blick in einen aus musikalischer Sicht wertvollen Kosmos.
Mit Jürgen Ehle (Pankow), Dirk Michaelis, Toni Krahl und Fritz Puppel (City), Holger Biege, Michael Nass (Gundermann, Seilschaft, BAP), Dirk Zöllner, Bodo Kommnick (Lift, Blackbird), Lexa Thomas (Kerschowski, Rumpelstil, Thomas Rühmann & Band), Dan Lucas, Mike Schafmeier (Silly, MTS), Andreas Bicking (Stern Meißen, Veronika Fischer & Band), Tino Eisbrenner, Joe & Wolf-Rüdiger Raschke (Karussell), Jäcki Reznicek (Silly)
- Verlag: Neues Leben
- 1. Auflage
- Gebundene Ausgabe, 320 Seiten, 14,5 x 21 cm
- Mit Abbildungen in Duoton
- ISBN 978-3-355-01902-6
- Preis: 22,00 EURO
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